
Wenn einer von zwei Menschen den Kontakt abbricht, kann das einer Katastrophe gleichkommen. Derjenige, der keinen Kontakt zum anderen mehr aufnehmen kann, verfällt in unruhige Suchbewegungen. Derjenige, der den Kontakt abgebrochen hat, fühlt sich selbst mitunter wie zerbrochen. Ein Zustand zwischen Erleichterung und Schuld. Das Problem bei einem Kontaktabbruch: Jeder ist von nun an nur noch auf seine Phantasie angewiesen. Die Realität ist ausgeschaltet.
Der, der verlassen wurde, hat das Gefühl, der andere habe die Macht. Er glaubt, der andere wäre der Stärkere, weil er darüber entscheiden könne, ob Kontakt besteht oder nicht. Doch der, der den Kontakt abgebrochen hat, fühlt sich selbst oft hin- und hergerissen und ohnmächtig.
Kein oben und kein unten
Derjenige, der den Kontakt abgebrochen hat, fühlt sich keineswegs als „der Stärkere“. Derjenige, der den Kontakt abbricht, handelt aus Verzweiflung, Verletzung, Enttäuschung, manchmal Verbitterung. Meistens trägt derjenige, der den Kontakt abbricht, schon seit Jahren eine schwere Last.
Die Gründe
Die Gründe für Kontaktabbrüche sind so vielfältig wie die Menschen selbst. Häufig brechen (erwachsene) Kinder den Kontakt zu ihren Eltern ab, weil sie irgendwie spüren, dass die Eltern bei ihnen etwas zerstörten. Es gelingt ihnen in der Folge vielleicht nicht, befriedigende Beziehungen aufzubauen. Eine Weiterentwicklung erscheint manchmal nur durch Kontaktabbruch möglich.
Die betroffenen KInder werden immer wieder von sehr starken Gefühlswellen heimgesucht: Da ist der Hass, die Wut und die Traurigkeit darüber, was die Eltern mit ihnen gemacht haben. Vielleicht wurden die Betroffenen geschlagen, vereinnahmt, verbogen, vergessen oder missachtet. Die Kinder versuchen verzweifelt, sich weiter zu entwickeln, doch es scheint ihnen nicht zu gelingen. Manchmal suchen sie dann im Kontaktabbruch ihren Ausweg. Die Eltern wiederum können sich das Geschehene häufig nicht erklären. Sie lieben ihre Kinder. Sie sind jedoch oft durch eigene schwere Kindheiten blind für das, was sie psychisch bei ihrem Kind auslösen.
Zerstörerischer und verständlicher Neid
Neid ist ein häufiger Grund für einen Kontaktabbruch. Zu sehen, wie gut es einem anderen geht, während man selbst noch kein Land in Sicht hat, kann so weh tun, dass der Kontakt unmöglich wird. Viele Freundschaften unter Freundinnen zerbrechen, wenn die Eine sich sehnlichst ein Kind wünscht und die Andere plötzlich schwanger wird. Der Schmerz ist so groß, dass sich so manche Frau dann von ihrer Freundin zurückzieht – manchmal über Jahre, vielleicht für immer.
Die Verbindung im Kontaktabbruch
Ist der Kontakt abgebrochen, kommt es nicht selten zu einem merkwürdigen Gefühl einer neuen, quälenden Verbindung. Durch den Kontaktabbruch sind die Beteiligten oft viel stärker mit der Beziehung beschäftigt, als sie es vorher jemals waren.
Während der eine versucht, seine Schuldgefühle unter Kontrolle zu bringen, ist der andere mit seiner Wut und Angst beschäftigt.
Kontaktabbrüche machen fast immer auch Angst. Die Angst, ausgeschlossen zu werden, ist eine der größten Ängste überhaupt. „Der andere will mich strafen“, denkt sich der Verlassene. Heftige Wut und großer Groll können sich mit einem starken Ohnmachtsgefühl abwechseln. Selbstzweifel und Leeregefühle kommen hinzu. Der andere ist unerreichbar und lässt den Verlassenen die eigene Hilflosigkeit spüren. Der Verlassene fühlt sich mitunter, als würden Leere, Ratlosigkeit, Verlassenheitsgefühle, Sehnsucht und Wut ihn zerreißen.
„Daran gewöhne ich mich nie …“
Die Seele heilt
Kontaktabbrüche schaffen neue Ordnungen. Ein ganzes System, eine ganze Gruppe oder Familie leidet oft darunter. Es braucht sehr viel Zeit, aber langsam entstehen neue Strukturen, die es ermöglichen, den Kontaktabbruch langsam in das eigene (Seelen-)Leben zu integrieren.
Jede Erinnerung an den anderen, z.B. zu Geburtstagen oder an Feiertagen, kann erneut am Schmerz rühren und zu inneren Verhandlungsgesprächen führen. Nicht selten versuchen die Verlassenen dann, Kontakt mit dem Verschollenen aufzunehmen. Die Nicht-Antwort reißt die Wunde mitunter wieder auf.
Viele lernen über die Jahre, sich mit dem Kontaktabbruch zu arrangieren. Der geschäftige Alltag ermöglicht es vielen Betroffenen, sich über die Zeit wieder einigermaßen „ganz“ zu fühlen. Was die Zeit bringt, kann niemand wissen.
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 16.10.2014
Aktualisiert am 9.8.2020
Petra Keller meint
Hallo Heike, Dein Kommentar vom 24.09.2020 um 14:27..hier habe ich mich 1:1 wiedergefunden.
ich würde gern mit Dir in Kontakt treten.
petrakeller3@gmx.de
Mrscherry meint
Mein Freund hat mich verlassen als ich ungeplant schwanger wurde und das Kind behalten wollte.
Er bat mich darum die Schwangerschaft zu beenden. Ich wollte das auf keinen Fall.
Ich hatte mich entschieden es auch ohne Ihn als Vater an meiner Seite zu bekommen.
Darauf hin hat er die Beziehung nach 2.5 Jahren für beendet erklärt.
In der 14. SSW habe ich das Kind verloren, musste mich einer Kürretage unterziehen. Ich habe es Ihm gesagt und er hat nur gemeint er müsse sich ersteinmal von der Situation erholen in die ich ihn gebracht hätte.
Mittlerweile ist das 3 Monate her. Und er hat nichts von sich hören lassen.
Es ist einfach nur gruselig, traurig, wie ein Schatten, total unwirklich.
Heike meint
Ich bin eine verlassene Mutter.
überall lese ich das die Eltern das verursachen.
doch niemand zieht mal in Betracht das es auch Kinder gibt die so hohe Erwartungen an die Eltern haben das diese nur scheitern können. Das Kinder auch die Eltern verletzen können .
Kinder die nicht in der Lage sind sich zu einem Gespräch an den Tisch zu setzen sondern lieber die Löschtaste auf dem Handy drücken.
Ich hatte selbst ein sehr schwieriges Verhältnis zu meinen Eltern. Traumatisches erlebt und keine Hilfe zu Hause bekommen.
Doch als erwachsener gereifter Mensch habe ich mir deren Herkunft angesehen und konnte ‚verstehen‘.
und ich habe nie den Kontakt abgebrochen
meine Mutter war dann eine sehr gute Grossmutter
meine Kinder merkten nichts von meinem Problem mit ihr.
Heute nehmen die mir übel das ich nicht ihren Erwartungen entsprochen habe, eine eigene Meinung habe.
Ein Enkelkind darf ich nicht sehen weil ich die Mutter des anderen älteren Enkelkindes mich zu Hause besuchen durfte.
und nein daran gewöhnt man sich nicht
nein die Zeit heilt diese Wunde nicht
nein das wird nicht besser
und nein ich verstehe das Verhalten nicht
zumal ich bereit bin mich meinen Fehlern zu stellen und die Verantwortung übernehme und gerne Gespräche mit Mediatoren hätte.
Ich sehe das es für meine Kinder gerade einfacher ist nicht in Betracht zu ziehen das ihre Mutter auch ein schweres Leben hatte.
Dunja Voos meint
Vielen Dank für Ihren Kommentar, liebe Frau H. Ja, es bringt einen „zum Wahnsinn“, wenn man selbst den Kontakt sucht und der andere macht dicht. Es braucht seine Zeit.
Ihnen wünsche ich auch einen schönen Sonntag!
Dunja Voos
Brigitte H. meint
Liebe Frau Voos,
bei mir geht es um den Kontaktabbruch in einer Beziehung, ich leide sehr darunter. Ich habe zwar Kritik geübt, aber den Kontakt wollte ich nicht abbrechen. Er wurde aber von meinem Freund vollzogen und trotz Bemühungen meinerseits ist keine Aussprache möglich. Ich räume ein, daß viele Dinge schon seit langer Zeit da waren und es hat ein Funke genügt, um meine Meinung zu sagen, die allerdings schonungslos war. Es tut mir im Nachhinein leid, aber wir müssten die Probleme eben mal ansprechen. Er ist mir aber schon seit Jahren ausgewichen und hat dann meistens einfach geschwiegen, was mich zum Wahnsinn bringt.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag
Brigitte H.
Dunja Voos meint
Liebe SiG,
vielen Dank für diesen wertvollen Kommentar. Hier kann man gut nachempfinden, mit welch enormen Schwierigkeiten die Kinder konfrontiert sein können. Ja, sobald Suchtmittel mit im Spiel sind, werden familiäre Kontakte ganz besonders problematisch, wenn nicht sogar unmöglich.
Alle guten Wünsche!
Dunja Voos
SiG meint
Kontaktabrruch hat nichts mit Ignoranz zu tun. Es ist die allerletze Möglichkeit Ruhe zu finden, vor neuen Verletzungen, Enttäuschungen und Mißachtung der eigenen Gefühle.
Ich selber habe den Kontakt zu meiner Mutter in 12/2019 abgebrochen und habe Ihr dazu einen sehr klaren Brief geschrieben. Ich habe es mir nicht leicht gemacht, es war nicht der erste Brief an sie, allerdings der erste, in dem ich den Kontakt zu ihr abgebrochen und sie gebeten habe, dies zu respektieren.
Davor haben meine Familie (Tochter, Mann und Schwestern meiner Mutter) die Unzuverlässigkeiten, Lügen, den Alkoholmissbrauch und die Respektlosigkeiten ertragen und versucht zu diskutieren und zu besprechen. Ihrerseits gab es nie Bedarf an Gesprächen oder Aufklärung für Geschehenes. Mein Brief blieb bis heute unkommentiert.
Ich hatte im vergangenen Jahr schlichtweg die Nase voll und keine Kraft mehr, dieses endlose Spiel weiterzuspielen. Nun fühle ich mich geschützt und habe keine Angst mehr vor dem klingelnden Telefon. Vielleicht kann das niemand der aussenstehend ist verstehen, meine Familie kann es.
Nun hoffe ich, dass mich die innere Unruhe irgendwann einmal losläßt und das sie und ich auch ohne einander glücklich werden. .Zum Glück bin ich selber Mutter und kann es besser machen.
Melande meint
Ich bin vor nunmehr 15 Jahren von meiner Rest-Herkunftsfamilie (Bruder mit Familie) verlassen worden, bzw. alleingelassen worden, als das Thema „Betreuung unserer alten Mutter“ aufkam. Es vergeht bis heute nahezu kein Tag, an dem ich nicht daran denke und das schmerzhafte Gefühl des (grundlos) Ausgegrenzt-worden-seins jedes Mal wieder da ist. Ich weiß bis heute nicht, was ich DENEN angetan habe.
Ich habe die Vermutung, dass das mich sehr erniedrigende und verletzende (affektive) Verhalten bzw. der Rauswurf (symbolisch gesprochen) meiner Schägerin und meines Bruders die Folge ihrer Projektionen war. Nämlich IHRER angstvollen Überlastungs- und Zufunktsängste, die aber gar nichts mit mir und meinem Verhalten zu tun hatten. Eine einfache freundlich gestellte Frage meinerseits, die gutgemeint gewesen war, hatte bei ihnen aber (für mich wie „aus heiterem Himmel“) einen totalen Gefühlsumschwung bewirkt .
Mir fällt dazu (nachdem ich nun seit ca. 1 1/2 Jahren in diesem Blog lese) meine erste Erinnerung/die Deckerinnerung ein:
Es hatte stark geregnet und der noch nicht befestigte Hof unseres Hauses war schlammig. Mein Vater hatte ein paar Bretter ausgelegt, damit man darübergehen konnte. Ich sah (als Kind von vielleicht 4 oder 5 Jahren) aus einem (umgedrehten) Brett einen Nagel nach oben herausragen. Ich dachte, dass andere sich daran verletzen könnten und habe mit meinen festen Schuhen (ich dachte, die Sohle ist bestimmt hart genug) fest auf den Nagel getreten, damit er auf der anderen Brettseite wieder herauskäme, in den Boden hinein. Das, was andere schützen sollte, hatte für mich aber das Gegenteil bewirkt, der spitze Nagel ging durch die Schuhsohle hindurch in meinen Fuß hinein!
Ich hatte also etwas für andere Gutgemeinte getan, was für mich selber aber einer Bestrafung gleichkam! Die Parallele zu obiger Verlusterfahrung ist für mich offensichtlich.
Mit vielen lieben Grüßen!
Melande
Sabine meint
nee die Ingnoranz ist nicht im Selbst. Sondern oft ist der Andere bei dem nichts ankommen mag. So geht Bindung nicht.
Prokrustes meint
Kontaktabbruch ist in erster Linie das Ergebnis der Ignoranz zu sich selbst. Unvermögen die eigene Befindlichkeit in Worte zu fassen, negative Gefühle und Belastungen mitzuteilen.
Folglich ist Kontaktabbruch eine Bestrafung. Die Frage ist, wer wird mehr bestraft? Derjenige der keinen Kontakt zu sich selbst hat, vor sich und der Beziehung (Freundschaft, Partnerschaft usw.) davon läuft oder der Missachtete, der sich unversehens mit der Frage beschäftigt warum und weshalb der Kontakt abgebrochen wurde.
Ignoranz/Missachtung wiederum ist die größte mögliche Strafe mit der man ein Lebewesen strafen kann. Es impliziert das Nichtvorhandensein.