
Der Biophysiker und Psychologe Peter Levine hat durch einen eigenen Unfall herausgefunden, dass Traumata dann zu bewältigen sind, wenn die körperlichen Reaktionen zugelassen werden können, vor allem dann, wenn ein liebevoller Anderer anwesend ist (siehe: Dr. Peter Levine on working through a personal traumatic experience, Youtube). Er bemerkte, wie der Körper aus seinem traumatischen, „eingefrorenen“ Zustand herausfindet, wenn man sich auf die Reaktionen konzentriert und entwickelte daraus seine Methode namens „Somatic Experiencing“ (SE®).
„Entscheidend ist, dass das Nervensystem eingefrorene Energie in kleinen Dosen „auftauen“ und schrittweise entladen kann“ www.somatic-experiencing.de/was-ist-somatic-experiencing. Peter Levine sagt, dass es wichtig sei, zwischen Ressourcen und der traumatischen Körpererfahrung hin- und herzupendeln und die Energie, die im Trauma stecke, in kleinen Dosen wieder auftauchen zu lassen.
Psychoanalyse: Beziehungstraumata werden wohldosiert wiederbelebt
In der Psychoanalyse geschieht Ähnliches wie in Peter Levines „Somatic Experiences“: Während der Patient auf der Couch liegt, erfährt er in der analytischen Stunde wieder Ähnliches wie damals, als er traumatisiert wurde. Er erlebt den Analytiker zum Beispiel als gefährlichen Angreifer, er erinnert sich mehr oder weniger bewusst an damalige Ereignisse und reagiert körperlich: Er gerät in Anspannung, es wird ihm vielleicht schwindelig und übel oder er bekommt eine Panikattacke.
Alte Körperreaktionen zeigen sich wieder. In der Psychoanalyse wird der Patient in kleinen Schritten sozusagen „retraumatisiert“, damit er alte Gefühle erneut empfinden kann. Durch die emotionale und körperliche Präsenz des Analytikers (siehe: Da-Sein als Wirkfaktor) kann sich der Patient jedoch gehalten fühlen. Wenn man eine Weile in diesem „traumatischen Zustand“ auf der Couch liegt, kann man mitunter spüren, wie dieser furchtbar unangenehme Zustand langsam wieder nachlässt.
Von der Zeitlosigkeit hin zum Rhythmus
Da traumatisierte Menschen im Zustand des Traumas oft das Gefühl haben, es würde nie wieder aufhören, ist die Erfahrung, dass ein Zustand wieder nachlassen kann, etwas ganz Neues und Hoffnungsvolles. Levine spricht hier von „Pendulation“, von einem rhythmischen Zusammenziehen (z.B. der Muskeln) und einem Sich-Wieder-Öffnen. Auch Psychoanalytiker beschreiben auf vielen Ebenen oszillierende Bewegungen, z.B. beim Wechsel von der paranoid-schizoiden Position hin zur depressiven Position oder vom Phantasieraum zurück in den Realitätsraum. Wenn man neben der Psychoanalyse noch z.B. traditionelles Yoga praktiziert und sich bewusst mit dem Ein- und Ausatmen beschäftigt, kann man seine Traumata ganzheitlich behandeln.
Der spirituelle Lehrer Eckhart Tolle beschreibt in seinem Video „What Do You Recommend for Healing Trauma?“ (Youtube), dass ein Trauma sich „ausbrennen“ würde, wenn man ihm in angemessener Weise Beachtung schenke und darüber meditiert. Wichtig ist es aus meiner Sicht jedoch, dass man damit nicht alleine ist. Man braucht bei schweren Traumata einen anderen Menschen, der es einem ermöglicht, den großen inneren Ängsten und Wirrnissen neu zu begegnen.
Meistens klingt alles klingt sehr viel einfacher als es ist. Die (psychoanalytische) Arbeit am Trauma dauert viele Jahre, oft Jahrzehnte oder auch ein Leben lang. Die Körpererfahrungen, die der Patient in der Psychoanalyse auf der Couch macht, können zu beobachtbaren Veränderungen führen. Körperliche Beschwerden, unkontrollierbare vegetative Reaktionen, unerklärliche Schmerzen, Taubheitsgefühle etc. können mit der Zeit nachlassen oder zumindest in einen Zusammenhang gesetzt werden, was für die Patienten eine enorme Entlastung darstellen kann. Viele Patienten finden für sich einen Weg, indem sie aus Eigeninitiative heraus verschiedene Ansätze (Bewegungstherapie, Yoga, Meditation, Psychoanalyse, Sport, Tanzen, Musik) vereinen.
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Dieser Beitrag wurde erstmals verfasst am 12.10.2020
Aktualisiert am 8.10.2022