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Vorsicht mit dem Erziehungsmittel „Aus-Zeit“

„Geh in dein Zimmer und komm erst wieder, wenn du dich beruhigt hast!“ So hieß es früher. Heute heißt es (etwas kontrollierter): „Setz dich für zwei Minuten auf die stille Treppe.“ Ein kleines Kind in einer verfahrenen Situation mit einer „Auszeit“ zu strafen, ist modern, aber oft nicht gut. Auch, wenn es Eltern und Kindern möglicherweise dazu dienen kann, sich zu beruhigen, sollte diese Methode nur mit Vorsicht angewendet werden. „Auszeit“ ist ein Begriff aus Erziehungsprogrammen wie dem Triple P (Positive Parenting Programme). Dabei trennen sich Bezugsperson und Kind für eine überschaubare Zeit, um jeweils wieder zu sich selbst zu finden.

Die Auszeit ist für viele Eltern und Kinder ein möglicher Ausweg aus einer wütenden Situation. In Elterntrainings wird dieses Werkzeug vermittelt. Wenn Eltern jedoch Schwierigkeiten damit haben, ihre eigenen Gefühle mit Abstand anzuschauen, ist die Versuchung groß, mit der Auszeit als Strafe einfach die eigene Wut abzureagieren. Das Kind wird auf den Stuhl gesetzt und basta. Sind die Eltern sehr autoritätsgläubig, dann vertrauen sie dem Trainer des Elterntrainings mehr als ihren eigenen Gefühlen und wenden die Auszeit an, obwohl sich sich selbst überhaupt nicht wohl damit fühlen.

Trennung von der Bezugsperson als fragwürdige Strafe

Für das Kind selbst bedeutet die Auszeit, von der Bezugsperson getrennt zu sein. Besonders kleine Kinder können diese Trennung oft kaum verkraften. Die Kinder können auch noch nicht verstehen, dass nur ihr Verhalten gestraft werden soll, dass sie selbst als Person jedoch nicht abgelehnt werden. Doch im Eifer des Gefechts ist diese Unterscheidung selbst für die reifesten Erwachsenen nicht immer leicht. Die Auszeit mag helfen, dass sich Kind und Erwachsener tatsächlich beruhigen.

Oft kommt es jedoch auch vor, dass das Kind in der Auszeit nur vordergründig ruhig wird. Innerlich ist es unruhig – es fühlt sich herabgesetzt, zurückgewiesen und gedemütigt. Seine innere Wut wächst.

Der „Erfolg“ ist nicht echt

So kann es passieren, dass hinter der Fassade des Erfolgs Wut und Verzweiflung des Kindes wachsen. Kommen solche Situationen öfter vor, wird das Kind immer öfter in aller Stille wütend. Es entwickelt eine chronische Wut, die die Beziehung zwischen Mutter („Mutter“ steht hier der Einfachheit halber für nahe Bezugspersonen) und Kind stört. Oft ist diese chronische Wut des Kindes auch nur ein Spiegelbild der Wut der Mutter.

Kleine Kinder brauchen Erwachsene, die ihnen helfen, ihre Gefühle zu regulieren

Ist das Kind noch zu jung, um sich selbst beruhigen zu können, ist es mit der Auszeit absolut überfordert. Seine innere Not wird größer: Angst und Ohnmacht beherrschen nun das kleine Kind. Doch Gehorsam aus Angst ist kein guter Weg. Wer also die Auszeit anwendet, sollte das nicht gedankenlos tun und immer auf die eigenen Gefühle achten. Die gute Beziehung zum Kind und das gute Gefühl bei Mutter und Kind sollte immer Vorrang vor „Erziehungstipps“ haben.

Verwandte Artikel in diesem Blog:

Quellen:

Heidi Simoni:
Wie erleben und verstehen kleine Kinder Strafen?
Zeitschrift „undKinder“ Nr. 80, Dezember 2007: 31–37

Thomas Gordon:
Die neue Familienkonferenz.
Kinder erziehen ohne zu strafen.
Heyne Verlag, München 2007

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 30.1.2010
Aktualisiert am 1.11.2019

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