Willkommen

Feuchtwerden (Lubrikation) als Reflex bei sexueller Gewalt: Warum sich Opfer schuldig fühlen

Sexuelle Erregung bei Frauen geht mit dem Feuchtwerden (Lubrikation) der Scheide einher. Schon 10-30 Sekunden nach dem erregenden Reiz kann die Scheide feucht sein. Doch die Lubrikation tritt nicht nur bei Erregung auf. Bei manchen Frauen, die sexuell missbraucht wurden, lassen sich kaum Verletzungen feststellen. Die Wissenschaftlerin Elisabeth Lessels geht in ihrer Dissertation davon aus, dass die Lubrikation auch ein Reflex sein kann, mit dem der Körper reagiert, um die Scheide zu schützen.

Es kommt also vor, dass die Scheide reflexhaft mit Feuchtwerden reagiert, auch wenn die Frau nicht erregt ist oder wenn sie einer Gewalttat ausgesetzt ist. Der Reflex verhindert, dass es zu größeren Verletzungen in der Scheide kommt.

Rettung in der Not

Eine weitere Möglichkeit ist, dass die Psyche die unerträglichen Gewaltzustände sozusagen „um-switcht“, um sie erträglicher zu machen. Manche Missbrauchs-Opfer berichten, dass sie selbst – wenn auch nur für kurze Momente – erregt waren.

Kinder, die missbraucht werden, fordern manchmal von sich aus das Procedere ein, damit sie in ihrer Ohnmacht wenigstens selbst den Zeitpunkt des Beginns der Qual bestimmen konnten.

Die Feststellung der Opfer, für Momente selbst erregt gewesen zu sein, ist ganz schrecklich für sie, denn sie können das nicht einordnen, weil die Situation an sich unvorstellbar schrecklich war. Doch wenn der Körper in eine unaushaltbare Situation kommt, versucht er, sich zu helfen. Bei Schmerzen werden Endorphine produziert. Bei sexueller Erregung steigen Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin und Prolaktin an (siehe Focus.de). Wenn die Stresshormone sowieso schon erhöht sind, können auch Gefühle leicht umschlagen.

Später

Manchmal werden unaushaltbare Erlebnisse auch im Nachhinein, in der Erinnerung sozusagen, „sexualisiert“. Die „Nachbearbeitung“ in der Psyche bewirkt, dass die Gewalt in der Erinnerung anders erlebt wird als in dem Moment, in dem sie geschah. Es kann also sein, dass sich später, wenn man sich an die schreckliche Situation erinnert, Erregung hinzumischt. Diese Zusammenhänge könnten auch erklären, warum sich Missbrauchsopfer oft so schuldig fühlen.

Die Ärztin Emily Nagosky erklärt in einem TED-Video den Begriff „Arousal Nonconcordance„. Sie beschreibt sehr gut, wie ein sexueller Stimulus zur feuchten Scheide oder zur Erektion führen kann, obwohl der Betroffene nicht erregt ist. Sie vergleicht es z.B. mit dem Biss in eine schimmelige Frucht, der auch zu erhöhter Speichelsekretion führt, obwohl man die Frucht nicht essen möchte. Sie erinnert daran, dass der Pawlowsche Hund beim Erklingen der Glocke mit erhöhter Speichelsekretion reagiert, obwohl er ja nicht die Glocke fressen will, sondern das Fressen, das dem Glockenton folgt. (Siehe: Emily Nagosky, Ph.D. The Truth about unwanted Arousal, Youtube)

Verwandte Artikel in diesem Blog:

Literatur:

Lessels, Elisabeth:
Female sexual arousal response to implied sexual violence.
The University of Texas at Austin
https://repositories.lib.utexas.edu/handle/2152/18981

Exton, Natalie et al. (2000):
Neuroendocrine response to film-induced sexual arousal in men and women.
Psychoneuroendocrinology, Volume 25, Issue 2, February 2000: 187-199

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 13.9.2018
Aktualisiert am 30.1.2022

Körper, Trance und Psychoanalyse: Wie die Trennung entstand

Im Jahr 1887 malte Pierre Aristide André Brouillet (1857-1914) das berühmte Bild "At the Medicine School" ("Eine klinische Lektion an der Salpêtrière") über die Hypnose. Es zeigt die hysterische Blanche Wittmann (1859-1913), die sich von dem Neurologen Jean-Ma...

Dieser Beitrag ist nur für Mitglieder sichtbar.

Jetzt Mitglied werden

Trotz und Liebe: Mein Kind bleibt einfach stehen

Manchmal verstehen wir uns selbst nicht mehr: Wir sind einfach „trotzig“, obwohl wir es gar nicht wollen. Wir geben uns stachelborstig, obwohl wir in den Arm genommen werden wollen. „Trotzen“ kommt von „Trutzen“, was so viel heißt wie Widerstand leisten, aber auch mutig sein. Im Trotz werden gebeten, etwas zu sagen oder zu tun und machen es gerade deshalb nicht. In der Psychoanalyse spricht der Patient auf einmal nicht weiter. Früher sagte man vorrangig, er widersetze sich, leiste „Widerstand“. Natürlich kann das auch der Grund sein. Doch heute sieht man auch, dass ein Patient schweigt, wenn er sich erstmal innerlich sortieren will. Wer trotzig ist, fühlt sich häufig ohnmächtig und wie von vielen Zwängen hypnotisiert. Weiterlesen

Psychoanalytische Theorien des Denkens (Buchtipp)

Im Buch "Psychoanalytische Theorien des Denkens", geschrieben von der Psychoanalytikerin Martina Feurer (DPV, Freiburg), geht es um die Theorien des Denkens von Sigmund Freud, Donald Winnicott, Piera Alagnier, Wilfred Ruprecht Bion und Andre Green.
Ausschnitt...

Dieser Beitrag ist nur für Mitglieder sichtbar.

Jetzt Mitglied werden

Psychoanalyse ist auf lange Sicht wirksam

Wissenschaftler um Paul Knekt, Helsinki, Finnland, haben 326 Patienten mit Stimmungs- und Angststörungen in einer Vergleichsstudie untersucht: Die Patienten erhielten entweder eine lösungsorientierte Kurzzeittherapie, eine psychodynamische Kurzzeittherapie ode...

Dieser Beitrag ist nur für Mitglieder sichtbar.

Jetzt Mitglied werden

Übergangsraum: zwischen Phantasie und Realität

Der psychoanalytische Begriff "Übergangsraum" wurde von dem Psychoanalytiker Donald W. Winnicott geprägt. Damit meinte er einen Raum, der zwischen Innenwelt und Außenwelt, also zwischen Ich und Nicht-Ich besteht. Dieser Raum ist für Säuglinge immens wichtig. D...

Dieser Beitrag ist nur für Mitglieder sichtbar.

Jetzt Mitglied werden

Spaltung

Das "Spalten" der Menschen mit einer Borderline-Störung wird oft einfach als "unreife" Abwehrform angesehen. Der Psychoanalytiker Don Carveth (IPA) erklärt in einem seiner Youtube-Videos, warum die Spaltung jedoch der erste reife Schritt der Psyche ist. Er bez...

Dieser Beitrag ist nur für Mitglieder sichtbar.

Jetzt Mitglied werden

Störungen des Körperbildes hängen auch mit unsicheren Bindungen zusammen

Wenn Du an einer Angststörung leidest, dann hängt Deine Angst möglicherweise auch damit zusammen, dass es Dir Angst macht, von anderen Menschen abhängig zu sein. Angewiesen zu sein auf andere Menschen bedeutet, darauf zu hoffen, dass die anderen es gut mit Dir...

Dieser Beitrag ist nur für Mitglieder sichtbar.

Jetzt Mitglied werden

„Ich hab’s doch geahnt!“ Rupert Sheldrake über Telepathie und Intuition

Manche Menschen können es besser, andere schlechter: etwas erahnen. "Das ist Mama. Ich hör's am Klingeln" - wahrscheinlich hat jeder schon erlebt, dass genau derjenige anruft, an den man gerade dachte. Der britische Biologe Rupert Sheldrake ist ein Wissenschaf...

Dieser Beitrag ist nur für Mitglieder sichtbar.

Jetzt Mitglied werden

Beängstigende Telepathie: Das Nicht-Verstandenwerden ist oft das Problem

Das "Telepathische" ist nah an der Psychose: Auch in der Psychose glaubt der Betroffene, der andere könne seine Gedanken lesen oder er wisse sicher, was der andere denkt. Das Problem dabei ist, dass der Psychotiker sich nicht innerlich vom anderen trennen kann...

Dieser Beitrag ist nur für Mitglieder sichtbar.

Jetzt Mitglied werden