„Es ist wichtig, frühzeitig mit einer Psychotherapie zu beginnen, damit es nicht chronisch wird.“ Diesen Satz liest und hört man überall. Ich wage das zu bezweifeln. Angststörungen, Depressionen und andere Leiden fallen meistens nicht vom Himmel. Wohl immer gibt es eine jahrelange Vorgeschichte. Wohl die meisten Geschichten beginnen in der Kindheit. Nicht selten ist die Forderung nach „frühzeitiger Psychotherapie“ ein Geschäft mit der Angst. Ich denke, jeder spürt für sich selbst genau, wann der Zeitpunkt gekommen ist, um sich Hilfe zu suchen. [Weiterlesen…] Infos zum Plugin Wann mit einer Psychotherapie beginnen?
ADHS
Regeln – das Allheilmittel in der Erziehung?

Wenn ich einen Vortrag zu ADHS halte, muss das Wort „Regeln“ direkt am Anfang fallen. Sonst werden Eltern, Erzieher und Lehrer gleichsam unruhig. Mir scheint manchmal, dass die Erwachsenen sich an den Regeln, die sie den Kindern aufstellen, festhalten wie Ertrinkende an einem Strohhalm. Warum sind Regeln so furchtbar wichtig (für die Erwachsenen)? Weil die innere Verunsicherung so groß geworden ist. [Weiterlesen…] Infos zum Plugin Regeln – das Allheilmittel in der Erziehung?
Autismus-Spektrum-Störung

Als „Autismus-Spektrum-Störung“ (ASS) werden Störungen bezeichnet, die sich irgendwo auf der Skala der Störungen zwischen ausgeprägtem frühkindlichen Autismus und dem Asperger-Syndrom (High Functioning Autismus) befinden. Frühkindlicher Autismus ist dadurch gekennzeichnet, dass das Kind keinen emotionalen Kontakt mit der Mutter aufnimmt – es erwidert kein Lächeln und vermeidet den Blickkontakt. [Weiterlesen…] Infos zum Plugin Autismus-Spektrum-Störung
„Aber eben hast du doch noch gesagt …“ – Kinder leichter verstehen

„Gerade wolltest du noch Roller fahren! Ich hol‘ dir jetzt nicht dein Fahrrad raus! Du musst schon wissen, was du willst!“, sagt die Mutter, die gerade ihr Fahrrad aus der Garage zieht. Der „Eben-wolltest-du-noch-Satz“ ist einer der Sätze, der am häufigsten von Eltern zu hören ist. Die Eltern sind verärgert, schütteln den Kopf, wollen dem Kind klarmachen, dass es so nicht geht. Dabei spricht das Kind nur aus, was in ihm vorgeht und was wir auch als Erwachsene nur allzu gut kennen: „Irgendwie liebe ich ihn, aber ich hasse ihn auch“, „Ich will ja den neuen Job, aber beim alten weiß ich, was ich habe. Meine Wünsche wechseln stündlich.“ (Text & Bild: © Dunja Voos) [Weiterlesen…] Infos zum Plugin „Aber eben hast du doch noch gesagt …“ – Kinder leichter verstehen
Werden Schreibabys zu „ADHS-Kindern“?

„Mein Baby war ein Schreibaby und ich habe das Gefühl, dass das nie aufgehört hat. Immer ist mein Kind unruhiger und auffälliger als andere Kinder geblieben.“ So beschreiben es viele betroffene Mütter. Eine Studie von Iná S. Santos und Kollegen (2014) der Universität Pelotas, Brasilien, gibt ihnen Recht: Kinder, die mit drei Monaten exzessiv schreien, zeigen im Alter von vier Jahren häufiger Verhaltensauffälligkeiten als ruhigere Babys. (Text & Bild: © Dunja Voos) [Weiterlesen…] Infos zum Plugin Werden Schreibabys zu „ADHS-Kindern“?
Das Tourette-Syndrom aus psychoanalytischer Sicht

Billie Eilish hat es, Jan Zimmermann beschreibt sein Tourette-Syndrom sehr anschaulich in seinen Videos „Gewitter im Kopf“ und im Fernsehen finden sich in Talkshows immer häufiger Menschen, die von dieser Erkankung betroffen sind. Dabei leiden die Betroffenen unter nicht- oder nur schwer kontrollierbaren Bewegungen (Tics) und Ausbrüchen von Worten, kurzen Sätzen und Geräuschen bzw. Stimmlauten (Vokalisationen). Sehr oft sind es aggressive, provokante und obszöne Worte, die plötzlich aus den Betroffenen ausschießen. [Weiterlesen…] Infos zum Plugin Das Tourette-Syndrom aus psychoanalytischer Sicht
Hyperfokussieren
„Hyperfokussieren“ heißt, sich auf etwas besonders stark zu konzentrieren. Der Begriff wird vor allem bei Patienten mit einem Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADHS) verwendet, denen es häufig schwer fällt, sich zu konzentrieren („Hyper“ [griechisch] = über, sehr; focus [lateinisch] = Blickpunkt). Einige Wissenschaftler behaupten, ADHS-Patienten könnten sich grundsätzlich nicht konzentrieren und der Hyperfokus sei eine gelegentliche Ausnahme.
Gekünstelte Einteilung
Auf mich wirkt diese Betrachtungsweise gekünstelt, denn die Fähigkeit sich bei ADHS zu konzentrieren, wird erneut als ein Zeichen einer Erkrankung angesehen (pathologisiert). Für mich bedeutet es, dass auch Patienten mit einer ADHS sich grundsätzlich konzentrieren können – und dass sich diese „Störung“ nicht so einfach auf ein pures Stoffwechselproblem zurückführen lässt.
Dieser Beitrag erschien erstmals am 6.6.2009
Aktualisiert am 31.1.2019
ADHS – das umstrittene Syndrom

Informationen zu ADHS sind oft widersprüchlich. Das liegt unter anderem an den verschiedenen Ansichten von Psychoanalytikern und Verhaltenstherapeuten. Ein Kind, das weint, ist traurig. Der Grund für die Traurigkeit ist nicht zu erfassen, wenn man das Kind nicht fragt oder gut kennt. Ganz ähnlich ist es mit ADHS auch – ein Kind, das unruhig ist, kann viele Gründe dafür haben. Welche Bedeutung ich als Mutter, Vater oder Therapeut diesen Zeichen geben, ist noch einmal eine ganz andere Frage. (Text & Bild: © Dunja Voos)
Verhaltenstherapeutische Sichtweise
Aus verhaltenstherapeutischer Sicht gibt es für die Diagnose „ADHS“ ganz eindeutige Kriterien. Hierzu gehören die Diagnosekriterien nach dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Diseases (DSM IV) und nach der International Classification of Diseases (ICD-10). Kinderärzte und Psychologen, die sich darauf spezialisiert haben, können nach diesen Kriterien recht genau sagen, welches Kind „ADHS“ hat und welches nicht.
Selbsthilfegruppen
Viele Selbsthilfegruppen orientieren sich an einer eher biologischen Sichtweise, nach welcher ADHS zum größten Teil als Stoffwechselstörung anzusehen ist, die sowohl durch Verhaltenstherapie als auch mit Medikamenten behandelt werden kann. Für Eltern und Betroffene, die rasche Hilfe, Ratschläge und Verhaltensregeln suchen, kann dieser Weg hilfreich sein. Dennoch gibt es Betroffene, die hiermit nicht zurecht kommen und nach anderen Antworten für ihre Fragen suchen. Sie können von einer tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie eher profitieren.
Die „Stoffwechselstörung“
In den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft ADHS der Kinder- und Jugendärzte e.V. heißt es:
Oftmals glauben ADHS-Betroffene, ein Teil des Gehirns sei geschädigt. Das ist aber nicht so. Die obige Definition besagt, dass es sich um eine “Funktionsstörung” handelt, also nicht explizit um eine Organschädigung. Funktionsstörungen jedoch haben fast immer auch die Chance, wieder zurück zu ihrer normalen Funktion zu finden. (Anders ist dies z.B. beim Diabetes – oft werden ADHS oder Depressionen mit einem Diabetes verglichen. Doch bei einem Diabetes ist tatsächlich das Organ geschädigt – hier gehen Bauchspeicheldrüsenzellen unter, sodass nicht mehr die Chance besteht, dass das Organ Insulin produziert. Das Gehirn des ADHS-Betroffenen ist jedoch grundsätzlich „ok“. Der unausgeglichene Hirnstoffwechsel – wenn man denn davon ausgehen will – kann wieder ins Gleichgewicht finden.)
Psychoanalytische Sichtweise
Viele psychoanalytische Kindertherapeuten sehen in der „Diagnose ADHS“ wenig Sinn, weil sie nichts über lebensgeschichtliche Ursachen der Störung sagt. Die Diagnose „ADHS“ wird allein aufgrund der Symptome gestellt. Doch die Psychoanalytiker fragen nach dem „Warum“. Viele störende Symptome lassen nach, wenn Eltern und Kind lernen, den Sinn der „Verhaltensauffälligkeiten“ zu verstehen.
Beispiel für Ursachen von Verhaltensweisen
Eine Mutter streitet sich viel mit dem Vater. Tagsüber ist der Vater nicht da. Die Mutter ist mit unausgesprochenen Eheproblemen so sehr beschäftigt, dass sie die Gefühle ihres Kindes nicht aufnehmen kann. Das Kind kommt zu ihr mit seinen Ängsten, Sorgen und Emotionen. Doch sie finden in der Mutter keinen Platz. Sie kann die Emotionen ihres Kindes nicht „containen“, also aufnehmen, wirklich ankommen lassen und verarbeiten. Die Gefühle prallen zurück auf das Kind und es ist allein mit seiner Überforderung.
Das Kind leidet wortwörtlich an einem Defizit an emotionaler Aufmerksamkeit von Mutter und Vater. Die Situation macht das Kind völlig unruhig und verzweifelt. Echte Hilfe bestünde dann beispielsweise darin, die Mutter zu entlasten und ihr einen Platz für ihre Sorgen zu geben, damit sie wieder freier für das Kind wird. Dem Jungen könnte eine psychoanalytische Therapie helfen. So hätte er 2- bis 3-mal pro Woche eine Bezugsperson, bei der seine aufgebrachten Gefühle Platz finden. Sobald ein Therapeut da ist, der das Kind „aushält“, verwandelt sich unkontrollierte Wut im Kind oft in Trauer. In Gegenwart des Therapeuten wird es dem Kind möglich, zu weinen. Meistens ist dann zu beobachten, wie die motorische und innere Unruhe sichtlich nachlassen.
Schwierige Erkenntnisse
Nicht immer sind die Zusammenhänge so offensichtlich wie in diesem Beispiel. Meistens liegen die Gründe für die Unruhe des Kindes tief im Verborgenen und rücken nur langsam, mit viel Vertrauen und Mut an die Oberfläche. Versteckte familiäre Gewalt, Ehekrisen, ein emotional oder real abwesender Vater, eine Depression der Mutter und vieles mehr können sich hinter der Diagnose „ADHS“ verbergen. Da ist es oft leichter zu sagen, ADHS sei eine Stoffwechselstörung.
Der psychoanalytische Weg hingegen ist nur allzu leicht mit Schuldgefühlen verbunden. Die Eltern eines „ADHS-Kindes“, die schon am Ende ihrer Kräfte sind und sich dann auch noch „schuldig“ fühlen müssen, werden zu Recht wütend. Erst, wenn ein einfühlsamer Therapeut Vater und Mutter zeigen kann, dass sie vielleicht zu der Unruhe des Kindes beitragen, aber keinesfalls „schuld“ daran sind, kann der Weg zur Besserung gebahnt werden. Das Gute daran: Es wird nicht länger „der Stoffwechsel“ oder „die Vererbung“ als hauptsächliche Ursache angesehen.
Auch, wenn die Erkenntnisse schmerzhaft sind, so kann dadurch vielleicht ein Weg beschritten werden, der mehr und mehr Handlungsspielraum zulässt. Langsam können die ADHS-Symptome zurückgehen und dem „handfesten Schmerz“ Platz machen, der zur Veränderung führt.
Verschiedene Sichtweisen können sich ergänzen
Aufgrund der völlig unterschiedlichen Sichtweisen von Psychoanalytikern und Verhaltenstherapeuten entstehen hier oft öffentliche Diskussionen, die Eltern und Patienten verwirren. Ihnen bleibt nichts anderes, als sich zu informieren und dann zu entscheiden, welchem Weg und welchem Therapeuten sie am meisten vertrauen.
Frankfurter Präventionsstudie
Dass ADHS kein „Schicksal“ ist, zeigt die Frankfurter Präventionsstudie des Sigmund-Freud-Instituts. In diesem von 2003-2006 gelaufenen Kindergartenprojekt unter Leitung von Professor Marianne Leuzinger-Bohleber gab es deutliche Hinweise darauf, dass sich durch die psychoanalytische Unterstützung von Kindern, Eltern und Erzieherinnen der Störung vorbeugen lässt: Der Prozentsatz der ADHS-Kinder in der Grundschule ging zurück. Dies ist ein Anzeichen dafür, dass die Gene und der Stoffwechsel nicht alles sind.
Hyperfokussierung
Wenn sogenannte ADHS-Kinder das tun, was sie interessiert, können sie sich sehr lange auf eine Sache konzentrieren. Auch, wenn diese Eigenschaft mit dem Begriff “Hyperfokussierung” schon wieder pathologisiert wird, so ist es doch ein Zeichen dafür, dass sie sich konzentrieren können – unter anderem auch auf ihre Therapiestunde, wenn der Therapeut das Kind einfühlsam begleitet.
Verwandte Artikel in diesem Blog:
ADHS – alle Beiträge auf einen Blick
Buchtipps:
Terje Neraal und Matthias Wildermuth (Hrsg.):
ADHS: Symptome verstehen – Beziehungen verändern.
Psychosozial-Verlag 2008
Marianne Leuzinger-Bohleber, Yvonne Brandl, Gerald Hüther (Hrsg):
ADHS – Frühprävention statt Medikalisierung.
Vandenhoeck & Ruprecht 2006
Lesetipp:
Prof. Dr. Dr. Rolf Haubl, Prof. Dr. Marianne Leuzinger-Bohleber:
Hilfe für kleine Störenfriede:
Frühprävention statt Psychopharmaka
Vom kritischen Umgang mit der Diagnose „Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung“.
Forschung Frankfurt 3/2007: 52-55
http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/frontdoor/index/index/year/2008/docId/289
„Im Gegensatz zu Verhaltenstherapeuten betonen Psychoanalytiker, dass ein Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivität als Symptome zu verstehen sind, aber kein einheitliches diagnostisches Bild und schon gar keine Krankheit darstellen.“ (Haubl/Leuzinger-Bohleber)
Links:
Dr. phil. Frank Dammasch (10.1.2007):
„Elvira – immer vorwärts, nie zurück“
ADHS: Krankheit oder Beziehungsstörung?
www.psychoanalyse-aktuell.de
DunjaVoos:
ADHS-Präventionsstudie: Signifikante Abnahme der Hyperaktivität nur bei Mädchen
Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung, 8. November 2012
www.bvpraevention.de/cms/index.asp?inst=bvpg&snr=9116
Vereinigung Analytischer Kinder- und Jugendpsychotherapeuten (VAKJP)
www.adhs-konferenz.de
Frankfurter Präventionsstudie des Sigmund-Freud-Instituts
Zentrales ADHS-Netz, (hauptsächlich biologisch/verhaltenstherapeutisch orientiert)
Dieser Beitrag wurde veröffenticht am 8.12.2012
Aktualisiert am 10.10.2016
Medikamente bei ADHS (Stand 2015)

In der Thieme-Zeitschrift Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie (2015: 83: 676-685) geht es um die aktuellen Medikamente zur Behandlung des Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätssyndroms. Zur Zeit werden diese Medikamente verwendet: Mehthylphenidat (MPH, z.B. Ritalin®) und das Nicht-Stimulans Atomoxetin (ATX). „Seit 2012 ist zudem mit Attentin® ein kurz wirksames Amfetaminpräparat zur Behandlung von ADHS im Kindes- und Jugendalter verfügbar“ (S. 683). Außerdem wird das lang wirksame Amfetamin LDX (= Lisdexamfetamindimesilat, Elvanse®) eingesetzt. LDX ist eine Verbindung von d-Amfetamin und der Aminosäure L-Lysin. Das d-Amfetamin wird nur langsam freigesetzt, weil es erst in den roten Blutkörperchen (Eryhtrozyten) vom L-Lysin befreit wird.(Text & Bild: © Dunja Voos) [Weiterlesen…] Infos zum Plugin Medikamente bei ADHS (Stand 2015)
Psychoanalytische Therapie bei ADHS: Frankfurter ADHS-Wirksamkeitsstudie
Von 2003-2006 wurde am Sigmund-Freud-Institut Frankfurt eine Studie zur Wirksamkeit von psychoanalytischen Vorbeugemaßnahmen gegen das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) durchgeführt (Frankfurter Präventsionsstudie). Aus diesem Projekt entwickelte sich die Frankfurter ADHS-Wirksamkeitsstudie. Hier nahmen nur Patienten teil, deren Diagnose nach dem Diagnoseschema ICD 10 gesichert war. Die Wissenschaftler haben dabei festgestellt, dass viele Kinder mit der Diagnose „ADHS“ (bzw. „Hyperkinetisches Syndrom“) zum Institut kamen, ohne nach den strengen ICD-Richtlinien wirklich an ADHS erkrankt zu sein. [Weiterlesen…] Infos zum Plugin Psychoanalytische Therapie bei ADHS: Frankfurter ADHS-Wirksamkeitsstudie