
„Ich gehe mit Dir auf eine Reise zu Deinem inneren sicheren Ort“, sagt der Therapeut sanft zum Patienten. Der Patient wird aufgefordert, sich einen Ort vorzustellen, an dem er sich sicher und wohl fühlt. Vielleicht sagt der Therapeut noch: „Entspanne Dich, atme ruhig.“ Vielen Patienten hilft das sehr. Sie malen sich einen inneren Ort aus, den sie vielleicht aus der Kindheit kennen, den sie in einem Buch gelesen haben oder den sie sich vollkommen aus der Phantasie zusammenstellen.
Der „Sichere Ort“ (oder auch: der Wohlfühl-Ort“) ist eine Imaginationsübung, die durch die Psychoanalytikerin Luise Reddemann bekannt wurde. Sie hat spezielle Übungsanleitungen dazu entwickelt. Heute ist diese Übung meist ein fester Bestandteil von Trauma-Therapien.
Unabhängigkeit genießen
Manche Patienten können sich diesen Ort dann immer wieder vorstellen und sich damit gut beruhigen. Es ist eine Art Mediation. Die Patienten haben die Gewissheit: Diesen inneren Ort kann ich immer wieder aufsuchen. Er ist in mir.
„Mir hilft das nicht – warum?“
Doch immer wieder gibt es auch Patienten, die sagen, dass ihnen diese Imaginationsübung nicht helfe und dass sie ihnen sogar Angst macht. Die Angst beginnt schon mit dem Setting. Viele frühtraumatisierte Paitenten haben Zweiersituationen meistens nur als Gefahr erlebt. Das heißt: Allein die Tatsache, dass da ein Therapeut mit mir im Zimmer sitzt, dass ich vielleicht die Augen schließen soll und der Therapeut mit mir sanft spricht, kann innerlich eine große Anspannung hervorrufen, wenn ich z.B. als Kind eine hoch angespannte, selbst traumatisierte, grenzüberschreitende und gewalttätige Mutter hatte.
Die Ausgangssituation – der Therapeut spricht beruhigend mit dem Patienten – ist also für viele schwer traumatisierte Patienten schon kaum möglich, auszuhalten.
Viele wollen dies dann verschweigen, um den Therapeuten nicht zu verletzen und geraten damit innerlich in eine schwer aushaltbare Situation. Hinzu kommt die Sorge: „Warum klappt das bei mir nicht? Es ist doch alles positiv hier und dennoch könnte ich platzen vor Angst.“
Ein weiteres Problem ist, dass manche Patienten möglicherweise nie wirklich einen „sicheren Ort“ kennengelernt haben – oder zumindest meinen sie das, weil ihr gesamtes Leben von so großer Unsicherheit geprägt war.
Es ist also für manche fast ein Ding der Unmöglichkeit, sich einen „sicheren Ort“ vorzustellen. Kaum hat man ihn sich vorgestellt, wird er bedroht – es könnte jemand eindringen und loswüten, so die Vorstellung.
„Mir geht es irgendwie viel besser, wenn die Gewalt, wenn der Angriff schon da ist“, sagt eine Betroffene. „Wirklich bedrohlich finde ich immer wieder die Ruhe vor dem Sturm. Für mich bedeutet ein ’sicherer Ort‘, dass es gleich los geht, dass ich Schlimmes zu erwarten habe. Für mich ist das unerträglich.“
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 23.8.2020
Aktualisiert am 25.10.2020
Simone meint
Mir geht es genauso. Der Artikel, die Sätze, die Erklärung, das Beispiel (exakt so eine Mutter hatte ich) treffen es auf den Punkt. Ich mache zur Traumabearbeitung (bei PTBS) kognitive VT und diese Imaginationsübungen haben allesamt nicht geklappt. Es ist für mich ein Widerspruch in sich: einen Menschen räumlich/ körperlich in meiner Nähe zu wissen und dabei auch noch zur Entspannung aufgefordert zu werden. Die Preisgabe eines Ortes, der mir gut tut, zu geben oder zu beschreiben, empfand ich zudem als Eindringen in mein Innerstes, wo ich am Verletzlichsten bin und niemanden hineinlassen kann, weil mir dann gefühlt auch noch der letzte und einzig sichere Rückzugsort in der Welt, den ich überhaupt habe, genommen wird.
Tyler meint
Mir geht es ganz genauso. In der Psychiatrie sollte ich ihn mir vorstellen. Ich hatte bereits vorher mitgeteilt, dass ich mir keinen sicheren Ort vorstellen kann, trotzdem wurde die Übung gemacht, weil sie kein anderes Material für die Stunde hatte. Ich habe sehr viel Energie aufgewandt, um überhaupt in die Situation reinzukommen und konnte mich fast gar nicht entspannen. Den Ort konnte ich mir ganz schwer vorstellen. Geborgenheit hatte ich auch kaum erlebt. Nur in ganz jungen Jahren von meiner Mutter, die mich später immer alleine gelassen hatte und mein Vater hatte mich dann misshandelt. Sobald ich daran denken musste, war die Geborgenheit wieder weg. Und auch beim sicheren Ort tauchte nach einer Sekunde mein Vater auf. Ich versuchte innerlich einen Zaun darum zu bauen, aber letztendlich war es nicht entspannend und kostete sehr viel Energie, die ich auch in etwas anderes hätte investieren können.
Trotzdem sagte ich ihr, dass es ein wenig geholfen hatte, damit sie die Übung nicht noch mal versucht.
Dunja Voos meint
Vielen Dank für diesen wichtigen Kommentar!
Anita meint
Ich kann mit diesem „sicheren Ort“ überhaupt nichts anfangen. Für mich gibt es keine Sicherheit. „Spielchen“ mit Decken und Schutz erhöhen nur den Druck und die Erwartung, was passiert dann. Sehr schwer zu ertragen.