Wie arbeitet ein Psychoanalytiker? Techniken der Psychoanalyse

Psychoanalytiker gehen selbst in die Lehranalyse und lernen viel durch Selbsterfahrung. Sie lernen anfangs insbesondere durch Nachahmen, ähnlich wie ein Musiker, der zunächst die Technik beherrscht, die er beim eigenen Lehrer erlernt hat. Auch das Selbststudium spielt eine große Rolle. So sind Lesen, Musik, Bewegung, Meditation und die Beschäftigung mit Märchen und Mythen wichtige Bausteine für die tägliche Arbeit. Der ständige Austausch mit Kollegen ist dabei essenziell, denn Psychoanalyse kann man kaum alleine machen. Daneben haben Psychoanalytiker ein reichhaltiges Handwerkszeug: Psychoanalytische Theorien, Interventionstechniken, verschiedene Richtungen und Schulen sowie die eigene Lehranalyse sind im Hinterkopf verankert und dienen als Leitsystem.

Schweigen

Psychoanalytiker schweigen, damit sowohl der Patient als auch der Psychoanalytiker auftauchende Gefühle, Gedanken, Atmosphären und Körperreaktionen wahrnehmen können. So hat der Patient Zeit, Bilder und Eindrücke entstehen zu lassen und der Analytiker hat Zeit, das Erzählte, das Gefühlte und das neu Entstandene im Raum auf sich wirken zu lassen. Erinnerungen und das Beziehungserleben im Hier und Jetzt mischen sich. Oftmals wird durch das Schweigen auch ein Gefühl der Verbundenheit und des gegenseitigen Verstehens möglich. Manchmal aber verunsichert das Schweigen den Patienten auch, was wiederum zu neuen Themen führen kann. (Mehr zu den Nuancen des Schweigens hier: „Wie wird man Psychoanalytiker? Schweigen lernen.“)

Freischwebende Aufmerksamkeit

Während der Psychoanalytiker schweigt, achtet er darauf, welche Phantasien, Bilder und Gefühle in ihm selbst entstehen. Die Freischwebende Aufmerksamkeit des Analytikers ist das Gegenstück zur „Freien Assoziation“ des Patienten. Beide Beteiligten kommen in einen „psychoanalytischen Zustand“, in dem es möglich ist, unbewusste Gedanken, Gefühle und Phantasien zu entdecken.

Pausen zum Fühlen und Nachdenken sind wichtig.

Beziehungsanalyse: Übertragungsanalyse und Gegenübertragungsanalyse

Psychoanalyse ist immer eine Frage der Beziehung. Alleine kommen viele Menschen klar. Doch psychische Probleme treten dann auf, wenn der Mensch in Beziehung zu einem anderen Menschen tritt. Wie sieht die Beziehung zwischen Analytiker und Patient aus? Welche Vorstellungen haben Patient und Analytiker über die Beziehung, die im Hier und Jetzt entsteht? Was entsteht als „Drittes“ zwischen dem Analytiker und dem Patienten?

Wenn der Patient – vereinfacht gesagt – im Analytiker den Vater sieht, dann findet eine Übertragung statt. Er erwartet, dass er dieselben Beziehungserfahrungen mit dem Analytiker macht, wie er sie mit seinem Vater gemacht hat. Wenn der Psychoanalytiker darauf eingeht und die Übertragung in den Blick nimmt, dann führt er eine Übertragungsanalyse durch.

In der Gegenübertragungsanalyse analysiert der Analytiker seine eigenen Gefühle, Gedanken und Bilder. Wenn er sich z.B. hilflos fühlt, fragt er sich, ob dieses Gefühl zu ihm selbst gehört oder ob der Patient dieses Gefühl in ihm auslöst, weil der Patient sich gerade selbst hilflos fühlt. Das ist oft schwer zu sagen. Daher ist die Gegenübertragungsanalyse ein fortwährender Prozess. Fühlt sich der Analytiker nur heute hilflos? Hatte der Patient eine Mutter, die sich hilflos fühlte und muss er als Analytiker jetzt die Rolle übernehmen? Befindet sich der Analytiker selbst gerade privat in einer auswegslosen Situation? Oder geht es ihm gut und er fühlt sich immer nur bei diesem Patienten hilflos, während die Patienten davor und danach diese Gefühle nicht auslösen? Welche Bilder weckt der Patient in ihm? Was macht der Patient vermutlich mit ihm? Diese Fragen zu beantworten erfordert viel innere Arbeit, weil sie so viel mit dem Analytiker selbst zu tun haben.

Widerstandsanalyse, Analyse der Abwehr

Mitunter möchten der Patient und der Analytiker bestimmte Themen, Gefühle und Phantasien vermeiden. Es ist dem Analytiker vielleicht unangenehm, wenn er zum Beispiel bemerkt, dass er den Patienten nicht versteht und dass der Patient unzufrieden mit ihm wird. Sowohl der Patient als auch der Analytiker können dann unbewusst die Arbeit zum Stillstand bringen, indem sie zum Beispiel trotzig oder enttäuscht schweigen, indem sie viel Nebensächliches sagen, zu spät kommen oder sich krank melden. Die Ursachen für den sogenannten Widerstand sind oft Angst und Scham, aber auch der Wunsch, sich selbst wieder besser zu spüren.

Kurze Sätze sind wichtig.

Affektklarifizierung

Oft wissen Patient und Analytiker nicht so richtig, wie sie sich eigentlich fühlen. Beide gehen dann auf eine innere Suche. Vielleicht hat der Analytiker mehr Überblick und sagt dann so etwas wie: „Vielleicht sind Sie ja gerade eifersüchtig (neidisch, traurig, wütend, verängstigt, glücklich …).“

Deuten

Wenn der Analytiker eine Idee hat, wie die Probleme des Patienten zustandekommen könnten, dann deutet er. Er errät, wie es dem Patienten vielleicht ergeht oder ergangen sein könnte. Er versucht, Zusammenhänge herzustellen und den eigenen Beitrag des Patienten zu dessen Unglück herauszuarbeiten. Zum Beispiel so: „Könnte es sein, dass Sie Ihre Ausbildungen immer wieder abbrechen, weil Sie eigentlich lieber studieren würden?“

Markieren: Der Analytiker wiederholt ein gesagtes Wort oder einen kurzen Satz des Patienten, um ihm das Selbst-Gesagte bewusster zu machen.

Traumdeutung

„Der Traum ist der Königsweg zum Unbewussten“, sagte Sigmund Freud. Wenn die Patienten Träume erzählen, ist es wichtig, dass sie selbst versuchen, den Traum zu verstehen. Der Analytiker regt den Patienten zum Nachdenken an und pickt vielleicht bedeutsame Stellen des Traumes heraus, um gemeinsam mit dem Patienten darüber nachzudenken. Vielleicht geht der Analytiker aber auch nicht explizit auf den Traum ein, sondern betrachtet die Sitzung aufmerksam, um möglicherweise Traumanteile wiederzufinden. Er behandelt die Sitzung selbst wie einen Traum. Und auch die Träume des Analytikers über den Patienten und sich sind wichtig.

Mentalisieren und den Denkraum erhalten

Der Psychoanalytiker kann wie gebannt sein vom Patienten. Er kann sich wie hypnotisiert, wie erstarrt oder gelähmt fühlen. Es ist dann nicht leicht, zurück zur Mitte zu finden. In der Mitte weitet sich der Denkraum wieder. Wut, Erschrockenheit und Ratlosigkeit können verarbeitet und genutzt werden, sodass es möglichst nicht zu einer automatischen Reaktion kommt. Der Psychoanalytiker lernt in seiner Ausbildung, eine beobachtende, teilnehmende Haltung einzunehmen. Dabei helfen ihm auch Meditationstechniken. Die nachfolgende Stunde eignet sich meistens dazu, das mit dem Patienten Erlebte gemeinsam zu besprechen und zu verdauen. Es findet oft ein Oszillieren zwischen der paranoid-schizoiden und der depressiven Position statt. In der depressiven Position, also in der Situation, in der wieder mehr emotionaler Abstand herrscht, können die Dinge angeschaut, verarbeitet, gedeutet, mentalisiert und verstanden werden.

Reinszenierungen zulassen

Der Patient „bemüht“ sich unbewusst, das, was ihn so belastet, in die Stunde mitzubringen und in der Stunde darzustellen. Er re-inszeniert katastrophale Vergangenheiten in der Analyse erneut. Die schmerzlichen Situationen aus der Vergangenheit tauchen in der Psychoanalyse wieder auf. Nur, wenn Negatives auftauchen darf, kann es auch bearbeitet werden. Im Kontakt mit dem Patienten können sehr unangenehme Gefühle und Stimmungen entstehen. Der Patient und/oder der Analytiker möchte/n diese unangenehmen Situationen und Gefühle vielleicht rasch wieder abwehren – z.B. durch Erklärungen oder besondere Freundlichkeit. Wichtig ist es, dass die beängstigenden und aversiven Situationen die Chance haben, aufzutauchen und Raum zu bekommen, damit sie beobachtet und emotional begriffen werden können.

Dies ist der Unterschied zur Psychotherapie, in der man versucht, die Symptome zu lindern. In der Analyse lädt man das Ungewollte ein, sich voll und ganz zu zeigen.

Durcharbeiten

Ist ein Problem erkannt, wird es immer wieder „durchgearbeitet“, das heißt, das Problem taucht in verschiedenen Facetten immer wieder auf und kann immer wieder neu besprochen werden. Der Patient durchlebt jedes Mal Dasselbe in abgewandelter Form, entwickelt sich dabei aber langsam weiter.

Beispiel: Eine Patientin kommt mit Rückenschmerzen, die schlimmer werden, wenn sie glaubt, dass der Analytiker ärgerlich auf sie ist. Sie bemerkt ihre Angst vor einem Angriff, doch ihre eigenen Ärgergefühle bemerkt sie nicht. Doch sie verkrampft sich so, dass sie Rückenschmerzen bekommt.

Schon als Kind durfte sie eigenen Ärger nie zeigen. Irgendwann finden der Analytiker und die Patientin diese Zusasmmenhänge heraus. Immer wieder tritt das Problem auf: „Ich habe schon wieder Rückenschmerzen! Heute ist es ganz besonders schlimm. Sie sahen aber auch so gestresst aus, als Sie mir die Tür aufmachten“, mag die Patientin sagen. Und dann schauen beide, was gerade heute das Besondere ist, wo sich die Patientin selbst geärgert haben könnte oder wo sie Ärger erwartete und warum. Immer wieder spielen sie das durch, bis die Rückenschmerzen zusammen mit den Ängsten vor ärgerlichen Gefühlen oder vor Angriffen langsam nachlassen.

Zusammenfassen und Sinnzusammenhänge herstellen

Der Psychoanalytiker stellt aus dem (Nicht-)Gesagten, dem Gefühlten und Erlebten Zusammenhänge her, die der Patient vorher vielleicht noch nicht gesehen hat. Zusammenhänge herzustellen bedeutet auch, Beziehungen herzustellen. Manchmal wehrt sich der Patient dagegen, weil ihm die Zusammenhänge Angst machen. Und auch solche Ängste zu erkennen, ist Teil der analytischen Arbeit.

Psychoanalytische Schulen anwenden

Wie viel der Analytiker schweigt, wie er deutet oder nicht deutet, wie sehr er den Patienten stützt, sich auf Miterleben einlässt, wie sehr er Mikro-Retraumatisierungen zulässt oder den Patienten „alleine lässt“, ob er tröstet oder nicht, hängt auch von der theoretischen Richtung ab, die der Analytiker bevorzugt. Auch spielt der Zeitpunkt der Analyse eine wichtige Rolle: Vor dem Ende einer Analyse, vor dem Ende der Stunde oder vor dem Urlaub wird er Psychoanalytiker anders arbeiten als inmitten einer Analyse.

Es gibt die Freudianer, die Kleinianer, die Intersubjektiven Psychoanalytiker, die Adlerianer, die „Bion-ianer“ (sagt man nicht) und einige mehr. Psychoanalytiker lernen die verschiedenen Theorien in ihrer eigenen Ausbildung kennen. Schließlich hat der Analytiker eine innere Landkarte, sodass er das, was er tut, bewusst tun kann.

Ich denke, dass viele Analytiker besonders anfangs solche Techniken in der Analyse anwenden, die ihnen selbst in der eigenen Lehranalyse oder auch danach am meisten geholfen haben. Sie suchen sich Patienten aus, die zu ihnen passen und mit denen sie gut arbeiten können. Mit der Zeit entwickelt sich die Arbeitsweise des Psychoanalytikers – vieles wird ausprobiert, weiterentwickelt oder wieder verworfen. Es ist eine permanente Forschungsarbeit. Jeder Patient benötigt etwas anderes. So, wie sich eine Mutter auf jedes ihrer Kinder neu einstellen muss, so stellt sich der Analytiker auf jeden Patienten neu ein. Er lässt sich überraschen, stellt Dinge in Frage und bleibt offen. Diese psychische Beweglichkeit spürt der Patient, was oft einen heilenden Effekt hat.

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Links:

Ralph Greenson:
Technik und Praxis der Psychoanalyse
Klett-Cotta, 9. Auflage 2007

Sigmund Freud (1940):
Die psychoanalytische Technik
Aus: Abriß der Psychoanalyse,
Kleine Schriften II – Kapitel 19

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 5.5.2015
Aktualisiert am 11.2.2022

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