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„Kinder entstehen durch Essen“, phantasieren manche kleinen Kinder. Diese Phantasie entsteht schon, bevor die Kinder sie in Worte fassen können. Frühkindliche und unbewusste Phantasien sind unser Leben lang vorhanden. Kleine Babys spüren, was in ihrem Körper passiert und entwickeln darauf hin wahrscheinlich Phantasien. Diese Phantasien entstehen aus der Wahrnehmung, aus dem Fühlen (englisch: Sensation) heraus. Unbewusste Phantasien werden auch in unseren Fehlern deutlich. In einer Quizshow (Gefragt, Gejagt, 26.9.2023) wurde eine Kandidatin gefragt, wo im Körper sich „Otolithen“ befinden. Sie kannte den Begriff (Steinchen im Ohr) nicht und musste raten: „In der Lunge?“ Der „Fehler“ war nicht sinnlos: Möglicherweise hatte die Kandidatin an das „O2“ des Sauerstoffs gedacht.Weiterlesen

Wenn wir uns in der Kommunikation gegenüber sitzen (Face-to-Face), dann kommunizieren wir im Spiegel-Modus (englisch: Mirror-Image Prototype bei Hill, 1978). Schauen wir uns zusammen einen Film an oder gehen wir spazieren und sprechen dabei, kommunizieren wir im Tandem-Modus (englisch: In-tandem prototype), weil wir beide in die gleiche Richtung schauen. Psychotherapien finden oft im Spiegel-Modus, also im Gegenüber-Sitzen statt, während Psychoanalysen auch im Tandem-Modus, also im Liegen auf der Couch durchgeführt werden, sodass Patient und Analytiker beide zum Fenster herausschauen können.Weiterlesen

Wenn wir „reflexiv“ sind, dann sind wir nachdenklich. Wenn wir sehr viel über uns nachdenken, dann sind wir „hyperreflexiv“. Eigentlich ist es kein „Nachdenken“, sondern ein fruchtloses Grübeln. Wenn wir unter einer psychischen Erkrankung leiden, dann scheint uns unser Leiden dazu zu zwingen, nur über unsere eigenen Sorgen nachzudenken, während die anderen Menschen unwichtiger werden. Wenn wir Zahnweh haben, sind uns die Rückenschmerzen des anderen egal. Auch über das, was wir gesagt und getan haben, verfolgt uns – wir fühlen uns schuldig und können dem anderen kaum zuhören. (Text & Bild: Dunja Voos)Weiterlesen
Unter dem „präreflexivem Selbstbewusstsein“ (pre-reflexive self-consciousness) versteht man das bewusste Erleben, bevor wir darüber nachdenken. In der Stanford Encyclopedia of Philosophy heißt es (frei übersetzt von Voos): Das präreflektierende Selbst-Bewusstsein ist da, wann immer ich durch eine Erfahrung gehe, das heißt, wann immer ich die Welt bewusst wahrnehme. Dazu gehört z.B. die Erinnerung an ein vergangenes Ereignis, die Vorstellung eines zukünftigen Ereignisses, das Denken eines gerade auftretenden Gedankens. Auch Traurig- oder Fröhlichsein, Durst- oder Schmerzenhaben, gehören dazu.“Weiterlesen

Das Arbeiten mit dem „inneren Kind“ ist spätestens mit dem Buch „Das Kind in Dir muss Heimat finden“ von Stefanie Stahl (Kopp-Verlag, 2015) bekannt geworden. Es bedeutet, dass man sich selbst eine gute Mutter sein kann und die inneren Ängste und Regungen auch als etwas versteht, das aus der Kindheit erwachsen ist. Durch dieses Konzept gewinnst Du Abstand zu Dir selbst. Es kann sehr hilfreich sein, z.B. wenn Du Angst hast. Dann kannst Du Dir zum Beispiel sagen: „Ein Teil von mir hat Angst, mein inneres Kind hat Angst. Ich habe als Kind erlebt, wie meine Mutter mich anschrie und jetzt habe ich Angst, dass meine neue Vorgesetzte mich genauso anschreien könnte. Ich kann meine Angst in meine Hände legen, mein inneres Kind an die Hand nehmen und zusammen mit dieser Angst ins Bewerbungsgespräch gehen.“ Weiterlesen

Sobald ein Ungeborenes das Licht der Welt erblickt, nimmt es Kontakt zur Mutter auf. Seine Stimme und Blicke erreichen sie und die Mutter weiß intuitiv, was zu tun ist. Dieses angeborene Bindungsverhalten sichert uns seit jeher das Überleben. Der britische Psychoanalytiker John C. Bowlby (1907-1990) und die amerikanische Entwicklungspsychologin Mary S. Ainsworth (1913-1999) entwickelten die Bindungstheorie. Bowlby hatte im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) am Ende des zweiten Weltkrieges erforscht, was mit den Kindern passierte, die ihre Eltern verloren hatten. Er kam zu dem Ergebnis, dass traumatische Trennungserfahrungen in der Kindheit zu psychischen Störungen führen können, die sich bis ins Erwachsenenalter hinein zeigen. Weiterlesen

Unter dem Pötzl-Phänomen, benannt nach dem österreichischen Psychiater Otto Pötzl (1877-1962), versteht man das Auftauchen von Bildern in Träumen, die aus kurz dargebotenen Bildern im Wachzustand stammen. Man spricht auch von „subliminaler Wahrnehmung“, weil man unbewusst einen Reiz wahrgenommen hat, der unter der Reizstärke lag, die ein Reiz haben müsste, um direkt ins Bewusstsein zu gelangen. Das Thema „subliminale Wahrnehmung“ ist bei vielen Menschen mit einem unguten Gefühl behaftet. Viele kennen die Versuche mit subliminaler Limonaden-Werbung im Kino oder mit Filmen, durch die ein Affe läuft, der von den meisten Zuschauern nicht direkt wahrgenommen wird. Weiterlesen

„Die Situation an sich ist so wie sie ist. Was sie so unerträglich macht, sind die Gedanken dazu. Unsere Bewertung entscheidet darüber, ob etwas gut ist oder schlecht“, hört man. Ich denke, dass es anders ist für Menschen, die frühe, schwere traumatische Erfahrungen gemacht haben – insbesondere, wenn der Körper mit einbezogen war. Da spürten sie genau: Zuerst ist da das Unerträgliche. Die Gedanken sind nur die Folge, um es zu begreifen. Sie hatten keinen anderen Menschen, der das Unerträgliche mit ihnen ertrug. Weiterlesen
Es war in der Zeit, als ich in meiner eigenen Lehranalyse merkte, dass es in mir ein beobachtendes, ruhiges Ich gibt, das sich von dem ganzen inneren und äußeren Chaos nicht beeindrucken lässt. In dieser Zeit sagte mir ein Patient, der sich in einer schrecklich aufwühlenden Lage befand: „Und wissen Sie – in all der Aufregung gibt es da etwas in mir, das immer ganz ruhig bleibt und das alles nur beobachtet.“ Ich hatte das Gefühl, dass dieser Satz meine Entdeckung, mein Bewusstwerden, noch vertieft. Solche Wechselwirkungen finde ich in den Therapiestunden immer wieder. Dieser Beruf erscheint mir so sinnvoll, weil er aus vielen kleinen Bausteinen besteht, die gegenseitige Befreiung bewirken. Weiterlesen