Die Psychoanalytikerin Marianne Leuzinger-Bohleber, ehemalige Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts Frankfurt, hat ein beeindruckendes Buch über die psychische Entwicklung des Kindes geschrieben. Das Buch Frühe Kindheit als Schicksal macht deutlich, wie komplex die kindliche Entwicklung verläuft und wie unsagbar wichtig die enge Beziehung zu den Eltern und anderen Bezugspersonen ist. Leuzinger-Bohleber beschreibt, wie Kinder Gefühle lernen und woran die Entwicklung vieler Kinder scheitert. Dieses Buch zeigt aber auch, dass psychische Störungen wie z. B. das Aufmerksamkeitsdefizit-Hpyeraktivitätssyndrom (ADHS) kein genetisches Schicksal sind. Viel zu häufig wird von einfachen Stoffwechselstörungen ausgegangen, ohne die Situation des Kindes weiter zu hinterfragen. Dabei verdeutlicht dieses Buch anhand von Therapieverläufen, dass hinter der Diagnose ADHS oft problematische Familienverhältnisse stehen. Das Fallbeispiel von Max zeigt, wie eine psychoanalytische Therapie bei ADHS gelingen kann (S. 171-172).
Dass die Möglichkeiten der Psychoanalyse relativ selten zur Sprache kommen, liegt unter anderem daran, dass die Wissenschaft auch in Bezug auf die Psychotherapie alles „messen“ will. Vieles lasse sich bei psychischen Vorgängen jedoch nicht messen, sondern eher erzählen, so die Autorin. Durch Einsichten und emotionale Erfahrungen verändern sich die Kinder in der Therapie. Vieles lässt sich jedoch kaum messen, sondern eben nur beschreiben. Marianne Leuzinger-Bohleber gibt in ihrem Buch viele Antworten auf Fragen, die häufig gestellt werden – beispielsweise erklärt sie, wie Aggressionen bei Jugendlichen entstehen und auf welchen Ebenen Kinder und Familien erreicht werden können, um destruktivem Verhalten, Hyperaktivität oder Depressionen vorzubeugen. Dabei ist die Sprache recht kompliziert, so dass sich dieses Buch wohl eher an hochspezialisierte Fachleute richtet.
„Fonagy und seine Mitarbeiter definieren Mentalisierung in der Folge einer philosophischen Tradition, die von Brentano (1973/1874), Dennett (1978) und anderen begründet und als eine Form vorbewusster imaginativer mentaler Aktivität verstanden wurde, in deren Rahmen menschliches Handeln in Begriffen von ‚intentionalen‘ Geisteszuständen gedeutet wird.“ (S. 113)
Solch ein Satz kann sogar für Experten schwierig sein. Wünschenswert wäre es, dasselbe Buch noch einmal in einer Sprache herauszubringen, die von jedem verstanden wird. So könnten auch Erzieher, Lehrer und Eltern von dem breiten und höchst interessanten Wissen profitieren, das in diesem Buch steckt.
Buch:
Marianne Leuzinger-Bohleber
Frühe Kindheit als Schicksal?
Trauma, Embodiment, Soziale Desintegration.
Psychoanalytische Perspektiven.
Mit kinderanalytischen Fallberichten
von Angelika Wolff und Rose Ahlheim
Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2009
Zwei Wissenschaftler, die sich mit ADHS beschäftigen. Zwei ähnlich klingende Namen – und doch zwei völlig unterschiedliche Ansätze. Der Psychiater Russel Barkley erklärt das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) aus biologischer Sicht und empfiehlt Verhaltenstherapie und Medikamente. Auf seiner Website www.russellbarkley.org finden Patienten viele hilfreiche Informationen. Tiefenpsychologische Erklärungen lassen sich hier jedoch fast gar nicht finden. Der Kinderpsychiater Helmut Bonney hingegen geht von der Plastizität des Gehirns aus und sagt, dass sich ADHS auch ganz ohne Medikamente verbessern kann.
WeiterlesenForscher haben durch bildgebende Verfahren herausgefunden, dass das Gehirn von ADHS-Patienten an verschiedenen Orten um 3-5% „kleiner“ ist als das Gehirn Gesunder. Von diesen „Volumenminderungen“ betroffen sind: die Frontallappen (= Vorderhirn, rechts mehr als links), das Corpus callosum (= der „Balken“ des Gehirns, die Verbindung zwischen rechter und linker Hirnhälfte), die Basalganglien (besonders der rechte Nucleus caudatus), der Globus pallidus und das Cerebellum (Kleinhirn). Weiterlesen
Der SDQ ist ein einfacher Fragbogen zu den Stärken und Schwächen von Kindern und Jugendlichen im Alter von 3-16 Jahren. Er wurde von dem britischen Psychiater Robert Goodman entwickelt und wird oft zur Diagnose der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) eingesetzt. Der Fragebogen wird von Eltern und/oder Lehrern ausgefüllt. Ältere Kinder können auch eine Selbsteinschätzung abgeben. Wie so ein Fragebogen aussieht, wird auf der Homepage des Kinderarztes Dr. Hans-Dieter Hüwer gezeigt. Englischsprachiger Link für Fachleute: www.sdqinfo.com. Weiterlesen
Seit dem Jahr 2003 forscht das Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt daran, ob sich dem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) vorbeugen lässt. Die sogenannte „Frankfurter Präventionsstudie“ wurde an 14 Kindertagesstätten mit insgesamt 500 Kindern durchgeführt. Dazu gab es eine ebenso große Kontrollgruppe. Leiterin des Projektes ist Professor Marianne Leuzinger-Bohleber.
WeiterlesenAm 27.12.2002 gab das Bundesministerium für Gesundheit ein Eckpunktepapier (Konsensuspapier) zur Diagnose und Behandlung von ADHS heraus. Das Eckpunktepapier fasst die Ergebnisse einer Konsensuskonferenz zusammen, an der unter anderem Kinderpsychiater, Elternvertreter und die damalige Drogenbeauftrage der Bundesregierung, Marion Caspers-Merk, beteiligt waren. Weiterlesen