Am Anfang des Lebens eines Kindes steht die enge Beziehung zur Mutter. Das Kind war neun Monate lang aufs engste mit der Mutter verbunden, dann folgt die Stillzeit. Wie in einer Symbiose verbringt das Mutter-Kind-Paar die ersten Wochen miteinander. Doch so bleibt es natürlich nicht – und das ist gut so. Der Vater als „trennender Dritter“ sorgt dafür, dass das Kind den Weg nach draußen findet. In dieser frühkindlichen Triangulierung lernt das Kind, dass es sich ruhig von der Mutter trennen kann und dabei von einem Dritten, dem Vater, aufgefangen wird. Gleichzeitig wird aber auch unter seinem Schutz die enge Beziehung zur Mutter möglich. Somit verbindet und trennt der Vater gleichzeitig.
Der rettende Dritte
Der anwesende Vater entspannt die Zweiersituation zwischen Mutter und Kind, die ja keineswegs immer nur harmonisch ist. Diese Bedeutung des „Dritten“, der für Entspannung und Schutz sorgt, ist ein Leben lang eine wichtige Vorstellung. Erwachsene, die immer wieder in Gewaltsituationen verstrickt sind, haben die Erfahrung des „rettenden Dritten“ in der Kindheit oft nicht machen dürfen. Und so geraten sie oft in eine scheinbar auswegslose Nähe zum Nächsten, die nur durch Gewalt beendet werden kann.
In der Vorstellung einen Dritten zu haben (innerliche Triangulierung), kann trösten, entlasten und schafft Raum. Etwas Drittes ermöglicht Abstand zur aktuellen Situation und eröffnet auch den Raum zum Spielen. Hin und Her kann sich das Kind mit einem Dritten im Bunde bewegen und ausprobieren.
Viele psychoanalytische Kindertherapeuten stellen fest, dass das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) unter anderem mit der Suche nach dem abwesenden Vater zusammenhängt. Aus der konkreten Erfahrung der „Triangulierung“ entstehen vielfältige Fähigkeiten: Neugier und die Fähigkeit, sich Neuem zuzuwenden oder etwas Neues zu lernen gehören dazu. Ebenso die Fähigkeit, sich aus alten Beziehungen zu lösen und neue Kontakte zu knüpfen.
Der störende Dritte
Neben der frühkindlichen Triangulierung in der Babyzeit gibt es späterhin auch die ödipale Triangulierung (Dreieckskonstellation). Hiermit ist gemeint, dass das etwa 3- bis 6-jährige Kind lernt, den Dritten im Bunde zu akzeptieren. Mutter und Vater stellen eine Einheit dar, rufen Eifersucht im Kind hervor und auch das Gefühl von Ausgeschlossensein und Getrenntsein. Gleichzeitig wird das Gefühl von Eigenständigkeit im Kind gestärkt.
Dass Vater und Mutter so eng zusammengehören, bietet dem Kind auch Schutz – z.B. vor Inzest. Dennoch wäre es dem kleinen Kind oft am liebsten, es könnte den gegengeschlechtlichen Elternteil ganz für sich gewinnen. In der ödipalen Phase lernen die Kinder zu akzeptieren, dass das nicht möglich ist. Verläuft die Entwicklung gesund, können die Kinder diese Phase irgendwann zufrieden abschließen. Die Tochter versöhnt sich mit der Mutter, der Sohn mit dem Vater. Diese Phase ist besonders wichtig für die eigene, „seelische“ Geschlechtsfindung.
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Links:
Hans-Geert Metzger:
Die Angst der Väter vor der frühen Kindheit
Psychoanalyse aktuell, Juli 2006
Hans-Geert Metzger:
Psychoanalyse des Vaters
Rezension auf Socialnet.de, September 2008
Hans-Geert Metzger:
Die Idealisierung des Vaters ist in der frühen Kindheit die Regel
Psychologie heute 3/2010: 40-45
Frank Dammasch, Dieter Katzenbach, Hans-Geert Metzger, Vera Moser, Jessica Ruth:
Strukturelle Lernstörung und emotionale Erfahrung
Triangulierung als beziehungsdynamische Grundlage schulischer Lern- und Bildungsprozesse
(PDF)
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 2.2.2011.
Aktualisiert am 12.9.2014
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