
Wenn Analytiker und Analysand im Behandlungszimmer nahe beieinander sind, können Fantasien über körperliche Berührungen entstehen. Allein diese Fantasien haben Einfluss auf die Kommunikation: Sie können als gefährlich erlebt werden, sodass der Patient sich nicht traut, zu sagen, was ihm durch den Kopf geht. Der italienische Psychoanalytiker Vincenzo Bonaminio hat auf der Herbsttagung 2015 der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV) hierzu einen Vortrag gehalten. (Text & Bild: © Dunja Voos)
Immer kurz davor
„Ich konzentriere mich auf dieses Thema, weil mich die Dynamik der Körper des Analysanden und des Analytikers im Behandlungszimmer interessiert sowie die Tatsache, dass sie immer kurz davor sind, einander zu berühren, aber ohne sich je zu beführen“, sagt Bonaminio. Dabei schlägt er die Brücke zur Sexualität, denn „das zentrale Element der Psychoanalyse (ist) die frühkindliche Sexualität, … die mit dem Körper zu tun hat.“
Doch obwohl sexuelle Themen und die Psychoanalyse in so enger Beziehung stehen, spielt die Sexualität in der „zeitgenössischen Psychoanalyse eine immer geringere Rolle …., so, als empfänden die Analytiker gegenüber der Sexualität denselben Widerstand, den Freud bei seinen Patienten, aber auch im gebildeten Publikum seiner Zeit erkannte (Freud, 1913).“
Der Körper spricht mit
In jeder Psychoanalyse spricht auch der Körper mit: Da schweigen Analytiker und Patient, doch der Magen knurrt. Denkt der Patient nach, knibbelt er an seinen Nagelhäutchen. Auch das Kauen auf der Innenseite der Backen oder „der plötzliche Drang, auf die Toilette zu gehen“ hat eine Bedeutung. Fühlt der Analytiker sich unwohl, „rutscht er auf seinem Sessel hin und her“.
Ansprechen oder nicht?
Der Analytiker deutet das, was der Patient sagt. Aber soll er auch das deuten, was der Patient mit seinem Körper zeigt? Eine schwierige Frage. Der Patient könnte sich leicht ständig beobachtet und verfolgt fühlen. Bonaminio erzählt, wie er einmal einen schweigenden Patienten darauf ansprach, dass er ja seine Finger ständig bewege. Daraufhin sagte der Patient: „Wenn Sie anfangen, solche Sachen zu deuten, muss ich solche Bewegungen dahin verlegen, wo sie nicht zu sehen sind.“
Der Psychoanalytiker Donald Winnicott ging hier so vor: „Wenn die … Fantasie deutlich wird, frage ich mich: Was und wo ist die begleitende orgasmische Körperfunktion. Und wenn es … in der analytischen Situation eine orgasmische Körperfunktion gibt, frage ich mich: Von welchem Fantasiematerial berichtet mir der Patient mit dieser Körperfunktion?“
(A point in technique, Winnicott, undatiert)
Die Spannung
Viele Patienten, die darauf warten, dass der Analytiker ihnen die Tür öffnet, sind angespannt. Auch der Analytiker kann nervös sein. Der Analytiker Wilfred Bion beschrieb es so:
„Wenn zwei Persönlichkeiten im analytischen Setting aufeinander treffen, entsteht ein emotionaler Sturm.
Haben sie ausreichend Kontakt, um einander wahrzunehmen oder sogar ausreichend Kontakt, um einander nicht wahrzunehmen, so entsteht durch die Beschäftigung dieser beiden Individuen miteinander ein emotionaler Zustand.“
(Bion: Making the best of a bad job. 1979: S. 321).
Bonaminio schreibt: „Ähnlich wie das Aufeinanderprallen der Atome führt der Zusammenprall der Körper zu einer Explosion psychischer Energie.“ Es sei Aufgabe des Analytikers, eine symbolische Kommunikation zu ermöglichen, die ohne Grenzüberschreitungen (bildlich: „Blutsaugen, Transfusion, Penetration“) oder dem „Zufügen von Verletzungen“ auskommt.
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Quellen/Links:
André Green:
Hat Sexualität etwas mit Psychoanalyse zu tun?
Psyche, 1998, 52(12), 1170-1191
Bion, WR (1979):
Making the best of a bad Job.
In: Bion in New York und Sao Paulo
Karnac Books, London
Winnnicott, DW:
A Point in technique (undatiert)
In: Winnicott, C., Shepher, D., Davis, M.:
Psychoanalytic Explorations.
Karnac Books, London 1989
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