Mutter und Kind im ersten Jahr: Viel gemeinsame Zeit ist wichtig

Der Londoner Psychologie-Professor Jay Belsky hat schon Ende der 80iger Jahre herausgefunden, dass Kinder, die im ersten Lebensjahr nur relativ wenig Zeit mit ihren Müttern verbringen, später an einer unsicheren Eltern-Kind-Bindung leiden können. In der Folge können Aggressionen entstehen. Belskys Studien wurden manches Mal angefeindet. Doch auch nach einem Review von 2001 sind Belskys Untersuchungsergebnisse durchaus stimmig.

Wer möchte/kann/darf/will zu Hause bleiben?

Die Gründe, warum Mütter bereits im ersten Lebensjahr ihre Kinder in eine außerhäusliche Pflege geben sind so vielfältig wie die Mütter selbst. Manche Mütter müssen arbeiten gehen, andere wollen es, wieder andere sind aufgrund von Krankheiten oder familiären Nöten nicht fähig, ihre Kinder gut zu versorgen. Wichtig erscheint eines: Dass Mütter sich selbst wichtig nehmen und sich selbst trauen. Musste man sich in den 80igern noch dafür entschuldigen, wenn man sein Kind im Hort ließ, so muss man sich heute schon fast rechtfertigen, wenn man sagt: „Ich verbringe gerne die Zeit mit meinem Kind und möchte es bei mir haben.“

Glucke oder Rabenmutter? Weder noch.

Müttern wird schnell vorgeworfen, eine krankhaft symbiotische Bindung zum Kind einzugehen, oder eine Glucke zu sein. Wenn sie das Kind in die Tagespflege geben, fühlen sie sich wie eine Rabenmutter. Die Politik bemüht sich um immer mehr Krippenplätze. Doch selten ist die Rede davon, wie emotional aufgeladen dieses Thema ist. Selten nehmen Mütter ihr schlechtes Gewissen einfach als „gutes Herz“ wahr. Selten können sie sich sagen: „Es ist mein eigener Abschiedsschmerz, den ich da fühle. Ich merke, wie sehr mein Kind mich braucht.“ Umgekehrt bezeichnen sie sich selbst abfällig als „Glucke“, wenn sie einfach nur Freude daran haben, mit ihrem Kind zusammenzusein, es zu beschützen und es zu bemuttern.

Gute Beziehungen sind das A und O

„Kinder müssen nicht erzogen werden, sondern sie brauchen gute Beziehungsangebote“, so der Psychoanalytiker Dr. Hans-Joachim Maaz in seinem Beitrag „Mangel an Mütterlichkeit in der vereinten deutschen Gesellschaft“ (PDF). Um das emotionale Wohlbefinden von Müttern, Kindern, Erzieherinnen und Lehrerinnen wird sich offiziell viel zu wenig gekümmert. Da fragen die Medien staunend, warum das Koma-Saufen und die Alkoholabhängigkeit zunehmen – aber kaum einer schlägt die Brücke zu den Anfängen. Es zählt eben nicht nur, dass die Zeit, die die Mutter mit ihrem Kind verbringt, von hoher Qualität ist. Es zählt auch die Quantität. Um eine gute Bindung aufzubauen und den Kindern zur Zufriedenheit zu verhelfen, ist eben auch die Menge an Zeit entscheidend.

Die Balance kann gefunden werden

Es ist sicher schwierig, die Balance zwischen beruflicher Zufriedenheit, Muttersein und „Ganz-Selbst-Sein“ zu finden. Um sie herzustellen, ist es wichtig, dass die Mutter selbst satt ist – das heißt, dass sie finanziell versorgt ist, dass sie liebevolle Beziehungen hat und anerkannt wird. So kann sie dann geben und nähren, ohne selbst allzu hungrig zu werden. Doch viele Mütter fühlen sich heute nicht mehr eingebettet, sondern einfach nur strapaziert, kontrolliert, kritisiert. Das macht es ihnen oft schwer, ihren eigenen Wünschen zu folgen. Manchmal lautet der Wunsch: „Ich möchte wieder mehr Zeit für meine Arbeit haben.“ Oft aber lautet der Wunsch eben auch: „Ich möchte bei meinem Kind sein.“


Links:

Belsky J (2001):
Emanuel Miller Lecture: Developmental risks (still) associated with early child care.
J. Child Psychol. Psychiatr. 42: 845-859

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 3.2.2011
Aktualisiert am 23.7.2014

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