
Körperliche Schäden kann man sehen, psychische auf den ersten Blick oft nicht. Psychisch schwer verletzte Menschen geraten immer wieder in einen Zustand, der ihnen schrecklich weh tut. Sie haben schreckliche psychische Schmerzen. Doch das Problem: Sie können in dem Moment nicht zum Ausdruck bringen, was in ihnen vorgeht. Sie finden dafür keine Worte. Ihr Zustand erinnert an die Verfassung eines kleinen Kindes, das sich völlig unverstanden fühlt. Es schreit und erhält als Reaktion im schlimmsten Fall eine erzieherische Maßnahme. (Text: © Dunja Voos; Bild: © Julia)
Unverständliche Verzweiflung

„Wenn ich unausstehlich bin, dann nimm mich bitte einfach in den Arm“, sagen Menschen mit schweren psychichen Verletzungen manchmal zu ihren Partnern oder Freunden. Doch das ist schwierig. Die anderen verstehen die Aussage als „Wasch mich, aber mach mich nicht nass!“ Dieser Zustand furchtbaren psychischen Schmerzes erinnert sehr stark an eine schwere körperliche Verletzung: Der Betroffene schreit und sucht nach Nähe, aber man darf ihn nicht anfassen, weil die Verletzungen so groß und frisch sind. Der andere wendet sich möglicherweise ab, weil er sich völlig überfordert fühlt.
Im psychischen Ausnahmezustand fühlt sich der Betroffene wieder so wie damals, als ihm die Verletzungen mit Gewalt zugefügt wurden. Was der Betroffene bei anderen dann auslöst erinnert an das, was viele Umstehende bei Gewaltszenen empfinden: völliges Unbehagen. Die Umstehenden haben einen Fluchtimpuls und wenden sich ab.
Die Außenstehenden reagieren vielleicht mit ähnlichen Gefühlen wie der Betroffene selbst: mit Genervtsein, Ratlosigkeit, Hilflosigkeit und Aggression. Will man im Bild der Spiegelneurone bleiben, so könnte man sagen, dass der „Zuschauer“ eine ähnliche Gereiztheit, Hoffnungslosigkeit, Angespanntheit, Auswegeslosigkeit, Verständnislosigkeit, Verlorenheit und Verzweiflung spürt wie der Betroffene.
Überwindung durch Verstehen

Es gibt Menschen, die können schwer Verletzten helfen. Sie haben gelernt, diese Wunden zu versorgen und sich selbst dabei intakt zu fühlen. Andere Menschen müssen immer weggehen, weil sie kein Blut sehen können. Wieder andere können in der Notsituation helfen, indem sie sich irgendwie „abstellen“ – erst später kommt der Schock, sodass sie nachträglich zittern und schwach werden.
Was dem Menschen mit der psychischen Verletzung hilft, ist das Verstehen. Man kann manchmal an dem „bösen Verhalten“ sozusagen vorbeischauen und den Weg zum eigentlichen Schmerz finden, zum Ursprung des unverständlichen Verhaltens. Wenn es gelingt, das anzusprechen, wenn es gelingt, wirklich zu verstehen, dann fällt die Mauer oft und neue, erträglichere, verständlichere und weichere Gefühle kommen zum Vorschein.
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Dieser Beitrag erschien erstmals am 8.2.2016
Aktualisiert am 11.8.2019