Sie freute sich auf’s Wiedersehen. Die Freude in ihrem Herzen hüpfte wie ein kleines Kind. Endlich war es so weit. Sie stieg in ihr Auto und lauschte der schönen Musik. Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Sie träumte. Sie näherte sich der Freudenquelle. Dann waren es nur noch zwei Kilometer. Und die Freude, sie tropfte langsam aus einem Loch, das sie nicht finden konnte. Dann sah sie ihn wieder. Und ihr Freudenschiff ging unter ohne Aussicht auf Halt. Weiterlesen
Die Jadad-Skala wurde von Alejandro Jadad (geb. 1963) entworfen. Sie zeigt an, wie hoch die Qualität einer Studie mit Patienten ist. Die Jadad-Skala berücksichtigt die Randomisierung, die Verblindung und die Drop-outs. „Randomisierung“ bedeutet, dass Studienteilnehmer einer klinischen Studie zufällig auf verschiedene Therapiegruppen verteilt werden. Unter „Verblindung“ versteht man, dass die Patienten, die Behandler oder/und die Wissenschaftler, die die Studie auswerten, nicht wissen, wie der Patient behandelt worden ist. Unter „Drop-out“ versteht man die Zahl der Patienten, die während der Studie ausgestiegen sind. Weiterlesen
Zur Anpassungsstörung gehören Symptome, die nach einem belastenden Lebensereignis entstehen, also z.B. Schlaflosigkeit nach einer Trennung vom Partner. Entscheidende Lebensereignisse wie Hochzeit, Scheidung, Umzug, Tod eines Angehörigen, Umzug, Arbeitsplatz und ähnliches verursachen bei den meisten Menschen Stresssymptome – dazu können auch Magen-Darm-Beschwerden, eine Angststörung oder eine Depression gehören. Dauern die Beschwerden länger als ein halbes Jahr, ist eine chronische Anpassungsstörung entstanden.Weiterlesen
Kürzlich saß ich an einem Tisch mit Psychiatern zusammen. Es ging um einen Patienten, der sich in der Psychiatrie partout weigerte, in die Gruppentherapie zu gehen. Die Ärzte machten Kopfstände und versuchten alles, um ihn zu überreden. Sie setzten ihm zügig ein Ultimatum: Wenn der Patient morgen nicht in die Gruppentherapie geht, soll er fristlos entlassen werden. Der Patient hätte einen ausgeprägten Narzissmus, hörte ich. Er sei eigenwillig wie ein Kind. Man dürfe ihm das nicht durchgehen lassen. Man hätte sich an die Regeln zu halten. Der Patient brauche Struktur.
Er solle die Erfahrung machen, dass er nicht mit allem durchkommt. Er solle die Erfahrung machen, dass sein Handeln Konsequenzen habe. Ich merke, wie die Sichtweise, die viele Eltern auf ihre Kinder haben, sich in der Psychiatrie zwischen Ärzten und Patienten widerspiegelt. Es ist ein Machtkampf. Grenzen, Struktur und Regeln sind alles.
Ich frage, ob denn schon einmal jemand auf die Angst des Patienten geschaut hätte. Nunja, der Patient wirke gar nicht ängstlich. Er sei eher herrschhsüchtig. Aber ist Herrschsüchtigkeit nicht auch eine Form der Angst? Ist die Angst nicht sogar dann oft am größten, wenn man sie bewusst gar nicht wahrnimmt? Mir kommt das Bild von Vätern im Schwimmbad in den Sinn, die ihre Kinder zu Dingen nötigen, zu denen sie noch gar nicht bereit sind. „Mir kommt es vor, als stünde ein kleiner Junge auf einem 10-Meter-Brett und der Bademeister schreit ihn an: ‚Wenn Du nicht sofort da runterspringst, musst du das Schwimmbad verlassen!'“, sage ich. Ein Psychiater wendet ein, dass eine Angst ja durch die Drohung mit einer noch größeren Gefahr beseitigt werden könne. Wenn der Patient nur stark genug Angst davor habe, aus der Klinik zu fliegen, dann würde er schon in die verordnete Gruppentherapie gehen.
Es gibt Menschen, die haben so eine Angst vor anderen Menschen, dass sie ihnen nicht ins Gesicht schauen können. Es gibt Menschen, die fürchten sich unendlich vor Gruppen. Viele Schüler fürchten sich vor dem Sportunterricht. Doch alle diese Ängste lassen sich verstehen – wenn man sie nur ernst nimmt, wenn man sich mit den eigenen Ängsten auseinandersetzt und wenn man neugierig auf den anderen Menschen bleibt. Das Bild von „oben und unten“, von „Macht und Ohnmacht“, von „Regeln aufstellen und gehorchen“ herrscht oft da zu sehr vor, wo die Beteiligten selbst Angst haben und sich nicht frei fühlen. Die Vorstellung, dass man den Willen des Patienten respektieren könnte, kommt dann nicht mehr vor.
„Wenn Du heute lieb bist, dann darfst Du heute Abend fernsehen.“ „Wenn-dann-Sätze“ kommen vielen Eltern nur allzu leicht über die Lippen. Viele von uns sind selbst damit groß geworden. Heute hören wir überall, dass Kinder „Konsequenzen lernen“ müssen. Wir glauben allzu oft, dass unsere Kinder mit konsequenten „Wenn-dann-Sätzen“ Konsequenz lernen. Doch Konsequenz lernen die Kinder von ganz alleine schon im alltäglichen Leben. Dazu gehören etwa solche Zusammenhänge: „Wenn die Wolken am Himmel stehen, dann gibt es gleich Regen.“ Oder: „Wenn die Mama so ein Gesicht aufsetzt, dann wird sie gleich schimpfen.“ Konsequenz lernen die Kinder überall.
Viele Mütter leiden regelrecht darunter, weil sie sich nicht so konsequent fühlen, wie sie es doch laut Lehrbuch und Ratgeber sein müssten. Doch ich glaube, viele Mütter belasten sich dadurch unnötig. Denn wie fühlt sich ein Kind, wenn man ihm sagt: „Wenn Du heute lieb bist, darfst Du am Abend Deinen Lieblingsfilm sehen“? Versteckte Wut ist bei vielen Kindern die Reaktion.
Kleine Kinder leben im Hier und Jetzt, gerade das lieben wir ja so oft an ihnen und gerade dafür bewundern wir sie. Einen Zeitraum bis zum Abend zu überblicken, fällt ihnen sehr schwer. Und was heißt denn „Liebsein“? Wenn Kinder neugierig sind und die Welt entdecken, dann tun sie manchmal Dinge, die die Eltern eben als „nicht-lieb“ bezeichnen würden. Vor allem aber ist der Tag belastet. Das Kind kann den Tag nicht mehr unbeschwert gestalten, denn es passt die ganze Zeit auf. Die Chance, zu „versagen“, ist groß.
Und was lesen die Eltern derweil im nächsten Psychologiebuch? „Es ist wichtig, die Kinder bedingungslos zu lieben.“ Abgesehen davon, dass das oft eine wünschenswerte, aber unrealistische Forderung ist, geben wir dem Kind mit unserem „Wenn-dann-Satz“ zu verstehen, dass wir es lieben, wenn es die Bedingung „Liebsein“ erfüllt. Denn für das Kind ist es ein Zeichen der Liebe, wenn wir ihm erlauben, einen Film zu gucken, wenn wir ihm etwas kaufen oder ihm einen anderen Wunsch erfüllen.
Wir Erwachsenen sehen das manchmal anders. Wir sagen: „Auch, wenn Du jetzt nicht bekommst, was Du willst, haben wir dich lieb.“ Richtig, auch das kann ein Kind lernen: dass es geliebt wird, auch, wenn die Eltern nicht so handeln, wie es sich das selbst wünscht. Aber in der Regel leben die kleinen Kinder noch in einer sehr konkreten Welt. Aus Sicht der Kinder ist die Wunscherfüllung eben oft ein Liebesbeweis. Die Folge von „Wenn-dann-Sätzen“ ist doch oft, dass die Mutter mit sich unzufrieden wird, weil sie „mal wieder“ nicht konsequent war.
Das Kind wiederum fühlt sich möglicherweise nicht „bedingungslos geliebt“. Das Kind schafft es nicht, den ganzen Tag „lieb“ zu sein und fühlt sich als Versager. Oder es fühlt sich wie in einer unberechenbaren Welt, weil die Eltern unter Liebsein etwas anderes verstehen als es selbst. Wer von uns Erwachsenen schafft es denn schon, bis zum Abend „lieb“ zu sein? In der Hektik nicht einmal dem anderen schnell eine Parklücke wegzunehmen oder die Mutter des anderen Kindes nicht mal eben mit einer Notlüge abzuwimmeln? „Wenn-dann-Sätze“ kann man hier und da anwenden. Doch es ist wichtig, kurz einmal innezuhalten und nachzudenken, warum wir diese Sätze sagen und wie wir das tun. Wir können viel öfter auf „Wenn-dann-Sätze“ verzichten als wir glauben.
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 24.2.2012
Aktualisiert am 7.9.2014
Obwohl die Vojta-Therapie bei Babys sehr umstritten ist und viele Eltern (ver-)zweifeln lässt, sieht es nicht so aus, als könne sie bald „ins Gruselkabinett verbannt“ werden, wie die Kinderpsychiaterin Dr. Franziska Cottier-Rupp es ausdrückte (siehe „Kritische Expertenstimmen“). Doch woran liegt es, dass ein Ende dieser – wie ich finde furchtbaren – Methode nicht in Sicht ist? Wenn Geisterfahrer auf der falschen Bahn sind, fahren sie oft immer schneller in der Hoffnung, dass eine Ausfahrt kommt. Ähnlich ist es im alltäglichen Leben auch: Wenn ich merke, dass ich auf einem falschen Weg bin, ist es oft umso schwieriger, diesen Weg zu verlassen, je länger ich ihn schon gehe.
Manchmal klebt man regelrecht auf falschen Wegen – einerseits in der Hoffnung, es könnte sich plötzlich ein Ausweg zeigen. Andererseits fühlt man sich möglicherweise wie ein Verlierer, wenn man den eingeschlagenen Weg aufgibt. Manche Wege können wie eine Sucht sein, obwohl man genau weiß, dass sie falsch sind. Immer mehr muss man sich innerlich rechtfertigen, immer größer wird die Scham, weil man einen falschen Weg bewusst weiter geht. Das Loslassen kann zu einem richtigen Kraftakt werden.
Übersetzt auf die Vojta-Therapie mag das heißen: Nachdem die Eltern sich erst einmal auf die Vojta-Therapie eingelassen haben, ist es manchmal schwer für sie, diesen Weg wieder zu verlassen. Wir haben hier eine Therapieform, bei der Mütter mit Schuldgefühlen kämpfen und bei der die Grenzen des Kindes überschritten werden. In der ersten Vojta-Stunde mag die Mutter noch den Impuls verspüren, das Kind aus dieser schrecklichen Situation zu befreien. Doch die Physiotherapeutin beschwichtigt – sie sagt, das Kind schreie nur aufgrund der Anstrengung, obwohl die Mutter Angst und Verzweiflung aus dem Schreien ihres Babys hört. Dass das Baby „trocken“ (also ohne Tränen) schreie, sei ein Zeichen dafür, dass es keine Schmerzen habe. Die Mutter unterdrückt daraufhin ihre Zweifel und lässt sich auf diesen Weg ein – schließlich will sie sich später keine Vorwürfe machen, wenn ihr Kind sich möglicherweise nicht richtig entwickelt. Eine Mutter drückte es in meiner Umfrage so aus:
„(Die Therapie ist) keinesfalls schön für die Mama, aber man sollte wissen, dass das Baby nicht nachtragend ist und es später eher Vorwürfe machen würde, wenn es Schäden hätte, weil wir zu schwach waren, die Therapie durchzuhalten. Zumindest motiviere ICH mich mit diesen Gedanken!“
Häufig stellen Mütter fest, dass ihr Baby nach der Therapie lacht. Viele interpretieren es so, dass es ihm gut geht und dass die Therapie ihm gut getan hat. Doch das Baby lächelt in dieser Situation möglicherweise einfach aus Erleichterung darüber, dass die Qual ein Ende hat.
Die Meinung, dass das Baby sich später nicht erinnern könne, muss heute angezweifelt werden. Frühe Erfahrungen wie die der Vojta-Therapie werden im „impliziten Gedächtnis“ abgespeichert. Das Kind kann sich später zwar nicht bewusst erinnern, doch es zeigt seine impliziten Erinnerungen möglicherweise, indem es sich in bestimmten Situationen anspannt, während Umstehende sich fragen, was denn gerade so gefährlich ist. Häufig ist die unbewusste Erinnerung an Zeiten, in denen wir noch keine Worte hatten, schlimmer als die bewusste Erinnerung an schlimme Ereignisse, die wir in Worte fassen können. Die frühen Erfahrungen werden wahrscheinlich auch in das Körpergedächtnis eingeschrieben. Was das bedeutet, wird zur Zeit gerade erst erforscht.
Auch das sollte kein Argument für die Therapie sein. Kinder, die von ihren Eltern beispielsweise misshandelt wurden, fordern auch als Erwachsene noch ein, dass andere sie schlecht behandeln oder gar quälen. Kinder suchen immer das auf, was sie kennen – auch das, was ihnen möglicherweise nicht gut tut. Extrem gesprochen: Es gibt auch masochistische Erwachsene, die es genießen, wenn man ihnen Qualen zufügt. Kinder, die gequält werden, können das psychisch oft nur überleben, indem sie die schreckliche Situation umkehren („pervertieren“) und daraus ein Wohlgefühl gewinnen. Sie bringen sich selbst dazu, das Schlimme zu „genießen“, um ihre Verzweiflung zu bewältigen.
Mütter, die die Therapie – oft gegen inneren Widerstand – fortführen, sagen gelegentlich, dass die Vojta-Therapie ihre Beziehung zum Kind gestärkt habe. Doch was ist damit gemeint? Extreme Situationen verbinden Menschen. Doch ist die vermeintlich gute Bindung mag in Wirklichkeit manchmal eher eine ängstliche Anhänglichkeit sein. Das verunsicherte Kind ist möglicherweise in Angst an die Mutter gebunden. Die Bindung mag durch die Vojta-Therapie enger erscheinen – aber es ist die Frage, ob das eine „gute Bindung“ ist.
Viele Mütter erlauben sich keinerlei Aggression. „Mütter sind nicht aggressiv“, so die allgemeine Meinung oder zumindest der allgemeine Wunsch. Mütter, die sich selbst besonders kritisch beäugen, verdrängen jegliche Aggression. Doch Aggressionen gehören zum Muttersein genauso dazu wie Liebe auch. Beispielsweise ist es mitunter natürlich, traurig und wütend zu sein, wenn ein Kind krank oder behindert ist oder sich vielleicht nicht „richtig“ entwickelt. Eltern jedoch, die ihre Wut sofort verdrängen, weil sie ja nicht sein darf, haben ein Problem. Wohin mit der Aggression?
Unterdrückte Aggression wird nicht selten in „Fürsorge“ umgewandelt.
Das Kind wird übermäßig gepflegt und medizinisch versorgt. Wenn die Mutter mit verdrängter Aggression dann ein Rezept für eine Vojta-Therapie erhält, passiert psychisch so etwas: Die Mutter kann nach außen zeigen, dass sie dem Kind etwas Gutes will. Sie „therapiert“ ja das Kind, sie nimmt Schwieriges auf sich, um dem Kind zu helfen. Doch das schreiende Kind ist wie ein Ventil für ihre eigenen aufgestauten Aggressionen. Wer kennt das nicht: Wenn wir wütend sind und es uns gelingt, den anderen selbst wütend zu machen, dann sind wir möglicherweise erstmal erleichtert. Bleibt der andere, auf den wir wütend sind, ruhig und gelassen, kann uns das unter gewissen Umständen rasend machen.
Die Mutter ist geschützt – sie hat ein Rezept, den Rat eines Kinderarztes, sie will helfen. Die Therapie ist dann wie ein Deckmäntelchen, unter dem die eigenen Aggressionen versteckt und dennoch ausgelebt werden können. Diese Vorgänge sind den vielen Müttern nicht bewusst – bewusst wird ihnen die Scham und das Schuldgefühl. Daher ist es oft sehr schwierig, mit ihnen darüber ins Gespräch zu kommen.
Dunja Voos
Vojta-Therapie bei Babys – ein Aufschrei.
Hilfe bei einem ganz speziellen Trauma
Selbstverlag, Pulheim, 9.2.2021
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Dieser Beitrag erschien erstmals am 3.4.2011
Aktualisiert am 19.10.2023
Im August 2014 war ich im ZDF-Studio von „Volle Kanne“ zu Gast bei Ingo Nommsen. Das Thema: Wenn Kinder ihre Eltern verlassen: (Link nicht mehr aktiv:
http://www.zdf.de/volle-kanne/verlassene-eltern-interview-mit-medizinerin-dr.-dunja-voos-34671018.html) Weiterlesen