Die Augenlider so heiß. Das Fieber, es will nicht sinken. Jeder Knochen schmerzt. Schwer wiegen die Geldsorgen. Noch einmal den Gang zur Toilette wagen. Am besten das Handy mitnehmen – man weiß nie, ob nicht die Beine versagen. Der Weg zurück ins Bett ist geschafft. Gegen vier kommt der Schlaf aus der Ferne. Wie ein wohltuender Schleier legt er sich über den Körper. Erst zaghaft, dann sicher und fest. Und wie durch einen fernen Nebel erklingen zwei Silben: „Ma-ma.“ Das Kind, es ist erkältet und braucht etwas zu trinken. Immer im Dienst. Immer im Dienst. (Text & Bild: © Dunja Voos) Weiterlesen
„Es ist hart“, sagt die Mutter. Und sucht Anerkennung. „Da siehste mal, wie das für mich war!“, sagt deren Mutter. Auch sie sucht Anerkennung. Müde gehen sich beide mit ihren Blicken aus dem Weg. „Ich mach‘ es besser“, denkt die Tochter. Denkt die Mutter. Und die Mutter, die Tochter beendet den Kampf nicht. Anerkennung kann so nicht kommen. Zu alleingelassen waren beide viel zu lange. Lassen ist die Medizin. Weiterlesen
„Gerade wolltest du noch Roller fahren! Ich hol‘ dir jetzt nicht dein Fahrrad raus! Du musst schon wissen, was du willst!“, sagt die Mutter, die gerade ihr Fahrrad aus der Garage zieht. Der „Eben-wolltest-du-noch-Satz“ ist einer der Sätze, der am häufigsten von Eltern zu hören ist. Die Eltern sind verärgert, schütteln den Kopf, wollen dem Kind klarmachen, dass es so nicht geht. Dabei spricht das Kind nur aus, was in ihm vorgeht und was wir auch als Erwachsene nur allzu gut kennen: „Irgendwie liebe ich ihn, aber ich hasse ihn auch“, „Ich will ja den neuen Job, aber beim alten weiß ich, was ich habe. Meine Wünsche wechseln stündlich.“ (Text & Bild: © Dunja Voos) Weiterlesen
Ob wir uns einen Infekt einfangen oder nicht, ist auch eine Frage von „Resistenz und Virulenz“. Das heißt einerseits: Je aggressiver ein Virus, desto leichter erwischt er uns („hohe Virulenz“ des Virus). Andererseits heißt es: Je resistenter wir sind, desto schwerer fällt es den Viren, uns anzugreifen („hohe Resistenz“ des Menschen). Wir wissen aus dem Alltag, dass Stress uns anfällig für Infekte machen kann. Diesen Mechanismus bezeichnen Wissenschaftler als „Open-Window-Phänomen“: Das Immunsystem fährt bei Stress herunter und öffnet Keimen Tür und Tor. Kleinkinder geraten besonders dann in Stress, wenn wir Erwachsenen ihnen zu viele Trennungen zumuten müssen. Wenn die Lieblingskindergärtnerin Urlaub hat oder das Kind länger in der Kita bleiben muss, als es verkraften kann, dann wird es infektanfällig.
Mithilfe eines Infektes holt sich das Kind wieder die Nestwärme, die es braucht. Viele Kinder gehen gerne in die Kita. Manche jedoch zeigen deutlich, dass ihnen die Trennung zu viel ist. Und das ist auch völlig normal bei kleinen Kindern. Und der Mutter geht es oft genauso: Es fällt ihr schwer, sich von ihrem Kind zu trennen und es weinend in der Kita zu lassen. Das ist gesund und keineswegs krank oder symbiotisch, wie viele Mütter befürchten.
Die Psychoanalytikerin Ann-Kathrin Scheerer sagt: Krippenkinder sind infektanfälliger als „Familienkinder“ – das ist lange bekannt, und wird immer noch allzu häufig als ‚willkommene Immunisierung‘ rationalisiert. Man muss aber jeweils differenzieren, ob die Krankheitsanfälligkeit nicht in vielen Fällen eher ein psychosomatisches Stressymptom darstellt.“ (Ann-Kathrin Scheerer: „Krippenbetreuung als ambivalentes Unternehmen“. Psychoanalyse-aktuell, Oktober 2008)
Natürlich fliegen in der Kita besonders viele Keime herum. Die Infektanfälligkeit, die durch „Bindungsmangel“ hervorgerufen wird, sollte jedoch nicht unterschätzt werden – besonders dann, wenn eine Kita personell schlecht ausgestattet ist oder wenn das Personal selbst unter einem schlechten Klima leidet.
Harriet J. Vermeer & Marinus H. van Ijzendoorn (2006):
Children’s elevated cortisol levels at daycare: A review and meta-analysis.
Early Childhood Research Quarterly, 21, 390-401; doi: 10.1016/j.ecresq.2006.07.004
http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0885200606000421
Hardy AM, Fowler MG (1993):
Child care arrangements and repeated ear infections in young children.
(Division of Health Interview Statistics, National Center for Health Statistics, Hyattsville, MD 20782)
Am J Public Health, September 1993; 83(9): 1321–1325
Dieser Beitrag erschien erstmals am 28.8.2011
Aktualisiert am 18.11.2022
Das englische Wort „to injure“ heißt „verletzen“. Gleichzeitig steckt darin das Wort „Ungerechtigkeit“. Wohl kaum etwas trifft einen Menschen härter als ein Brief vom Anwalt. Plötzlich fühlt man sich ohnmächtig und ausgeliefert. Rechtsstreitereien finden oft statt zwischen Menschen, die sich nahestehen: zwischen Vater und Mutter eines Kindes, zwischen Kind und Vater/Mutter, zwischen Nachbarn, zwischen Geschwistern. „Das ist ungerecht!“, fährt es uns durch den Kopf und unser Herz zieht sich zusammen.Weiterlesen
Es haut einen um, dieses unglaubliche Krankheitsgefühl. Plötzlich ist es da, mitten in der Nacht. Man möchte aufstehen, doch die Beine tragen kaum. 39 Grad und höher, wie aus heiterem Himmel. Der Kopf ist zu wie bei einer Nasennebenhöhlenentzündung. Das körperlich-sinnlich-emotionale Resonanzsystem ist abgeschaltet. Wie betäubt ist man von: Grippe. Weiterlesen
Es gibt unangenehme Gefühle wie Angst, Scham, Neid, Wut, Eifersucht und Schuldgefühle – aber am schlimmsten sind wohl die Gefühle der Leere. Sich wie ein leerer Raum zu fühlen, in dem es keine Beziehungen und keinen Sinn gibt und in dem sich Langeweile und Einsamkeit wie ein riesiger Schlund öffnen, macht vielen Menschen Angst. Die meisten Menschen wollen Gefühle der Leere unbedingt vermeiden, obwohl auch sie zum Leben gehören. Weiterlesen
„Die Deutschen werden immer dicker“, heißt es. Die „Wohlstandsgesellschaft“ sei schuld. Doch ist es nicht in vielerlei Hinsicht eine Mangelgesellschaft? Wir haben einen Mangel an Sonnenuntergängen, die wir betrachten können, weil wir alles verbaut haben. Wir haben einen Mangel an klaren Bächen, an frei stehenden Obstbäumen, an Parkplätzen, an Platz überhaupt, an Wiesen und Feldern, an Bäumen, auf die wir klettern dürfen, an Mücken, die wir jagen können und an Spielplätzen für Erwachsene. Wir haben einen Mangel an Zweisamkeit, Dreisamkeit und Gesellschaft. Einen Mangel an Dreigängemenüs in Gesellschaft, an Schlaf, an Dunkelheit in der Nacht. Einen Mangel an Bewegung, weil die Natur dazu fehlt. Einen Mangel an Hausmusik und Gesang, an festen Essenszeiten und Mittagsschlaf, an selbstgemachten Tiramisus, an Fenstern, die sich öffnen lassen, an Treppen, an Bänken am Wegesrand. Einen Mangel an Zeit und Raum und Stau-Freiheit, einen Mangel an freien Kühen, glücklichen Hühnern und Augen, die auch mal zugedrückt werden. Und wir haben einen enormen Mangel an Berührung.
Das macht dick. Nichts sonst.
Dieser Beitrag erschien errstmals am 28.7.2016
Aktualisiert am 7.5.2019