
„Man freut sich über alles, wenn man das Richtige schon hat!“, sagt Elyas M’Barek in der Sky-Werbung. So ist es: Wenn man schon das hat, was man sich am meisten wünscht, ist der Rest fast egal. Doch ebenso ist es umgekehrt: Wenn man das, was man sich am meisten wünscht, ständig vermissen muss, kann das Leben hart werden. Wer seine große Liebe verloren hat, der teilt sein Leben häufig ein in eine „Vorher-Nachher-Zeit“. Wer den Kontakt zu seinem Kind verloren hat, dessen Leben spielt sich ständig vor diesem Hintergrund ab. Wer mit einer Behinderung leben muss, muss die ganze Zeit mit dieser Behinderung leben. Es stört mal mehr, mal weniger – je nachdem, wann die Störung ins Leben getreten ist und welche Lebensumstände zur Zeit vorherrschen. (Text & Bild: © Dunja Voos)
Individuelle Töne
Jeder hat seine eigene „Hintergrundmusik“, mit der er lebt oder leben muss. Manchen fehlt eine Familie, andere leben mit einem ständigen Kopfschmerz, mit einem kranken Angehörigen, mit ständigen Geldproblemen, mit einem Familienmitglied, das nur noch schweigt. Jedes Telefonklingeln lässt neue Hoffnung aufkommen, doch wieder war es nicht „Er“, denn „Er“ ist für immer weg. Und solange nicht diese Erfüllung eintritt, die man sich so sehr wünscht, erscheint alles andere fade. Alles andere erscheint keinen Sinn zu geben.
Das Problem dabei ist, dass einem die Außenwelt vorzugaukeln scheint, man sei der oder die Einzige mit solch einem störenden Lebensgefühl. Das eigene Störgeräusch ist so individuell, dass man glauben könnte, niemand anderes kenne diesen Schmerz. Daraus kann ein tiefes Einsamkeitsgefühl entstehen. Doch das Leben mit einer störenden Hintergrundmusik, mit einem psychischen und/oder körperlichen Tinnitus sozusagen, ist nicht die Ausnahme. Von den Menschen um einen herum kennen sehr viele genau diese Melodie, genau dieses Leid. Es äußert sich bei jedem anders und fühlt sich doch bei vielen so gleich an.
Keine Heilung?
Nichts scheint diese Wunde heilen zu können, wenn nicht genau das Erwünschte eintritt. Vieles ist nicht rückgängig zu machen. „Hätt‘ ich doch niemals …“, denkt man sich, während unerträgliche Schuldgefühle das Herz belasten. Es ist, als wäre mitten in einem Feuer ein Wasserloch, das da nicht hingehört, als würde es im Frühling eisig werden, als würde da irgendetwas auf eine furchtbare Weise nicht dort hinpassen, wo es aber eben gerade sitzt. Man träumt davon, dass es weg wäre, dass es anders wäre, dass es sich veränderte. Es ist ein furchtbares Störgeräusch, ein Störgefühl, unter dem man phasenweise nahezu ständig leidet – mal mehr, mal weniger bewusst.
Mit sich selbst mitfühlen
Je älter man wird, desto mehr dieser Störgefühle und Vermissens-Schmerzen treten ins Leben. „Es wird nie wieder so sein wie vorher“, denkt man sich. „Wie soll ich so jemals Frieden finden?“, fragt man sich. Diese schreckliche Reibung im Leben hindert an der freien Fahrt. Man kann „Es“ nicht wegbekommen. Es gibt keine Lösung für dieses Problem. Man kann einfach nur versuchen, Mitgefühl für sich selbst zu entwickeln.
Irgendwann hat man „es“ vielleicht integriert – man kann annehmen, dass diese Störung zum eigenen Leben gehört. Vielleicht aber auch nicht. Die Desintegration bleibt bestehen. Dieses Dissonanz-Gefühl taucht immer wieder auf. Man kann es dann nur „er-tragen“ – auch hier wieder in dem Wissen, dass auch Des-Integration zum Leben gehört und dass man nicht alleine ist damit.
Drumherum gedeiht vieles
Und doch können sich um den Stein des Anstoßes herum irgendwann wunderbare Äste ranken. Die Störung im Leben regt zur Kreativität an. Sie macht unruhig, aber sie führt zu ungewöhnlichen Lebenswegen. Das Leben verläuft wie ein Bach – irgendwann mäandert das Wasser um den Stein und dieser Wasserweg mit diesem Stein wird zum individuellen Bild für diesen Bach. Der Stein im Wasser kann mit der Zeit glatter werden. Moos kann darüber wachsen, Frösche können sich darauf setzen. Es dauert oft Jahre, aber irgendwann kann man sich wieder freuen, auch, wenn man „das Richtige“ nicht hat.
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 10.12.2016
Aktualisiert am 15.2.2019
Polyperson meint
Ich bin Musiker, daher ist Musik die Lebensart, die mir hilft, meine Hintergrundmusik zu ertragen.
Da diese Hintergrundmusik in der Tat sehr störend ist, mag ich diese negative Besetzung im Zusammenhang mit dem Wort Musik gar nicht nennen. Ansich trifft es die Betitelung Hintergrundmusik aber tatsächlich sehr gut.
Es stimmt, es macht das Leben schwer, ohne akuten Grund. Ein ewig währendes Mangelgefühl, lässt sich auch durch die schönsten Ablenkungen nicht kompensieren. Im Gegenteil, es gibt keinen Motivationsbrunnen sich das Leben schön zu gestalten. Das macht das Dranbleiben noch schwerer. Ja, eine freie Fahrt gibt es nicht.
Mitgefühl für mich selbst, hilft mir da, mich nicht unnötig darüber aufzuregen. Mir schwant es dennoch, dass dies durch die fehlende Motivation noch weiter zu einem „Sich-darauf-ausruhen“ führen kann. Schließlich kann ich micht dann sehr gut verstehen und genau erklären, woher diese störende Musik kommt, die Verantwortung abgeben.
Entgegen der Meinung meiner Ärzte und Therapeuten habe ich die Hoffnung auf eine Änderung aber noch nicht aufgegeben. Mir fehlt da nur noch der Mittelweg zwischen Akzeptanz, Mitgefühl und Trotz um Dranzubleiben.
LG Say