Lehrer stellen bei 12-jährigen Kindern, die als Kleinkind in einer Krippe betreut wurden, gehäuft Aggressionen und Verhaltensauffälligkeiten fest. Die Zeitschrift „Child Development“ berichtete darüber in ihrer März/April-Ausgabe 2007. Es ist das Ergebnis der Studie namens „Study of Early Child Care and Youth Development (SECCYD)“. Seit 1991 wurden in der Studie über 1300 Kinder untersucht.
Aggressionen noch im „Normbereich“
Studienleiter Jay Belsky und seine Mitarbeiter fanden heraus, dass Kinder, die mindestens 10 Stunden pro Woche in der Kinderkrippe verbracht hatten, im 6. Schuljahr häufiger Aggressionen und schwieriges Verhalten zeigen, als Kinder, die von den Eltern, der Tagesmutter oder einem Kindermädchen betreut wurden. Der gemessene Grad an Aggressionen war zwar hoch, aber noch im „Normbereich“. Allerdings lässt die Vielzahl der betroffenen Kinder die Wissenschaftler aufhorchen. Dieses Studienergebnis stützt die Beobachtungen psychoanalytischer Entwicklungspsychologen, nach denen Kleinkinder die persönliche, kontinuierliche und umfassende Zuwendung mindestens einer Bezugsperson brauchen, um sich in gesunder Weise emotional entwickeln zu können.
Vorsprung in der sprachlichen Entwicklung bei 12-Jährigen nicht mehr nachweisbar
Erste Studienergebnisse im Jahr 2001 zeigten, dass die ehemals in der Krippe betreuten Kinder über bessere sprachliche Fähigkeiten verfügten als andere Kinder. Dieser Vorsprung ist bei den 12-Jährigen nicht mehr nachweisbar.
Was nun?
Viele Mütter fühlen sich durch solche Studienergebnisse immer wieder unter Druck gesetzt. Einige Mütter empfinden es als Erleichterung, ihr Kind abgeben zu können und arbeiten zu gehen, andere tun sich sehr schwer mit der Trennung, sind aber aufgrund der Umstände gezwungen, ihr Kind in einer Krippe unterzubringen. Wichtig ist dabei immer eines: dass das Kind genügend Erwachsene um sich herum hat, die ihm Halt geben können. Kleinkinder können sich nicht gegenseitig auffangen. Die Gefühle der Kleinen wollen „gehalten (contained)“ werden. Das können nur Erwachsene, die ausreichend Zeit für das Kind haben – und von ihnen muss es genug geben.
Verwandte Artikel in diesem Blog:
Lesetipp: Krippenbetreuung sollte nicht schöngeredet werden.
Trennungsschmerz im Kindergarten
Link:
Burghard Behncke:
Ergebnisse der neuen NICHD-Studie.
www.familie-ist-zukunft.de
Krippenausbau in Deutschland – Psychoanalytiker nehmen Stellung
www.psychoanalyse-aktuell.de
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 26.12.2008
Aktualisiert am 29.3.2016
Alex Diers meint
Es stimmt sehr bedenklich, wie unkritisch und fragwürdig diese Studie interpretiert und zitiert wird, um politische Forderungen zu unterstützen bzw. durchzusetzen. Nun ist auch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Artikel erschienen, der vermeintlich die aktuelle Diskussion über das Thema Betreuungsgeld in eine Richtung zu unterstreichen scheint. Dabei lässt die Studie aufgrund des Studiendesigns, des bereits sehr alten Beobachtungszeitraums und der geografischen Lage, nämlich den USA, keinerlei Übertragbarkeit in unsere Verhältnisse zu. Am besten nennen die Autorengruppe der Studie selber das eigentliche Problem, was ich hier aus den Original-Studienergebissen zitiere: „As a group, we recognize that any simplistic notions about the application of this research to policy with respect to child care is naive, and we suggest that more complicated cost–benefit analyses and direct tests of particular policies are required to understand the implications of child-care experiences at a societal level.“ Damit ist alles gesagt und dürfte ein Appell an alle Autoren zu diesem Thema sein, vernünftig und wissenschaftlich diese Studie zu prüfen.
Dunja meint
Liebe Frau Hoffmann,
da kann ich Ihnen nur zustimmen – wenn ich sehe, was die beiden Kindergärtnerinnen hier im Dorfkindergarten zu leisten haben, ist das einfach nur traurig: Essen auftischen, abräumen, teilweise spülen, Kinder wickeln, Pförtner spielen. Und die Kinder werden sich selbst überlassen. Das ist tragisch. Während über „Bio-Kost“ und „rutschfeste Böden“ im Kindergarten diskutiert wird, kommt die Diskussion über die psychischen Folgen aufgrund von Betreuungsmangel viel zu kurz.
Dunja Voos
Gerda Hoffmann meint
Wenn ich mir die Ergebnisse der NICHD – Studie anschaue, bekomme ich nicht nur Bauchschmerzen, am liebsten möchte ich laut schreien! Für alles ist bei uns Geld vorhanden, nur für unsere Kinder nicht. Wo soll das hinführen? Auch wenn in Deutschland keine vergleichbaren Studien vorliegen, die Bedingungen für eine qualitativ gute Arbeit in Krippen können nicht annähernd erfüllt werden. Selbst die engagiertesten Erzieher müssen verzweifeln, weil einfach die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Um es mit den Worten einer ehemaligen Kollegin auszudrücken, die gleichzeitig Facherzieherin für Integration ist: „Es belastet mich ungeheuer, dass ich weiß, was zu tun wäre und ich es nicht tun kann!“ Mehr braucht man dazu nicht zu sagen. Ich hoffe nur, dass immer mehr Menschen den Mund aufmachen und der „Schönrederei“ der Politik etwas entgegen setzen!
Gerda Hoffmann Berlin