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Die Angst der Ärzte vor den Ärzten

Viele Ärzte haben Angst, selbst zum Arzt zu gehen – nicht nur aufgrund ihrer lähmenden Angst vor einer schwerwiegenden Diagnose, sondern auch aufgrund ihrer Angst, in den Händen ihrer Kollegen verloren zu sein. Neben dem Wunsch, anderen Menschen zu helfen, wollen sich Medizinstudenten mit dem Studium auch selbst helfen. Die eigene Angst vor Krankheiten oder schlechte Erfahrungen mit Ärzten in der Kindheit können wichtige Beweggründe für das Medizinstudium sein. Jahrelang schleppen viele Ärzte ihre Ängste, Beschwerden und Nöte mit sich herum, bis sie manchmal völlig verzweifelt sind. Es ist oft nicht leicht, hier einen Weg zu finden.

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Oberberg-Stiftung, Berlin

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 25.5.2013
Aktualisiert am 21.4.2023

Evidenzbasierte Medizin (EBM) und die Psychoanalyse

Evidenzbasierte (= beweisgestützte) Medizin ist eine Orientierungshilfe für Ärzte und Patienten. Der Begriff wurde Anfang der 1990er Jahre von dem Epidemiologen Gordon Guyatt und dem Mediziner David Sackett, beide Kanadier, geprägt. „Evidence“ heißt unter anderem „Anhaltspunkt, Beweis“ – es lässt sich aber auch mit „Offensichtlichkeit“ übersetzen. Evidenzbasierte Medizin steht für die „erwiesenermaßen wirksame Medizin“. Der Evidenzgrad soll anzeigen, wie wirksam eine medizinische Therapie ist. Doch der Versuch, den Evidenzgrad auf die Psychoanalyse zu übertragen, ist umstritten.

So wird die Wirksamkeit einer Therapie nach Kriterien der Evidence-based-medicine (EBM) beispielsweise eingeteilt:
Grad I: Die Wirksamkeit ist gut belegt.
Grad II: Die Behandlung ist wahrscheinlich wirksam.
Grad III: Die Behandlung ist nach Expertenmeinung wirksam.

Daraus ergeben sich sogenannte Empfehlungsklassen:
A: Die Wirksamkeit der Behandlung ist gut belegt und daher zu empfehlen.
B: Die Wirksamkeit ist ausreichend belegt und daher zu empfehlen.
C: Die Wirksamkeit ist nur ungenügend belegt und daher nur wenig zu empfehlen.
(siehe auch: Das Leitlinien-Manual, Urban & Fischer, 2001, PDF)

Psychoanalyse – was ist wirksam?

Gerade im Bereich der Psychoanalyse geht es immer wieder um die Frage: Ist eine Behandlung wirksam? Ist die Wirksamkeit der Therapie belegt? Dazu muss man wissen, dass hohe Evidenzgrade nur verteilt werden, wenn eine Therapieform mithilfe einer klinischen Studie (Wikipedia) untersucht wurde. Das sieht vereinfacht so aus, dass Patienten nur unter bestimmten Voraussetzungen an der Studie teilnehmen dürfen. Manchmal werden die Patienten zufällig einer bestimmten Therapiegruppe zugeordnet (randomisiert-kontrollierte Studie, RCT). Sie bekommen dann eine bestimmte Therapie und werden mit einer Kontrollgruppe verglichen, also mit Menschen, welche die untersuchte Therapie nicht erhalten haben. Am Schluss der Studie schaut man sich das Outcome, zu deutsch „Ergebnis“, an: Es wird geprüft, ob es den behandelten Patienten entschieden besser geht als den unbehandelten und ob es ihnen nach der Therapie besser geht als vorher.

Die Wirksamkeit der Behandlung wird eingestuft

Auch psychotherapeutische Behandlungen werden gelegentlich nach folgenden Evidenzgraden „benotet“. Das sieht dann in etwa so aus:

Ia: Es gibt mehrere randomisierte, kontrollierte Studien, die die Wirksamkeit der Therapie belegen. Dies wurde in Metaanalysen festgehalten.
Ib: Es gibt mindestens eine randomisierte, kontrollierte Studie.
IIa: Es gibt mindestens eine kontrollierte Studie (ohne Randomisierung).
IIb: Es gibt mindestens eine quasi-experimentelle Studie.
III: Es gibt nicht-experimentelle, beschreibende (= deskriptive) Studien, z. B. Vergleichsstudien.
IV: Es gibt anerkannte Autoriäten auf dem Gebiet der Psychotherapie, welche die Therapie aufgrund von klinischer Erfahrung als wirksam erachten.
(Siehe auch: EBM-Netzwerk.de)

Psychoanalyse ist kein Medikament

Wer eine körperliche Erkrankung hat und für sich die beste Therapie sucht, für den kann der Evidenzgrad eine wertvolle Orientierung sein. Bei der Psychoanalyse ist das nicht so leicht, denn die Wirkung ist vielfältig. Ein Blutdruckmedikament kann leicht daraufhin überprüft werden, ob es den Blutdruck senkt oder nicht. Bei der Psyche ist das anders. Es lässt sich zwar mit Fragebögen erfassen, ob beispielsweise „Angst“ im Laufe einer Therapie zurückgeht. Doch was noch passiert, kann nicht so leicht erfasst werden. Ist stattdessen „Zwang“ entstanden? Oder ist die Angst zunächst geblieben, dafür aber an anderer Stelle mehr „Glück“ hinzugekommen?

Klinische und empirische Studien

Zur Verhaltenstherapie gibt es viele klinische Studien, in denen diese Therapieform gut abschneidet – zum Beispiel Studien zur Verhaltenstherapie bei Angststörungen.

Zur Psychoanalyse hingegen gibt es nicht so viele Studien, die eine Notenvergabe nach Evidenzkriterien erlauben. Hier gibt es sogenannte „empirische Studien“, bei denen die Daten von Patienten gesammelt und ausgewertet werden. Es lässt sich also der Zustand der Patienten vor einer Therapie mit demjenigen nach der Therapie vergleichen. Doch weil es oft keine Kontrollgruppe gibt, lassen sich die Ergebnisse nicht mit Studienteilnehmern vergleichen, die zwar an psychischen Störungen litten, aber keine Psychoanalyse erhalten haben.

Warum führen Psychoanalytiker weniger „kontrollierte klinische Studien“ durch als ihre verhaltenstherapeutischen Kollegen?

Schon bei der Diagnosestellung gehen analytische Therapeuten anders vor als Verhaltenstherapeuten. Statt der „Angststörung“ sehen die Analytiker die Angst im Zusammenhang mit vielen anderen möglichen Problemen, z.B. mit nicht genügend ausgereiften Persönlichkeitsanteilen. Zudem sind Psychoanalysen oft lang und ohne vorformuliertes Ziel. Es zeigt sich eher im Laufe der Behandlung, wohin die Reise geht. Einer „Kontrollgruppe“, also einer Gruppe von psychisch leidenden Menschen, bewusst diese intensive Therapieform vorzuenthalten, nur um zu schauen, was aus diesen Patienten wird, wäre ethisch nur schwer vertretbar.

Was wird gemessen?
Die Verhaltenstherapie hat bei bei manchen Störungen einen höheren Evidenzgrad als die psychoanalytische Therapie. Doch soll man mit seinen Beschwerden deshalb die Verhaltenstherapie vorziehen? Nein – man sollte sich klar machen, was da eigentlich gemessen wird und gemessen werden kann.
Ein Beispiel:
Eine Patientin soll vor einer Verhaltenstherapie in einem Studien-Fragebogen ausfüllen, ob sie ihre Wut kontrollieren kann. Sie antwortet mit „Nein“. Dann macht sie eine Verhaltenstherapie und antwortet am Ende der Therapie auf dieselbe Frage mit „Ja“. Die Therapie hatte also Erfolg, wenn man Fragen wie diese als Messpunkte nimmt.
Wer eine analytische Therapie macht, der wird vielleicht die gestellten Fragen ebenso beantworten. Doch darauf kommt es nicht unbedingt an. Wenn man mit dem Patienten spricht und fragt, was ihm in der psychoanalytischen Therapie am meisten gebracht hat, wird er vielleicht antworten: „Ich kann nun endlich mit mir selbst und mit anderen mitfühlen.“

Solche Punkte im Leben, an denen größere Zufriedenheit entstanden ist, können nicht unbedingt in Worte gefasst oder leicht abgefragt werden, aber der neue Lebensweg hat oft eine größere Bedeutung für die Patienten als die pure Symptomreduktion. Manche Symptome bleiben auch bestehen, doch der Patient kann sie verstehen und als Kompass nutzen, sodass nicht mehr krampfhaft versucht werden muss, die Beschwerden und das Leiden einfach „loszuwerden“.

Beweise sind nicht alles

Eine Therapie kann auf verschiedene Weise auf ihre Wirksamkeit untersucht werden. Der Evidenzgrad sollte nicht das alleinige Kriterium sein, nach dem man eine Psychotherapie auswählt. Die Evidence-based Medicine ist häufig wertvoll, doch manchmal wird sie zu sehr hochgejubelt – statt „based“ könnte man da auch „spaced“ verstehen …

„Bei differenzierter Betrachtung bedeutet EBM den bewussten, ausdrücklichen und wohlüberlegten Gebrauch der jeweils besten verfügbaren Informationen für Entscheidungen in der Versorgung eines individuellen Patienten.“
Quelle: Bernd Herrmann et al. Medizinische Diagnostik bei sexuellem Kindesmissbrauch. Konzepte, aktuelle Datenlage und Evidenz.
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 111 | Heft 41 | 10. Oktober 2014
http://www.aerzteblatt.de/pdf/111/41/m692.pdf

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Links:

Gunver Sophia Kienle (2008):
Evidenzbasierte Medizin und ärztliche Therapiefreiheit. Vom Durchschnitt zum Individuum.
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 105, Heft 25, 20. Juni 2008

Jonathan Shedler:
Where is the Evidence for Evidence Based Therapies? (2013/2014)
integral-options.blogspot.de

Jürgen Windeler et al. (2008):
Randomisierte kontrollierte Studien
Kritische Evaluation ist ein Wesensmerkmal ärztlichen Handelns
Deutsches Ärzteblatt, 14. März 2008

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 7.3.2008
Aktualisiert am 18.6.2015

Zusatztitel „Psychotherapie“ (fachgebunden): Was braucht man?

Ärzte mit einer Facharztanerkennung (auch Arbeitsmediziner) können den Zusatztitel „Psychotherapie“ erwerben. Dafür ist kein psychiatrisches Jahr mehr notwendig. Nach der etwa dreijährigen Weiterbildungszeit findet nur eine mündliche Prüfung statt, keine Multiple-Choice-Prüfung. Man kann sich für ein Verfahren entscheiden: entweder für die Verhaltenstherapie (VT) oder für die psychodynamische/tiefenpsychologische Psychotherapie (TP). Die Prüfungstermine bei der Ärztekammer finden dann statt, wenn auch die Facharztprüfungen stattfinden. Der Arzt muss sich selbst zur Prüfung bei der Ärztekammer anmelden.

Bei den verschiedenen Ausbildungsinstituten sieht die Weiterbildung jeweils etwas anders aus. Ich habe meine Weiterbildung bei der Psychoanalytischen Arbeitsgemeinschaft Köln-Düsseldorf (www.psychoanalyse-koeln.org) gemacht. Hier war eine Supervision nach jeder 4. Stunde bei einem Patienten vorgeschrieben. An einem Supervisionstermin kann man – je nach Supervisor – auch zwei Patienten besprechen.

Kann man in der Psychotherapie-Weiterbildung auch Kassenpatienten behandeln?

Während der Weiterbildung kann man über das Ausbildungsinstitut in der Regel auch Kassenpatienten behandeln. Das Behandlungskontingent bestand bei mir aus 225 Stunden, das heißt, ich konnte maximal vier gesetzlich versicherte Patienten à 50 Stunden und einen Patienten à 25 Stunden behandeln. Die von den Ärztekammern geforderten Mindestsitzungen finden sich auf den Websites der Ärztekammern. Krankenkassen rechnen mit dem Ausbildungsinstitut ab – die Therapie kann man als Arzt in den eigenen Praxisräumen durchführen. Man kann natürlich auch Selbstzahler behandeln – Hauptsache, man geht zur Supervision. Einige Ärzte bieten während ihrer Weiterbildung zum Psychotherapeuten Therapiestunden für 40 bis 60 € an.

Das Ende der Weiterbildung – die Prüfung vor der Ärztekammer

Am Ende der Weiterbildung findet eine Prüfung vor der Ärztekammer statt. Oft liegen die Prüfungstermine an den Tagen, an denen auch die Facharztprüfungen stattfinden. Die Prüfungs-Termine und die Daten des Anmeldeschlusses können auf der Website der Landesärztekammern abgerufen werden. Zur Prüfung muss man sich selbst anmelden.

Man benötigt zur Prüfungsanmeldung (bei den einzelnen Ärztekammern nachfragen):

  • das Facharztzeugnis und – falls vorhanden – die Promotionsurkunde (liegt der Ärztekammer vor, wenn man nicht das Bundesland gewechselt hat)
  • einen Dokumentationsbogen oder ein Logbuch über die Ausbildung
  • ein Zeugnis des Ausbildungsinstituts
  • Gutachten sind zur Anerkennung Psychotherapie-fachgebunden meines Wissens nicht notwendig

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Beitrag erschien erstmals am 10.5.2013
Aktualisiert am 17.6.2015

Gemeinsames Sorgerecht – ja oder nein?

Während Mutter und Vater es haben, erscheint es beiden manchmal wie die Hölle: das gemeinsame Sorgerecht. Obwohl eigentlich über nur wenige Punkte gemeinsam entschieden werden muss, können diese Punkte zu aufwühlenden Dramen führen. „Die Mutter stellt das Kind mit Ritalin ruhig, aber ich will das nicht“, sagt der Vater. „Der Vater besucht mit meinem Kind eine radikal-christliche Gemeinde – das geht nicht!“, sagt die Mutter. Über Monate und Jahre sind Mütter und Väter manchmal mit einem inneren und äußeren Kampf beschäftigt, der viel Kraft kostet. Es ist genau die Kraft, die ihnen für das Kind fehlt. Wäre es da nicht einfacher, wenn man das alleinige Sorgerecht hätte? Denkt der Vater. Und die Mutter.

Während man in einem kraftraubenden Kampf steckt, ist die Vorstellung, das alleinige Sorgerecht zu haben, so verlockend. „Der Kampf um das alleinige Sorgerecht kann sich möglicherweise über Jahre hinziehen“, sagt die Familienrichterin. „Ist mir egal“, sagt die Mutter. „Ich will einfach nur aus dieser Hölle raus, aus diesem Zwang, mich mit meinem größten Feind über mein Kind verständigen zu müssen.“ Verzweifelte Sätze wie diese hören Anwälte und Richter ständig. Besonders wenn Mutter oder Vater einen Anwalt kontaktieren, erscheint es sehr verlockend, das alleinige Sorgerecht zu beantragen. „Dann ist endlich Ruhe im Karton“, so denkt sich die Mutter. Und der Vater.

Das Sorgerecht ist ein Symbol

Sowohl die Mutter als auch der Vater fühlen sich – wenn alles gut geht – zutiefst mit dem Kind verbunden. Es ist ihr „Fleisch und Blut“. Das Kind ist das Herzblut der Mutter und des Vaters. Viele Väter kämpfen bis zum Rande der Erschöpfung um eine gute Bindung zu ihrem Kind, die ihnen oft so erschwert wird. Bindung ist nicht nur eine Frage der „Qualitätszeit“, sondern ganz besonders auch der Menge an Zeit, die man miteinander verbringt.

Für Väter ist es sowieso schon schwer, die Bindung zu ihrem Kind zu halten – wenn ihnen dann noch das Sorgerecht entzogen wird, sind sie erst recht „in Sorge“. Es macht wütend und ohnmächtig. Mit dem Entzug der „Sorge“ wird auch ein wichtiges Bindeglied gekappt. Es fühlt sich vollkommen unnatürlich an, sich für den Menschen, der einem näher ist als jeder andere auf dieser Welt, nicht mehr einsetzen zu können. Ist das Sorgerecht entzogen, kann der Vater das Kind nicht mehr beschützen – so sein Gefühl. Das Sorgerecht als Symbol der natürlichen Verbindung zu kappen bedeutet, auch innerlich einen Bruch in der Beziehung zum Kind herbeizuführen.

Die Mutter ist eingeschnürt

Auch viele Mütter bangen darum, dass ihnen das Sorgerecht entzogen wird. Die Bindungsforschung hat gezeigt, dass Väter eine ebenso enge Bindung zu ihren Kindern aufbauen wie Mütter (siehe www.khbrisch.de). Und doch sind Mütter gerade in der Anfangszeit durch das Erleben der Schwangerschaft und Stillzeit auf eine gewisse Art noch enger mit dem Kind verbunden. Das Attunement zwischen Mutter und Kind ist gerade am Anfang oft erstaunlich.

In einer gesunden Beziehung würde der Vater die Mutter darin unterstützen, diese enge Bindung zum Kind zu pflegen. Nach einer Trennung jedoch empfinden sich Mutter und Vater als Feinde. Der Vater scheint mit seinen Wünschen und Einwänden immer in die Harmonie zwischen Mutter und Kind zu preschen. Das empfinden die Mütter als unglaublich störend und auch die Kinder leiden darunter, weil die Mütter in der Zeit der Auseinandersetzung mit dem Vater emotional nicht ansprechbar sind. Die Vorstellung, allein mit dem Kind sein zu dürfen, also ohne Mitspracherecht des Vaters, erscheint den Müttern zunächst wie der Himmel auf Erden.

Der Zeitpunkt der Konflikte

Interessant ist, dass oftmals die Frage um das Sorgerecht in einer bestimmten Entwicklungsphase des Kindes auftaucht: Häufig im Alter von 2 bis 6 Jahren. Aus analytischer Sicht durchläuft das Kind in dieser Zeit die Entwicklungsstufe der Ödipalen Phase. In dieser Zeit wird das Thema Triangulierung besonders aktuell. Das Kind fühlt sich mal mehr zum Vater, mal mehr zur Mutter hingezogen.

Die Gefühlswelt der Eltern

Die Eltern kämpfen besonders während der ödipalen Phase des Kindes mit den Gefühlen der Eifersucht: „Ich tue den ganzen Tag alles für mein Kind und doch will es nur zum Papa“, klagt die Mutter. Das Kind ist innerlich wiederum damit beschäftigt, Vater und Mutter seine Liebe zu zeigen. Der häufig genannte „Loyalitätskonflikt“, der bei Trennungen auftaucht, taucht auch in der gesunden Mutter-Vater-Kind-Beziehung auf. Während der Trennungszeit wird er nur verschärft, aber er lässt sich nicht verhindern. Der Anspruch, keinen Loyalitätskonflikt aufkommen zu lassen, steckt oft hinter dem erhobenen Zeigefinger der Jugendamtsmitarbeiter, Erzieher, Psychologen, Anwälte und Richter. Aber dieses Idealbild wird sich in der Wirklichkeit nicht herstellen lassen.

Der Kampf dauert nicht ewig

In der Zeit des Kampfes mit dem anderen Elternteil erscheinen wenige Tage manchmal wie eine Ewigkeit. Doch die Sorgen, die inneren und äußeren Kämpfe werden nicht ewig dauern – sondern „nur“ ein paar Jahre. Und auch häufig „nur“ in bestimmten Phasen. „Bei uns ist es aber anders – da ist es besonders extrem“, denken viele Mütter und Väter in dieser Zeit. Es fühlt sich unter anderem so extrem an, weil Mutter und Vater trotz aller Hilfsangebote häufig nicht gut genug aufgefangen werden. Die Endlichkeit dieser aufwühlenden, oft krankmachenden Situation darf man sich aber dennoch ruhig vor Augen führen.

Psychotherapie kann entlasten

Besonders der Mutter hilft es in dieser Zeit oft, sich von einem Psychotherapeuten begleiten zu lassen. So ist sie mit ihren Entscheidungen, Sorgen und Ängsten nicht allein und stellt so etwas wie eine Triangulierung im Alltag her. Nach einigen Jahren lassen die Kämpfe oft tatsächlich wieder nach. Manchmal gibt es dann sogar wieder Situationen, in denen der andere Elternteil als Entlastung oder Schutz empfunden werden kann. Das alleinige Sorgerecht zu beantragen, mag für den Moment wie die beste Lösung erscheinen. Auf Dauer hören die Kämpfe jedoch oft nicht auf. So sagt eine Frau, die im Familiengericht als Übersetzerin arbeitet:

„Häufig treffen sich Mutter und Vater im Sorgerechtsstreit und auch danach viele Jahre lang vor Gericht. In all den Jahren ändert sich nichts – außer, dass die Kinder älter werden.“

Was in der anstrengenden Zeit der Kämpfe helfen kann:

  • Gesund bleiben ist oberstes Gebot.
  • Innerer Raum ist wichtig. Nicht sofort reagieren, sonst fliegen die Mails, SMS und Vorwürfe nur so hin und her. Raum schaffen zum Überlegen. Spannung aushalten lernen.
  • Hinter der Entwertung des anderen stecken oft Gefühle, die man nicht spüren will. Es kann hilfreich sein, sich auf die Suche nach den Gefühlen hinter der Entwertung zu begeben. Das schafft man oft leichter in einer psychoanalytischen Therapie.
  • Wenn man einmal in das „Gefühl der Dringlichkeit“ hineinspürt und versucht, das auszuhalten, merkt man, wie es wieder nachlässt.
  • Einen größeren Zeitraum im Blick zu behalten, hilft. Es ist nicht alles verloren, wenn man jetzt gerade Schaden nimmt.
  • Sich mit guten Menschen umgeben.
  • Sich von Idealbildern verabschieden.
  • Sich Zeit nehmen, zu trauern.
  • Langsam werden und immer nur auf den nächsten Schritt schauen.
  • Sich Kraft in der Natur holen. Barfuß über die Wiese laufen. Schwimmen gehen und das Wasser dabei beobachten. Immer wieder die „Stressachse“ (HPA-Achse) entlasten.

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Diesen Beitrag habe ich erstmals veröffentlicht im November 2014.
Aktualisiert am 8.6.2015

Ödipale Phase (= Phallische Phase): im Alter von

Nach der Theorie der Psychoanalytiker ist ein Kind (in unserer Kultur) zwischen dem vierten und sechsten Lebensjahr in der ödipalen Phase, auch „phallische Phase“ genannt (phallus = griechisch: Penis). Hier werden die Themen, die sich rund um das eigene Geschlecht, die Sexualität und die Geschlechterrollen drehen, besonders deutlich. Mädchen und Jungen entdecken intensiv den Unterschied zwischen den Geschlechtern. Doktorspiele sind jetzt beliebt. In dieser Zeit hört man von manchen Mädchen, sie wollten später den Vater heiraten. Sie spielen Prinzessin in dem Wissen, dass die Mutter die „Königin“ ist und sich nicht vom Thron werfen lässt. Wenn man Kinder in ihrer Entwicklung beobachtet oder Erwachsene psychoanalysiert, ist man erstaunt, wie vieles sich davon wiederfindet. Vieles ist uns nicht bewusst, sondern spielt sich in unbewussten Phantasien ab.

Der Begriff „ödipale Phase“ geht auf die griechische Ödipus-Sage zurück, in der Ödipus seinen Vater Laios tötet und seine Mutter Iokaste heiratet, ohne es zu wissen.

Viele Jungen suchen der Theorie nach in der ödipalen Phase besonders die Nähe zur Mutter. Sie möchten vielleicht nicht mehr alleine im eigenen Bett schlafen und bestehen darauf, dass sie nachts zur Mama krabbeln dürfen. Bei Mädchen mag es in dieser Zeit umgekehrt sein: Sie lieben ihren Papa über alles, während die Mama ihnen nichts mehr recht machen kann. Die Kinder gehen nach dieser klassischen Theorie einen Kampf mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil ein und wollen unbewusst diesen Elternteil aus dem Weg räumen. Nur so können sie den begehrten Elternteil ganz für sich gewinnen. Tatsächlich lassen sich Anteile dieser Theorie immer wieder bei Kindern beobachten. Die Wünsche der Kinder sind mit starken Ängsten verbunden. Diese Theorie ist jedoch auch kulturabhängig und immer mit gesundem Abstand zu betrachten.

Kastrationsangst ist die Angst, beschnitten zu werden

Viele Jungen fürchten sich laut Freuds Theorie vor der Rache des Vaters. Die „Kastrationsangst“ steht hierbei im Vordergrund. In Träumen und Phantasien zeigt sich die Angst des Jungen, dass seinem Penis oder anderen Körperteilen Schaden zugefügt wird. Er bangt um seine männliche Identität. In dieser Zeit haben viele Jungen, aber auch Mädchen, Angst vor lauten Geräuschen, vor Rasenmähern, bellenden Hunden, Staubsaugen und Kreissägen – eben vor allem, was zu Verletzungen führen könnte. Auch die Angst vor dem dunklen Keller oder dem Drachen unterm Bett kann da sein. Alte Erziehungsmethoden fördern diese Angst, wenn Erwachsene z.B. damit drohen, den Daumen abzuschneiden, wenn das Kind nicht aufhören will, daran zu nuckeln.

Den Mädchen bleibt nur der Pferdeschwanz

Viele Mädchen setzen sich mit dem fehlenden Glied auseinander. Man könnte sagen, sie haben das Gefühl, zu kurz gekommen zu sein. Auch als Erwachsene können wir uns noch bewusst machen, wie es sich anfühlt, „da unten“ „nichts“ oder eben einen Penis zu haben.

Unbewusst geben die kleinen Mädchen der Mutter die Schuld dafür, dass sie keinen Penis haben – so jedenfalls die Theorie der Psychoanalytikerin Melanie Klein (1882-1960). Das verstärke die inneren Kämpfe des Mädchens mit ihr. Auch hier wieder kann man sagen: Es ist gut, solche phantasievollen Denkweisen und Theorien zu kennen. Wir können solche Theorien bei manchen Kindern oder auch bei uns selbst in Träumen oder Phantasien wiederentdecken, aber sie sind kein allgegenwärtiges Gesetz.

Die Mädchen leiden nach Sigmund Freud am so genannten Penisneid. Der Begriff „Penisneid“ kann konkret oder auch symbolisch verstanden werden. Gemeint ist der Neid des Mädchens auf den Jungen bzw. der Frau auf den Mann. Der Neid, dass Männer zum Beispiel mehr Geld verdienen oder häufiger im Beruf mehr Macht haben, zählt im weiteren Sinne ebenfalls zum Penisneid. Natürlich begegnen wir im Alltag auch handfesten Ungerechtigkeiten. Doch vielleicht können wir uns einmal darauf einlassen, uns selbst zu erforschen: Wie fühlen wir uns körperlich als Frau in der Schamregion, wenn wir neben einem Mann liegen?

„Später heirate ich einen Mann“ – „Später heirate ich eine Frau“

Bei ihrer Entwicklung geben Mädchen und Jungen irgendwann ihren Kampf um den Vater bzw. die Mutter auf. Gemäss den Theorien von Sigmund Freud, Melanie Klein und anderen Psychoanalytikern „resignieren“ die Mädchen und Jungen und merken, dass sie ihren Wunsch, zu heiraten, vertagen müssen. Vater oder Mutter können sie jedenfalls nicht heiraten. Und sie können die Eltern auch nicht trennen, denn die Eltern gehören zusammen – im Idealfall. Lassen sich die Eltern trennen, haben die Kinder meistens große Schuldgefühle. Diese Schuldgefühle gehen zwar weit über die Themen der „ödipalen Phase“ hinaus, aber sie können doch damit zusammenhängen. Im Idealfall gehören die Eltern zusammen und lieben sich. Es gibt wohl kaum ein Kind, das dieses Vater-Mutter-Kind-Idyll nicht liebt. Wohl die meisten Kinder wollen die Eltern im Trennungsfall wieder zusammenführen.

Das Ende der ödipalen Phase – es kehrt Ruhe ein

Wenn die ödipale Phase beendet ist, haben die Kinder auch „sich selbst“ gefunden. Für das Kind bleibt, bildlich gesprochen, die Schlafzimmertür der Eltern zu. Das schmerzt das Kind einerseits, denn es bemerkt, dass es getrennt ist vom Elternpaar. Es merkt aber anderseits auch, dass es sich seiner selbst sicher sein kann. Es kann in Ruhe seine Sexualität, seine Geschlechtsidentität finden, ohne dass die Gefahr des sexuellen Missbrauchs besteht.

Die Jungen und Mädchen wenden sich wieder dem gleichgeschlechtlichen Elternteil zu. Das Mädchen „versöhnt“ sich mit der Mutter, der Junge mit dem Vater. Sie wollen vieles wieder gutmachen, weil sie sich schuldig fühlen, dass sie das gleichgeschlechtliche Elternteil so schlecht behandelt haben. Das Verhältnis zur Mutter bzw. zum Vater wird wieder liebevoller – der Dritte im Bunde wird akzeptiert (Triangulierung). Diese Phasen von Kampf und Versöhnung, von Anhänglichkeit, Bevorzugung oder Rückzug können immer wieder auftreten. Ab dem siebten Lebensjahr treten die Kinder, so Sigmund Freud, in die so genannte Latenzphase ein, die bis zur Pubertät anhält. Dann wird das Interesse für die Sexualität auf einer reiferen Stufe neu geweckt.

Hysterische Neurose als Folge ungelöster Probleme

Probleme im Erwachsenenalter, die mit der ödipalen Phase zusammenhängen (z.B. übertriebenes Konkurrenzdenken oder ständige Feindschaften zum gleichen Geschlecht, wiederholtes und schmerzhaftes Verlieben in verheiratete Männer oder Frauen, hypochondrische Ängste, Folgen von Missbrauchserlebnissen) wurden in psychoanalytisch traditioneller Sprache als „hysterische Neurose“ bezeichnet. Heute ist es mit den Erkenntnissen der Säuglings- und Traumaforschung komplizierter geworden und Folgen von Missbrauchserlebnissen werden z.B. als komplexe posttraumatische Belastungsstörung (kPTBS) diagnostiziert.

Die ödipale Phase ist eng verknüpft mit der Gefahr des sexuellen Missbrauchs in der Familie. Wenn die Eltern keine stabile Partnerschaft haben und Väter und Mütter emotional durchgerüttelt oder traumatisiert sind, dann nehmen sie die liebevoll-wilde Annäherung („Verführung“) des Mädchens/des Jungens leicht an und sexueller Missbrauch kann entstehen. Natürlich hat hier das Mädchen/der Junge keine Schuld. Die Kinder befinden sich in einem gesunden Entwicklungsstadium. Es ist Aufgabe von Vater und Mutter, die Grenze zu ziehen – sind sie geschwächt, brauchen sie Hilfe, die möglichst nicht moralisierend ist.

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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 29.7.2012
Aktualisiert am 3.6.2015

Psychoanalyse bei einem Analytiker in Ausbildung – ist das gut?

"Ich würde nicht zu einem Psychoanalytiker in Ausbildung gehen", sagt eine Bekannte. "Als Patient kann einem nichts Besseres passieren, als von einem Psychoanalytiker in Ausbildung behandelt zu werden", sagt ein Supervisor. Was sind die Vor- und Nachteile in d...

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Angststörung: Ängste kommen ohne vorherige Bewertung

„Immer wieder überfallen mich meine Ängste“, sagt eine Angstpatientin. „In der Klinik habe ich gelernt, dass es etwas damit zu tun haben muss, dass ich eine Situation fälschlicherweise als gefährlich bewerte, obwohl sie es nicht ist. Auch meine körperlichen Symptome bewerte ich dann als etwas Schlimmeres, als sie sind.“ Diese Erklärung kam mir immer unlogisch vor. Entscheidend ist doch die „innere Gefahr“. Mag sein, dass die Angstattacken in dem einen oder anderen Fall etwas mit „Bewertung“ zu tun haben. Meistens kommen die Ängste jedoch so schnell und unvermittelt, dass ich nicht glaube, dass es irgendetwas mit „Bewertung“ zu tun hat.

Oder anders gesagt: Es handelt sich meistens wahrscheinlich nicht um eine „bewusste“ Bewertung. Häufig haben die Betroffenen vorher unbewusst etwas gefühlt oder gedacht, bevor die Angst auftrat. Bei manchen Menschen tritt eine Angstattacke dann auf, wenn sie vorher Ärger verspürt, aber diesen dann nicht zugelassen haben. Auch andere unbewusste Vorgänge können sich vor einer Angstattacke abspielen: Neid, sexuelle Phantasien oder Wünsche nach Unabhängigkeit sind nur wenige Beispiele. Irgendetwas in der aktuellen Situation ruft diese unbewussten oder halbbewussten Vorgänge hervor – ein Geruch, eine bestimmte Situation mit einem anderen oder ein bestimmtes Bild. Und dann gibt es sozusagen einein Selbstläufer, einen „Autorun“ im Inneren, der nicht viel mit bewusster Bewertung zu tun hat.

Das autonome Nervensystem spielt eine große Rolle

„Plötzlich hatte ich wieder diesen furchtbaren Durchfall“, sagt ein Patient. „Immer bekomme ich Atemnot in Momenten, in denen ich es mir gar nicht erklären kann“, sagt eine Bekannte. Bei Ängsten reagiert der Körper immer mit. Hier spielt das autonome Nervensystem eine große Rolle. Hierfür gibt es verschiedene Erklärungsmodelle. Ich finde die Polyvagal-Theorie von Professor Dr. Stephen W. Porges interessant. Hiernach ist der Nervus vagus, also der 10. Hirnnerv, sowohl am sozialen Geschehen als auch an den körperlichen Reaktionen beteiligt. Sehr gut erklärt ist die Polyvagaltheorie auf der Website des Schweizer Kinderarztes Dr. med. Cyril Lüdin.

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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 20.10.2014
Aktualisiert am 3.5.2015

„Die Vojta-Therapie tut den Babys nicht weh“

Viele Menschen, die sich berühren lassen von dem Schreien der Babys während der Vojta-Therapie glauben, die Babys würden vor Schmerz schreien. Die Vojta-Therapeuten sagen, das sei nicht der Fall. Abgesehen davon, dass ein Baby sich dazu noch nicht mit Wörtern äußern kann, glaube ich auch, dass die Vojta-Therapie normalerweise nicht körperlich schmerzhaft ist. Was das furchtbare Schreien auslöst ist meiner Meinung nach das pure Entsetzen, wenn das Baby merkt, dass die Erwachsenen es einfach weiter einquetschen, obwohl es Angst hat. Und das ist ein enormer Schmerz. Die meisten Mütter reagieren natürlich und würden der Therapeutin am liebsten ihr Kind wieder entreißen. Weiterlesen

37 Wie werde und bleibe ich Psychoanalytiker*in? Auf die Ohren achten

Ein Psychoanalytiker kann wohl blind seinen Beruf ausüben, nicht aber gehörlos. Psychoanalyse auf der Couch in Gebärdensprache funktioniert leider nicht. Psychoanalytiker fürchten sich daher besonders vor einer Schwerhörigkeit. Denn die Voraussetzung für gutes...

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Empirisch belegt – was heißt das?

"Empireia" ist griechisch und heißt "Erfahrung". Wenn eine Therapie empirisch belegt ist, kann das heißen: Die Wirksamkeit ist durch Erfahrung offensichtlich oder sie wurde durch Beobachtung oder Experimente belegt. Sie ist also "wissenschaftlich" nachgewiesen...

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