Wenn wir in einem Traumlabor ein Bild als Stimulus (also als „Reiz“) so kurz gezeigt bekommen, dass wir es bewusst gar nicht wahrnehmen können, kann das Bild in Teilen wieder in unseren Träumen auftauchen. Beispielsweise zeichneten Versuchspersonen, die das Bild einer alten Lokomotive mit einem großen Rad gezeigt bekommen hatten, nach ihrem Traum Teile des Rades, z.B. die Schraube aus der Mitte. Das große Rad wurde also im Traum in seine Einzelteile zerlegt („Dissoziation“). Den kleinsten gezeichneten bzw. erinnerten Baustein, der noch als „Stimulusrest“ wiedererkannt werden kann, wurde von der Traumforschungsgruppe um Wolfgang Leuschner als „Radikal“ bezeichnet.Weiterlesen
Ich las einmal ein englisches Stück, das ging ungefähr so: Sie spürte Liebe in ihrem Bauch. Das Gefühl stieg in ihrem Hals auf und legte sich auf ihre Zunge. Sie sprach das Wort „Liebe“ aus. Und es fiel auf den Boden und zerbrach wie Glas in tausend Scherben. | Warum haben wir so oft den Eindruck, dass unser Gefühl stirbt, wenn wir es aussprechen? Vielleicht, weil die Worte unserem Gefühl nicht immer gerecht werden können. Unsere Gefühle sind oft so unaussprechlich, dass wir spüren: Das Wort kann nicht annähernd ausdrücken, was wir wirklich fühlen. Vielleicht denken wir, der andere will von uns hören, was wir fühlen – so wie Erwachsene zu einem Kind manchmal sagen: „Was sagt man da?“, um das Wort „Danke“ zu hören. Doch dadurch wird etwas Wertvolles zerstört: Das Gefühl geht kaputt. Weiterlesen
Wie entscheidend die ersten drei Lebensmonate für unsere psychische Entwicklung sind, zeigt die Säuglingsforscherin Beatrice Beebe eindrucksvoll in ihrem Video „Decoding the nonverbal language of babies“ (2019, Youtube). Wenn man als Baby keine ausreichend einfühlsamen Eltern hatte – ist dann alles verloren? Mimik und Gestik der Mutter/des Vaters (oder jeder anderen nahen Bezugsperson) entscheiden mit darüber, ob sich ein Kind verstanden, geborgen oder verloren fühlt. Doch nicht nur die Mutter beeinflusst ihr Kind, sondern auch das Kind hat Einfluss auf die Mutter. In der Psychotherapie können bewusst neue Erfahrungen mit der Mimik ermöglicht werden.
Beatrice Beebe zeigt Beispiele von geglückter und von missglückter Face-to-Face-Kommunikation. Vieles wird erst in der Zeitlupe von Sekunde zu Sekunde sichtbar.
Bei der gut passenden Kommunikation bekommt die Mutter mit, wenn ihr Kind den Kopf wegdreht und Rückzug braucht. Dann kann sich auch die Mutter etwas zurücklehnen und eine träumerische Haltung einnehmen. Kommt das Baby wieder zurück in den Kontakt, reagiert die Mutter mit einem „Willkommen“.
In der Video-Aufnahme mit einer frühtraumatisierten, depressiven Mutter, ist die Hoffnungslosigkeit der Mutter in ihrem Gesicht zu sehen. Die Mutter zieht sich in sich zurück, wird in negativer Weise „träumerisch“ und denkt: „Das ist zu viel für mich. Ich will Dich so nicht.“ Andererseits reagiert die Mutter in übertriebener Weise auf die erneute Kontaktaufnahme des Babys mit ihr. Diese Überreaktion erschreckt das Kind. Manchmal lacht die Mutter an unpassenden Stellen, wobei das Kind im Video fast wie ein Erwachsener seine Hand auf sein Gesicht legt, als wollte es sagen: „Oh mein Gott.“
Wohl wissend, dass so manch ein Patient als Baby eine unpassende Kommunikation erlitten hat, kann die achtsame Gesicht-zu-Gesicht-Kommunikation in der Psychotherapie heilsame Wirkung haben. Aus den Videos von Beatrice Beebe können Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen viel lernen. Wichtig ist es, in der Mimik passend auf den Patienten zu antworten, ohne ihm zu ähnlich oder zu fremd zu sein. Meistens passiert das natürlicherweise, ohne darüber nachzudenken.
Beebe zeigt, wie unpassend es ist, wenn ich ein besorgtes Gesicht mache, und der andere ein versteinertes Gesicht aufsetzt. Wenn ich besorgt bin und der andere fängt an zu lachen oder er wendet sich ab, dann bekomme ich ein ungutes Gefühl. Wenn ich jemanden anlächele und der andere lächelt nicht zurück, fühle ich mich komisch, fremd, irritiert, enttäuscht und vielleicht ärgerlich. Wir wissen das alles. Doch es kann sehr lohnend sein, in der Psychotherapie auf Gestik, Mimik, Körperhaltung und Stimme zu achten.
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 7.6.2023
Manchmal leiden wir unter Schmerzen am Anus, ohne dass wir Schäden wie z.B. Hämorrhoiden oder Fissuren dort haben. Meiner Erfahrung nach sind die Ursachen oft Kälte und zu viel Essen am Abend. In einer Studie aus dem Jahr 1986 (Dodi et al.) konnte gezeigt werden, wie Kälte den Druck im Anus erhöhen kann. So höre ich auch oft, dass Betroffene (gerade auch Kinder) nach einem längeren Besuch im Schwimmbad über Anusschmerzen klagen. Anusschmerzen können sich ähnlich anfühlen wie ein Vaginismus, also eine schmerzhafte Verkrampfung der Vagina. Der innere Anusschließmuskel besteht aus glatter Muskulatur, die wir kaum bewusst steuern können, ähnlich wie die übrige Darmmuskulatur. Weiterlesen

In der Psychoanalyse gehen Patient und Psychoanalytiker ein „Arbeitsbündnis“ ein. Beide halten sich an den vereinbarten Rahmen (z.B. feste Zeiten) und ihre Aufgaben (z,B. Abstinenz auf Seiten des Psychoanalytikers und freies Assoziieren auf Seiten des Patienten, wobei heute auch das Schweigen als kreativer Prozess verstanden wird und nicht mehr hauptsächlich – so wie früher – als Widerstand). Wenn wir Hilfe bei eime Psychoanalytiker suchen, dann erhoffen wir uns einen Partner, der uns dabei hilft, unsere inneren Mächte zu erforschen und verstehen. Wir wollen erkennen, was in uns vor sich geht, damit sozusagen „das Gute über das Böse“ siegen kann. Unsere inneren Kräfte und äußeren Bedrohungen sind manchmal so groß, dass wir alleine damit nicht mehr zurecht kommen. Weiterlesen
Billie Eilish hat es, Jan Zimmermann beschreibt sein Tourette-Syndrom sehr anschaulich in seinen Videos „Gewitter im Kopf“ und im Fernsehen finden sich immer häufiger Menschen, die von dieser Erkrankung erzählen. Dabei leiden die Betroffenen unter nicht oder nur schwer kontrollierbaren Bewegungen (Tics) und Ausbrüchen von Worten, kurzen Sätzen und Geräuschen bzw. Stimmlauten (Vokalisationen). Sehr oft sind es aggressive, provokante und obszöne Worte, die plötzlich aus den Betroffenen ausschießen. Weiterlesen

In Balintgruppen stellen Therapeuten ihre Patienten vor. Sie erzählen von einer Szene, die sie bewegt. Dann sollen sie sich schweigend zurückziehen und hören, was die Gruppe dazu sagt. Manche Gruppenleiter fügen noch eine „Sachfragen-Runde“ ein: „Hat noch jemand aus der Gruppe eine sachliche Frage zu dem Erzählten?“ Hier kann derjenige, der den Patienten vorgestellt hat, „falsch“ Verstandenes noch korrigieren. Damit geht jedoch auch eine wichtige Spannung verloren. Gruppenleiter, die keine korrigierende Sachfragen-Runde einlegen, „verdammen“ den Erzähler somit dazu, in Anspannung zu verharren. Weiterlesen
Wer ein großes Ziel hat, arbeitet mit aller Kraft. Doch auf allen langen Wegen verlassen uns auch mal die Kräfte. Einmal, zweimal oder mehrmals. Immer wieder schauen wir zum Gipfel und denken: „Das schaff‘ ich nie.“ Dann fällt einem der Spruch ein: „Der Weg ist das Ziel.“ Klingt vielleicht vergebens. Doch auf dem Weg findet das Erleben statt. Vielleicht lässt sich ein Mittelweg finden: Du schaust auf Deinen Weg in dem Vertrauen, dass Du das Ziel schon erreichen wirst. Manchmal definieren sich Ziele auch neu. Es ist wie in vielen Märchen: Nicht nach hinten schauen, aber auch nicht nach vorne starren. Einfach gehen. Du verlierst so viel weniger Kraft. Weiterlesen
Manchmal will man nicht wissen, was die andere Person denkt und fühlt. Zu schrecklich könnte das Ergebnis sein. Ein kleines Kind, das mit einer gewalttätigen Mutter aufwächst, kann das oft nur aushalten, indem es die bösen Teile der Mutter ausblendet. Es beobachtet zwar die Mutter genau, es weiß immer besser, wann es mit ihrer Wut zu rechnen hat, aber es ist nicht wirklich frei, empathisch zu sein. Dieses Kind geht dem Wissen um den wirklichen emotionalen Zustand der Mutter aus dem Weg. Es will vieles gar nicht erspüren können und zieht das Nichtwissen vor, denn die Wahrheit erscheint zu bedrohlich, solange das Kind noch abhängig von der Mutter ist. Weiterlesen