Willkommen

Kastrationsangst

Die Angst, den Penis abgeschnitten zu bekommen – das verstehen wohl die meisten Menschen darunter, wenn sie den Begriff „Kastrationsangst“ hören. Auch Sigmund Freud fasste den Begriff „Kastrationskomplex“ eng. Heute verstehen viele Psychoanalytiker mehr darunter: Die Angst, in seiner Integrität beschnitten zu werden, einen Teil seines Körpers, seines „erweiterten Körpers“ (wie Handy, Auto, Spielzeug) oder seiner Macht (Potenz) zu verlieren, kann zur Kastrationsangst gehören. „Castrare“ ist zwar das lateinische Wort für „entmannen“, aber das Wort „Castra“ bedeutet „Lager“. „Castrensis“ heißt „zum Lager gehörig“. Immer also, wenn man Angst hat, dass der eigene Körper, die eigene Person, Schaden nimmt oder etwas verliert, kann es „Kastrationsangst“ sein.

„Unter Anerkennung all dieser Wurzeln des Komplexes habe ich doch die Forderung aufgestellt, daß der Name Kastrationskomplex auf die Erregungen und Wirkungen zu beschränken sei, die mit dem Verlust des Penis verknüpft sind.“ Sigmund Freud: Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben (1909)

Die Angst kleiner Kinder vor dem Frisör und vor Heckenscheren

Viele Kinder haben Angst vor dem Frisör – hier spiegelt sich ihre „Kastrationsangst“ wider. Sie haben Angst, „beschnitten“ zu werden und das noch junge Gefühl, ein ganzer und eigenständiger Mensch zu sein, wieder zu verlieren. Bei kleinen Jungen ist die Kastrationsangst oft größer als bei Mädchen – sie haben ja auch mehr zu verlieren. Besonders Jungs fürchten sich manchmal davor, ein Bein oder einen Arm zu verlieren. Viele kleine Jungs haben in ihrer Entwicklung eine Phase, in der sie sehr große Angst vor lauten Geräuschen haben. An der Kettensäge oder Heckenschere des Nachbarns können sie ebenso wenig vorbeigehen wie an einem Hund – auch, wenn sie noch wenige Monate zuvor überhaupt keine Angst vor diesen Dingen hatten.

Es ist, als hätte es in ihrem Kopf „Klick“ gemacht und sie hätten ihren Körper als Ganzes begriffen. Damit steigt die Angst, es könnte ihm etwas zustoßen, es könnte etwas abfallen.

Auch Mädchen sind betroffen – aber weniger ausgeprägt

Mädchen sind oft zwar weniger betroffen, doch auch sie befürchten, beschädigt zu werden. Auch sie fürchten das Nägelschneiden oder den Frisör, weil er ihnen den „Pferde-Schwanz“ abschneiden könnte. Bei Mädchen kann die Phantasie vorkommen, dass sie früher einmal einen Penis hatten, der ihnen dann abgeschnitten wurde. Auch kleine Jungen denken beim Anblick des Mädchens manchmal, man hätte dem Mädchen den Penis abgeschnitten. Daher befürchten sie, es könnte ihnen auch so gehen. In dieser Phase fürchten sich die kleinen Kinder oft vor Strafen und sie wollen besonders „lieb“ sein, um die Erwachsenen zu besänftigen.

Berechtigte Angst. Immer noch werden Jungs bei einer Phimose relativ leichtfertig operiert (Zirkumzision = Beschneidung). Dabei wird die Vorhaut des Penis entfernt. Doch die Vorhaut hat wichtige Funktionen – unter anderem verstärkt sie das sexuelle Erregungsempfinden. Viele Männer leiden darunter, dass ihnen die Vorhaut genommen wurde. Mehr dazu im Buchtipp: „Ent-hüllt“.

Struwwelpeter – Daumen ab!

Verstärkt werden Kastrationsängste oft durch alte Erziehungsmethoden. Droht man dem kleinen Jungen, der noch am Daumen lutscht, dass man ihm den Daumen abschneiden würde, löst man damit viele beängstigende Phantasien aus. Auch in der Kindergeschichte vom „Struwwelpeter“ ist es so: Dem Daumenlutscher wird der Daumen abgeschnitten. Interessant ist vielleicht auch, dass viele Kindergärtnerinnen bei den kleinen Jungs um ihren „Umgang mit der Schere“ besorgt sind.

Bei Erwachsenen äußert sich die Kastrationsangst oft darin, dass er befürchtet, er könnte an Macht und Einfluss verlieren. Der erwachsene Mann hat Angst davor, dass sein Auto beschädigt wird oder sein Geld verloren geht. Alles, was ein Symbol für seine „Potenz“ ist, ist in Gefahr, beschädigt zu werden oder abhanden zu kommen. Natürlich haben wohl alle Menschen immer wieder solche Gedanken und Ängste. Besonders stark sind diese Ängste jedoch in der ödipalen Phase des Kindes, also etwa im Alter von 4-6 Jahren, in dem die Kinder sich stark mit dem eigenen und dem anderen Geschlecht auseinandersetzen.

Von der Kastrationsangst zur Hysterie

In der Pubertät können Kastrationsängste erneut erwachen, etwa, wenn der junge Mann befürchtet, die Scheide der Frau könnte seinen Penis „fressen“. In asiatischen Ländern ist die psychische Störung „Koro“ wohl eine besondere Form der Kastrationsangst. Hier befürchtet der Mann, dass der Penis sich zurück in den eigenen Körper ziehen könnte. Konflikte rund um die ödipale Phase, also um die Themen Mann, Frau und Sexualität, können Kastrationsängste verstärken. Sie spielen bei der hysterischen Neurose eine Rolle.

Verwandte Artikel in diesem Blog:

Links:

Beschneidung fördert Kastrationsangst
Der Standard, 1. August 2012

Dieser Beitrag erschien erstmals am 24. Oktober 2013
Aktualisiert am 18.4.2020

Über die Angst, den Respekt und die Autorität zu verlieren

Eltern, Lehrer, Ärzte, Führungskräfte kennen es: Die Angst, ihre Autorität zu verlieren. „Das Kind, der Klient, der Mitarbeiter soll mir auf keinen Fall auf der Nase herumtanzen“, sagen sie. Doch was genau befürchten Eltern ebenso wie Führungskräfte, wenn sie um den Verlust ihrer Autorität fürchten? Ein „Autor“ zu sein bedeutet ja, der Urheber von etwas zu sein. Wenn alles gut geht, spüren wir, dass wir etwas bewirken können. Zufriedene Kinder wissen: Wenn ich eine Umarmung brauche und meiner Mutter das zeige, wird sie mir die Umarmung geben. Weiterlesen

„Aber ihr könnt doch zusammen spielen!“

Zwei Kleinkinder streiten sich um die rote Schaufel. Die Tränen fließen, das Geschrei ist groß. Um Frieden bemüht sagt die Mutter: „Aber ihr könnt doch zusammenspielen!“ Immer wieder ist die Mutter ratlos, weil sie die Vorstellung hat, dass die Kleinkinder doch teilen und sich abwechseln könnten. Aber damit macht die Mutter sich unnötigen Stress, denn die Kinder sind mit zwei und drei Jahren schlicht noch zu klein. Sie können tatsächlich noch nicht zusammenspielen. Das Argument, (Klein-)Kinder bräuchten andere (Klein-)Kinder, um sich zu sozialisieren, ist weit verbreitet. Dabei kommen die meisten Kleinkinder ganz wunderbar ohne andere Kleinkinder aus. Es ist sogar eher so, dass sich die Kleinkinder gegenseitig stressen, wenn es zu viele sind. Weiterlesen

Henri Parens über Fremdenhass: Aggressionen vorbeugen heißt auch Rassismus vorbeugen

Aggressive Kinder sind nicht einfach so aggressiv – sie haben immer einen Grund dazu. Meistens sind es chronische Frustrationen, die dazu führen, dass ein Kind aggressiv wird. Vernachlässigte und eingeengte Kinder leiden zudem oft an einem schwachen Selbstwe...

Dieser Beitrag ist nur für Mitglieder sichtbar.

Jetzt Mitglied werden

Vom Größen-Selbst zum realistischen Selbst

Als Kind haben wir vielleicht gedacht, dass unsere Eltern alles können. Mit der Zeit haben wir bemerkt, dass das nicht so ist. Immer wieder wurden wir enttäuscht und frustriert von den Begrenzungen der Eltern. Irgendwann wurde uns klar, dass die Mutter ein eig...

Dieser Beitrag ist nur für Mitglieder sichtbar.

Jetzt Mitglied werden

Einsamkeit macht dick

Amerikanische Wissenschaftler um Afton Koball (Bowling Green State University, Ohio) konnten bestätigen, dass besonders Langeweile ein Grund zum Essen ist („Eating when bored, 2011“). Wenn Du übergewichtig bist, weißt Du, dass Du zu viel isst, das Falsche isst oder Dich zu wenig bewegst. Es müsste sich etwas an Deinem Grundbefinden ändern, damit Du Deine Gewohnheiten umstellen kannst. Und da könnte man sagen: „Gesellschaft statt Diät“ oder „Beziehung statt Diät“. Ein neues Wohn- und Arbeitsumfeld können Dir im Laufe der Zeit mehr Kraft geben. Bleibe geduldig, schau, wovon Du träumst und versuche, in vielen kleinen Schritten die Dinge zu verwirklichen, die Dir gut tun.

Verwandte Artikel in diesem Blog:

Studie:

Koball, Afton M. et al. (Bowling Green State University, Ohio, USA, 2011):
Eating when bored: Revision of the emotional eating scale with a focus on boredom
Health Psychology, Oct 17, 2011, No Pagination Specified. doi: 10.1037/a0025893
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22004466

Dieser Beitrag erschien erstmals am 30.5.2012
Aktualisiert am 20.9.2019

Froh ohne Abi

Alle stöhnen über den Druck in der Schule und viele fragen sich, wie man aus der Druckspirale herauskommt. Den Kindern zu sagen, man könne auch ohne Abi glücklich werden, reicht nicht, denn sie können es selbst nicht glauben. Was helfen kann, sind Vorbilder. Und diese Vorbilder müssen ganz nah sein, sodass ein Kind oder Jugendlicher sagen kann: „Genau so will ich werden.“ Einige Fernsehsendungen machen Mut: „Handwerker mit Leib und Seele“ (BR), „Handwerksunst“ (SWR) sowie „Der Letzte seines Standes“ (BR). In Kurzfilmen werden Handwerker vorgestellt, die ihren Beruf über alles lieben.

Handwerker mit Leib und Seele (Filme von Frank Sauer):
Georg Lippkau, Der Kunstschmied aus Wall, sein Schüler Schmiede-Hacklinger
Peter Bauhuis, Der Goldschmied aus München
Heidi Greb, Die Filzerin aus Pupplinger Au
Glasmalerin Katrin Engel-Meyer, www.sattlerglas.de

Außerdem:

Nina Klos, www.ninas-pralinenmanufaktur.de
Ofen Weiss – Ofenbauer in Calw
Geigenbaumeister Rainer Leonhardt in Mittenwald
Ausbildung zum Steinmetz bei Steinbildhauermeisterin
Adelheid Biermann, Naturstein Meisterwerkstatt in Pulheim

Weitere Links:

Bibliothekar: Ausbildung zum Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste, Fachrichtung Bibliothek, Oelde
Bootbauer: z.B. https://www.sirius-yachts.com/hand-built/
Geigenbauer: Ausbildung zum Geigenbauer in Mittenwald: www.instrumentenbauschule.eu
Greenkeeper: Aufgaben und Ausbildung: https://greenkeeperverband.de/greenkeeper-werden/
Schäfer: Ausbildung zum Schäfer, www.schafzucht-online.de
Ausbildung zum Schäfer (Tierwirt), www.stellenmarkt-schafe.eu/employmenttype/ausbildung/
Segelmacher: Ausbildung zum Segelmacher, z.B. bei beilken.de

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am: 27.9.2012
Aktualisiert am 4.2.2024

Regression im Dienste des Ichs und Maligne Regression

Der Begriff "Regression" stammt vom lateinischen Wort "regredi" ab, was "zurückgehen" bedeutet. Wer sich von altersentsprechenden Verhaltensweisen zurückzieht auf frühere Entwicklungsstufen, der regrediert. In kritischen Situationen neigen wir zur Regression. ...

Dieser Beitrag ist nur für Mitglieder sichtbar.

Jetzt Mitglied werden

Dankbarkeit kommt ganz von selbst

"Schreiben Sie doch mal auf, für was Sie alles dankbar sein können. Verdeutlichen Sie sich das regelmäßig." Es kann erleichternd sein, sich zu vergegewärtigen, was man schon erreicht hat und wieviel Gutes einem widerfahren ist. Doch bei vielen klappt es nicht....

Dieser Beitrag ist nur für Mitglieder sichtbar.

Jetzt Mitglied werden

Neid – Gefühle erklärt für Kinder (und Erwachsene)

Warst du schon einmal neidisch? Bestimmt kennst du dieses Gefühl - es sticht und  tut weh. Vielleicht bist du neidisch, weil dein Freund eine Sache hat, die du selbst nicht hast. Vielleicht hat deine Freundin immer schönere Klamotten als du selbst. Man kann ei...

Dieser Beitrag ist nur für Mitglieder sichtbar.

Jetzt Mitglied werden