„Ich bin so unzufrieden! Nichts kann man mir recht machen. Alles scheint in einer Sackgasse zu enden“, sagt die Patientin. Sie versteht die Welt nicht mehr. Doch bevor wir uns an jede einzelne Baustelle begeben, bevor wir schauen, wo es überall hakt und hinkt und wo die „Ansprüche zu hoch“ sind, schauen wir lieber auf „die Welt“ – das ist in dem Fall der Psychoanalytiker. Viele empfinden es so: Stimmt die Beziehung zum Psychoanalytiker, stimmt auch alles andere. Es ist wie mit der Mutter und dem kleinen Kind: Ein Küsschen auf die Stirn und das Kind läuft freudig in die Welt hinaus.Weiterlesen
Oft fällt es uns schwer, Nähe zuzulassen. Manchmal liegt der Grund darin, dass eine körperlich spürbare Schutzhülle zu fehlen scheint oder dass sich die körperliche Hülle undicht anfühlt. Auch das Bild vom anderen ist dann vielleicht nicht gerade vertrauenserweckend. Am besten können sich zwei Menschen nahe sein, wenn sie sich sicher voneinander getrennt fühlen. Wenn wir uns respektiert fühlen, können wir die Nähe zum anderen als etwas Gutes erleben. Es gibt uns ein gutes Gefühl, wenn wir wissen, dass wir unserem Bedürfnis nach mehr Abstand oder auch mehr Nähe Ausdruck verleihen dürfen. Haben wir überwiegend bedrohliche Erfahrungen in engen Beziehungen gemacht, dann fühlen wir uns oft auch brüchig. Nähe bedeutet dann für uns, keinen eigenen Raum mehr zu haben. Manche Menschen spüren es in der Partnerschaft, in der Psychotherapie oder Psychoanalyse: Wenn es ruhig und friedlich wird, wenn es so aussieht, als ob man sich gut versteht, wenn es passt, dann wird man unruhig und ergreift die Flucht. Weiterlesen
Das Paar will ins Konzert und die Frau bekommt Migräne. „Vielleicht haben Sie die Migräne ja bekommen, weil Sie wütend waren auf Ihren Mann. So konnten Sie ihm das Leben vermiesen, ohne selbst schuld zu sein.“ Eine Zeitlang war es modern in der Psychoanalyse, das Augenmerk auf mögliche Aggressionen zu legen. Das kann manchmal stimmen und auch hilfreich sein, wenn man denn so wieder die Kontrolle über die Kopfschmerzen gewinnen könnte. Heute prüfen viele Psychoanalytiker jedoch auch, ob nicht ein Trauma hinter der plötzlichen Migräne stecken könnte. Der Konzertsaal kann mit Einengung und Zwang verbunden werden. Schließlich gibt es auch noch die Möglichkeit, dass der Körper aufgrund von Müdigkeit, Unverträglichkeiten und Mangelerscheinungen oder „einfach so“ und weitgehend autonom eine Migräne entwickelt. Weiterlesen
Wie eine weite Wüste. Nur unbarmherzig weich. Ich streiche über eine Falte im Laken. Ich weiß nicht, wie ich die Decke um mich legen soll. Es ist die Abwesenheit des anderen, die mich quält. Kein Atemgeräusch. Niemand, der meinen Rücken wärmt. Ich greife nach der Hand, die gar nicht da ist. Mein Körper fühlt sich so weggezogen an. Auf meiner Haut spüre ich die Abwesenheit von Berührung wie einen Windhauch, der von mir weggeht. Ich kann die Weichheit des leeren Bettes nicht länger ertragen. Ich stehe auf und öffne die Terrassentür. Ich lege mich hin. Die kühle Luft streichelt meine Stirn. Und endlich schlafe ich auf dem harten Boden ein. Weiterlesen
„Immer, wenn ich in einer Beziehung bin, weiß ich selbst nicht mehr, was ich will.“ Wir haben oft den hohen Anspruch, stets zu wissen, „was wir wollen“, dabei ist es oft so schwierig, besonders im Zuzweitsein. Je nachdem, wie wir aufwuchsen, fällt es uns zudem sehr schwer, zu äußern, was wir wollen. Vielleicht hatten wir eine verletzliche Mutter, der jede Form der Trennung Angst gemacht hat. Trennung fängt schon da an, wo die Mutter etwas meint und das Kind etwas anderes meint. Wenn wir bemerkten, wie verletzlich die Mutter war, redeten wir ihr nach dem Mund, weil wir spürten, dass wir sie dadurch emotional stabil halten konnten. Wir schauten vielleicht stets nach der Mutter und versuchten, sie zu lesen. Die Frage „Was kann sie nun wollen?“ wurde zur zentralen Lebensfrage und auf einmal merkten wir: Ich weiß gar nicht mehr, was ich selbst eigentlich will. Weiterlesen
Es ist immer wieder dieser selbe Hass. Als Kind schwer beschädigt, merkt man den Schaden besonders bewusst, wenn man genau das bräuchte, was beschädigt wurde. Manche Beschnittene sagen, dass die Beschneidung ihnen die Lust gemindert hat. Manche Misshandelte merken, dass die Misshandlung ihnen vielleicht die Fähigkeit genommen hat, sich berühren zu lassen, sich zu binden, einen Partner zu finden, vielleicht eine Familie zu gründen, ein Kind zu bekommen. Häufig ist von Menschen zu lesen, die es sehr schwer hatten. Doch bei genauerem Hinsehen steht dort dann: „Verheiratet, drei Kinder.“ Das heißt, dass es diesen Menschen zumindest gelungen ist, eine Beziehung aufzubauen. Wer an diesem Punkt „behindert“ ist, der hat es doch noch viel schwerer, oder? Dann lese ich von einem Suizid. Der Mann war verheiratet und hatte vier Kinder. Wer will ermessen, was ein „sehr schweres Leiden“ ist?
Das Leben rast vorbei. Klappen tut es bei den anderen. Man selbst sitzt auf seinem Müll. Die Täter bleiben ungestraft und ohne Einsicht. Die Heilung schreitet zu langsam voran, um noch einige wichtige Wünsche erfüllen zu können. Und dann kommt dieser Hass auf. Immer wieder. Man möchte Bomben werfen – in alle Vorgärten. Man möchte die Täter, die Eltern töten – zwar müsste man Strafe und Gefängnis erdulden, doch fände man wenigstens Ruhe und Frieden, so die Vorstellung.
Leid könnte man noch ertragen, wenn man wenigstens jemanden an seiner Seite hätte, der das Leid mitträgt. Doch wer misshandelt wurde, erscheint wie zur Einsamkeit verdammt.
Man wartet auf Wiedergutmachung, auf Anerkennung des Leids. Wenn man sie bekommt, kann das sehr heilsam sein – oder aber auch ernüchternd. Viele warten vergebens – wie aus meiner Sicht zum Beispiel die unzähligen Opfer der frühen Vojta-Therapie. Doch immer wieder merkt man: Der Hass bringt nichts. Er blockiert. Er blockiert das weitere Leben. „Soll ich jetzt noch den Hass ablegen?“, fragt man sich. „Was würde das bringen? Ist jetzt nicht schon alles zu spät?“
Man will irgendwie am Hass festhalten, weil man das Gefühl hat, dieses Festhalten würde irgendetwas nutzen. Ob diese Vorstellung trügerisch ist oder ob der Hass tatsächlich nutzt, findet nur jeder für sich heraus.
Wenn morgen die Welt unterginge und man am Ende des Lebens stünde, so würde es sich doch lohnen, den Hass loszulassen, oder? Aber kann man sich überhaupt gegen Gefühle entscheiden und diese abstellen? Manchmal ja. „Ich will nicht länger wütend oder neidisch sein“, können wir mitunter beschließen. Teilweise ist es ein Verdrängen, teilweise ein Transformieren. Hass liegt so nah an der Liebe, dass sich das nutzen lässt. Wir können die gewaltigen Kräfte, die im Hass gebunden sind, in Tatkraft umlenken, in neue Projekte, in Kreativität oder auch in Stille. Wir können unserem Hass lauschen. Er ist da. Er hat seinen Sinn. Er bewegt uns.
Der Stein namens „Hass“, namens „Beschädigung“, steht da wie ein Fels in der Brandung. Wir können nur davor niederknien, darüber verzweifeln, ihn umschiffen, ihn beklettern, ihn behauen. Und doch bleibt er auf gewisse Weise da.
Wenn dem Baum ein Hauptast abgeschlagen wurde, wachsen viele Nebenäste nach, aber eben nicht dieser Hauptast. Doch können wir Psychisches auf diese Weise mit Materiellem vergleichen? Nach welchen Bildern wir auch immer suchen: Der Hass lässt sich nur schwer verdauen, weil das Geschehene kaum verdaubar ist. Doch darüber zu sprechen, ist ein bisschen wie verdauen. Den Hass zu fühlen und darüber zu sprechen kann ein wichtiger Weg zur Heilung sein.
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 12.2.19
Aktualisiert am 7.8.2023
Wer als Kind schwere Bindungstraumata erlitten hat, der findet häufig nicht so leicht einen Partner – auch, wenn er/sie nicht daran denkt, bleibt der Partner fern. Nach Zärtlichkeit, Nähe und Berührung sehnt sich wohl jeder Mensch. Doch ist die intime Zweierbeziehung nach Erfahrungen von Gewalt und Vernachlässigung in der frühen Kindheit oft schwer erträglich. Vielleicht bemerken wir: Sobald sich eine Partnerschaft anbahnen könnte, werden ungute Gefühle in mir wach, die so diffus, unangenehm und schwer zu beschreiben sind, dass ich mir auf einmal wünsche, wieder allein zu sein und meine Ruhe zu haben. Es folgen die Wut und der Gedanke: „Mist! Irgendwie klappt es schon wieder nicht mit der Anbahnung, mit dem Flirten, mit der Begegnung.“ Doch die Gründe dafür, warum es nicht klappt, bleiben lange im Verborgenen. Weiterlesen