
Viele Menschen haben heute die Vorstellung, wir müssten nachts acht Stunden am Stück durchschlafen. Damit machen sie sich unter Umständen viel Stress. Babys und kleine Kinder sind nachts oft wach – ebenso wie alte Menschen. Kranke erst recht. Es gibt so viele Menschen, die nachts wach sind, dass man eigentlich gemeinsam Tee trinken könnte – und das tat man früher auch. Wir können uns viel Stress nehmen, wenn wir von starren Vorstellungen loslassen.
In ihrem Beitrag „The myth of the eight-hour sleep“ („Der Mythos des Acht-Stunden-Schlafs“) schreibt die Autorin Stephanie Hegarty, dass Einiges darauf hinweist, dass die Menschen früher in Vier-Stunden-Häppchen schliefen. Bevor unsere Nächte hell ausgeleuchtet waren, war es natürlich, abends früh schlafen zu gehen und nach Mitternacht noch einmal eine Weile wach zu sein und Tee zu trinken.
Die Sorgen bleiben
Nicht wenige Menschen begeben sich in ein Schlaflabor, um die Schlaflosigkeit zu erforschen. Da werden dann die Hirnströme des Schlafenden registriert und die Atmung überprüft. Übergewichtige mit einem sogenannten „Schlaf-Apnoe-Syndrom“ erhalten dann auf Rezept ein Atemgerät für die Nacht, das sie häufig tatsächlich besser schlafen lässt.
Oft landet das schöne Atemgerät aber auch im Schrank. Nach dem Besuch im Schlaflabor wissen viele ganz genau, aus welchen körperlichen Gründen sie nicht schlafen können, doch die psychischen Ursachen bleiben weiter bestehen: Traumata in der Kindheit, Geldsorgen, Beziehungskonflikte, Scheidung, Erfolgsdruck, Kummer mit den Kindern, Sorgen am Arbeitsplatz oder Ängste um die Gesundheit.
Cortisol
Auch der körpereigene Cortisolspiegel spielt bei der Schlaflosigkeit oft eine Rolle. Menschen mit Allergien, Asthma oder Gelenkschmerzen werden oft in der zweiten Nachthälfte wach. Der Cortisolspiegel ist zwischen 20 und 24 Uhr an seinem Tiefpunkt. Entzündungsprozesse können nachts dadurch wieder aufflackern.
Morgens gegen sechs Uhr ist der Cortisolspiegel am höchsten – viele finden um diese Zeit dann auch wieder in einen tiefen Schlaf, der aber leider dann durch das Klingeln des Weckers beendet wird.
Interessant sind hier auch die Ansätze der chinesischen Medizin, welche die „Chronobiologie“ der einzelnen Organe berücksichtigt („Chronos“ = griechisch: „Zeit“). Hiernach hat jedes Organ seine eigene Zeit – zu bestimmten Uhrzeiten sind einzelne Organe besonders aktiv. Auch diese chinesische Organuhr kann helfen, die Schlaflosigkeit zu bestimmten Zeiten zu verstehen.
Man kann damit leben
Viele Menschen machen sich einen großen Stress damit, dass sie nachts schlaflos sind. Doch viele können auch ihr Leben darauf einstellen. Es kann manchmal auch schön sein, in der zweiten Nachthälfte aufzustehen, und die Ruhe wahrzunehmen – etwas zu lesen, zu schreiben, kreativ zu sein, Tee zu trinken oder fernzusehen. Schlaf lässt sich auch nachholen – ein Mittagsschläfchen kann bei vielen „Nacht-Schlaflosen“ noch zu guter Erholung führen. Die Schlaflosigkeit nicht zu bekämpfen, sondern sie in das Leben einzubauen, das gelingt vielen Menschen.
(Dieser Beitrag wurde übrigens um 3.58 Uhr geschrieben.)
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Links:
Gregor Gross:
Der Mythos des gesunden Schlafes:
Sind 8 Stunden etwa zu viel?
6.3.2012
https://www.foerderland.de/organisieren/news/der-mythos-des-gesunden-schlafes-sind-8-stunden-etwa-zuviel/
Hegarty, Stephanie (2012):
The myth of the eight-hour sleep
BBC World Service 22.2.12
https://www.bbc.com/news/magazine-16964783
Ekirch, Roger (2006):
At Day’s Close: Night in Times Past
W. W. Norton & Company, Inc., New York
https://wwnorton.com/books/9780393329018
International Dark Sky Association
Dieser Beitrag erschien erstmals am 12.1.2013
Aktualisiert am 8.4.2020
hubi meint
dieser artikel kam passend zur schlaflosen „supermond“ vollmond-nacht. es war so hell, man hätte bestimmt ein buch beim mondschein lesen können ;)
Melande meint
Ich hatte auch Zeit meines Lebens, bzw. ab Beginn der Gymnasialzeit mit Einschlafstörungen (nicht vor 23.30/24.00 Uhr einschlafen können) zu KÄMPFEN, weil ich große Angst vor dem Tag entwickelt hatte, bzw. davor, immer so entsetzlich früh aufstehen zu müssen. Und die wirklich quälende Müdigkeit jeden Tag bis ca. 14.30 Uhr (da war ich mit dem Bus wieder zuhause) aushalten zu müssen.
Nach dem Mittagessen bin dann aufs Sofa gesunken, um dann für 2-3 Stunden in einen Tiefschlaf zu fallen. Danach war ich aber auch nicht gut gelaunt/fit, um Hausaufgaben zu machen oder den Abend zu genießen.
Was fehlte, war wenigstens ein bischen emotionale Wärme und Auf-mich-eingehen, denn ich hatte ein großes Minderwertigkeitsgefühl entwickelt durch das Verhalten anderer.
Meine Jugend war für mich lange, lange nur „ein schwarzes Loch“.
Liebe Grüße
Melande
Jay meint
Ich habe schon lange mit Schlafproblemem zu kämpfen und kann, ohne von meinem Psychiater verschriebene Einschlafhilfen, nicht gut ein- und durchschlafen.
Es liegt wohl an meiner frühesten Kindheit, als meine Eltern mich im großen, gruseligen Haus
abends und nachts oft alleine ließen.
Teils Taten sie dies sogar im Urlaub, in mir unbekannten Ferienhäusern.
Sie dachten, ich merke nichts, ich sei ja noch zu klein.
Seitdem gehen bei mir abends die Alarmglocken an.
Mit ungefähr sechzehn hatte ich eine Phase, in der ich teilweise ganze Nächte kaum oder wenig
geschlafen habe und dann am nächsten Tag müde und gerädert in der Schule sitzen musste.
Ungefähr zur Abiturzeit entdeckte ich, dass man sich mit Alkohol eine gewisse Bettschwere antrinken
kann und die innere Unruhe dadurch gedämpft wird.
Dies tat ich dann mehrere Jahre regelmäßig. Kein Besäufnis, aber 2-3 Gläser Wein mussten jeden Abend sein.
Wenn kein Alkohol (meistens Wein) im Haus war, fuhr ich zu später Stunde noch zur Tankstelle, um welchen zu kaufen. Das war stressig, aber ich wusste, dass ich ansonsten nicht schlafen würde und der nächste Tag sehr hart werden würde.
Mittlerweile bin ich seit Jahren komplett vom „Schlummertrunk“ weg und bekomme vom Arzt stattdessen Promethazin verschrieben, welches weitaus angenehmer und ungefährlicher ist als Alkohol.