
Es gibt Lebensphasen, da können wir nur wenige Veränderungen vornehmen. Da sind wir abhängig von anderen und stecken in einer bestimmten Situation fest. Die erste dieser Lebensphasen ist natürlich die Kindheit – als Kinder sind wir unseren Eltern ausgeliefert. Ist die Situation schlecht, so gibt es so leicht kein Entrinnen. Wer helfen will, kann oftmals „nur“ Beziehungsangebote machen und warten, bis das Kind groß genug ist, um Wege herauszufinden. Doch auch im Jugendlichen- und Erwachsenenleben können wir in Situationen gefangen sein, die sich nicht so leicht ändern lassen.
„In guten wie in schlechten Zeiten“
„In guten wie in schlechten Zeiten“ möchte man sich beistehen, so erklären es die jungen Brautpaare. Doch schweben einem da vielleicht Krebserkrankungen oder ähnliche „unverschuldete schlechte Zeiten“ vor. Wie aber ist es mit Demütigungen und Hass, mit Arbeitslosigkeit, Süchten, finanzieller Abhängigkeit, pflegebedürftigen Eltern oder mit dem Gebundensein, weil man den Kindern nicht wehtun will?
Warten, beten und Teetrinken sind wichtige Tätigkeiten.
„Haben Sie Stress?“, fragt der Arzt lapidar eine 40-jährige Frau, die wegen Herzinfarkt-ähnlichen Symptomen in die Notaufnahme kommt. Die Mutter von zwei Kindern ist geschieden und hat einen Friseurladen. „Sie müssen Ihren Lebensstil ändern“, rät der Arzt allwissend. „Hören Sie mal“, antwortet die Patientin, „ich habe einen Laden und zwei Kinder – soll ich die unter die Decke hängen oder wie meinen Sie?“ Diese Frau bringt auf den Punkt, was viele denken:
Es gibt Verbindungen, Verstrickungen, Zwänge und Situationen im Leben, die lassen sich über Jahre oder Jahrzehnte hinweg nur bedingt oder gar auch gar nicht ändern. Manchmal muss man einfach „aushalten“. Abwarten und Tee trinken.
Klar, man kann den ungeliebten Job kündigen und sich scheiden lassen (theoretisch jedenfalls). Doch die inneren Probleme und Verbindungen gehen oft mit – ungewollte Kinderlosigkeit, chronische Erkrankungen, Einsamkeit, Rechtsstreitereien, Sorgen um die Kinder, finanzielle Not, Demütigung und Kränkung lassen sich nicht so leicht abstreifen.
Innerlich fühlt man sich weiterhin verfolgt und die Nächte sind sorgenvoll und schlaflos. Dann liest man Sätze wie: „Krebserkrankungen treten oft bei Personen auf, die in unlösbaren Konflikten stecken oder belastenden Situationen ausgesetzt sind.“ Sowas macht zusätzlich Angst. Doch manchmal bleibt uns nichts anderes übrig, als auf bessere Zeiten zu warten. Vielleicht kommen Rückenschmerzen und Kopfschmerzen dazu. Aber man muss nicht unbedingt hoffnungslos krank zu werden dabei.
Mini-Abstand-Schritte, die mit der Zeit größer werden
Auch, wenn man nicht so schnell aus einer vertrackten Situation herauskommen kann, so sind dennoch Schritte möglich, die weg vom Schlechten hin zum Besseren führen. Das Kind, das in einer gewalttätigen Familie aufwächst, hat doch mit zunehmendem Alter die Chance, auf gute Andere zu treffen. Mit zunehmendem Alter wächst die Zahl der Beziehungen nach außen.
Wer in einer krankmachenden Ehe steckt, kann trotz aller Gebundenheit dennoch Mini-Schritte in die Außenwelt wagen – man kann anderen vom suchtkranken Partner erzählen, Beratungsstellen aufsuchen, dem Arzt die eigene Not beschreiben, zur ARGE (Arbeitsamt und Sozialamt) gehen, einen Psychotherapeuten aufsuchen, inneren Abstand finden, spazieren gehen, einem Verein beitreten.
Scham überwinden und Hilfe suchen
Es kann sehr schwer sein, die eigene Scham zu überwinden und sich selbst zu erlauben, sich Hilfe zu suchen. Sich selbst Hilfe zu „gönnen“ ist bei Schuldgefühlen oft nicht leicht. Dazu ist die Suche nach Hilfe in Zeiten, in denen es einem nicht gut geht, meistens sehr anstrengend. Und auch die Helfer sind nur Menschen, sodass Enttäuschungen nicht ausbleiben.
Doch wer (lange) suchet, der findet. Das alles braucht Zeit – der innere Abstand zur unguten Situation muss erst gefunden werden und neue Beziehungen brauchen Zeit, um zu wachsen. Sich selbst immer wieder Gutes tun, gute Bücher und Zeitschriften lesen, gute Radiosendungen hören und mutmachende Fernsehbeiträge anschauen, sich inspirieren lassen, sich einen guten Friseur suchen und sich andere, kleine Inseln schaffen – das hilft.
Der innere Raum wird weiter – und damit oft auch der äußere.
Viele kleine innere und äußere Schrittchen tragen dazu bei, dass man langsam den Weg zum Besseren findet. Wenn man auch nicht sofort die Arbeitsstelle verlassen kann, so kann man doch einen inneren Raum der Möglichkeiten schaffen; man kann sich umhören, man kann träumen, sich neu engagieren oder sich Alternativen ausmalen. Das ist oft eine Möglichkeit, Situationen auszuhalten, die nur schwer erträglich sind.
Solche Träumereien sind oft auch erste Schritte zur Veränderung. Manchmal fühlt man sich gefangen in bestimmten Lebenssituationen – und ist es vielleicht auch. Aber es gibt immer Veränderung – innere wie äußere, und sei sie auch noch so klein.
Jede Veränderung anerkennen
Wer auch die kleinsten Schritte würdigt, der fühlt sich weniger gefangen. Rückschläge gibt es immer. Nach einem Schritt vor scheint man unbemerkt zwei Schritte zurückgegangen zu sein. Was man für Hilfe hielt, machte in Wirklichkeit alles nur schlimmer. Zuerst mag man es sich nicht eingestehen, doch dann hat man eines Tages die Kraft, auch die unschönen Wahrheiten anzuerkennen. Damit müssen wir manchmal eine ganze Weile leben, vielleicht sogar viele Jahre. Doch dann tun sich auch wieder – oft plötzlich – neue Chancen und Gefühlswelten auf und man kann aufatmen. Zum Glück ist es mit dem Unglück wie mit dem Glück: Auch die schweren Zeiten haben einmal ein Ende.
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 20.10.2012
Aktualisiert am 13.3.2019
HSR meint
„So, wie sich “Glück” nicht festhalten lässt, so ist es zum Glück auch mit dem Unglück.“
Genau das macht Mut. Das Leben ist wie eine Sinuskurve. Leben ist Veränderung.
Und gerade in den kritischen Momenten haben wir die Möglichkeit zu wachsen und zu reifen.
Und häufig muß erst was Schlimmes passieren, damit wir aufwachen und die gewohnte Komfortzone verlassen.
Ein großer Trost ist und bleibt: Alles geht vorbei und es kommt immer darauf an, wie wir darauf reagieren.
Es gibt unendlich viele Möglichkeiten. Freiheit beginnt immer im Kopf.
Was auch viel ausmacht ist, sich seine Denkgewohnheiten, seine Konditionierungen genauer anzusehen und kritisch zu hinterfragen, inwieweit sie noch alltagstauglich sind bzw eher schaden als nützen.