Chronic Fatigue Syndrom (ME/CFS) – auch leichte Formen können das Leben sehr schwer machen. Yoga kann manchmal helfen
„Was ist das?“, fragte ich mich. In einem Mai nach einem Infekt fühlte ich mich entsetzlich krank. Alles tat mir weh und ich schaffte es kaum in den Garten, um mich dort auf die Wiese zu legen. Die Blutuntersuchung war vollkommen unauffällig und auch meine Psychoanalyse half mir nicht. Erst viel später begriff ich, dass ich möglicherweise eine leichte Form des Chronischen Erschöpfungssyndroms hatte (Chronic Fatigue Syndrom, CFS, Myalgische Enzephalitis, ME).
Die Betroffenen haben messbar weniger Kraft als Gesunde, was sich in relativ einfachen Tests mit einem Handkraftmessgerät feststellen lässt. Bei einer Neigung zu CFS lassen sich relativ leichte bis mäßige Symptome auch durch bestimmte Bewegungen provozieren wie z.B. Kopfstand, Purzelbäume, Kraftanstrengungen wie bei der Gartenarbeit, Wanderungen und längeres Stehen in Fehlhaltungen.
Es gibt sehr schwere Formen, bei denen manche Patienten ans Bett gefesselt sind und sogar daran sterben. Doch es gibt verschiedene Schweregrade der Erkrankung. Manche schleppen sich möglicherweise mit relativ geringen Graden der CFS jahrelang herum. Du bist dabei gerade noch arbeitsfähig, aber du fragst dich jeden Tag, wie du den Tag überstehen kannst. Der Kopf ist schwer und heiß, Hals und Muskeln schmerzen, jede kleinste körperliche, aber auch emotionale Anstrengung führt zu Schweißausbrüchen und schwerer Erschöpfung (Post-Exertional Malaise = Post-Belastungssyndrom). Es besteht häufig ein sehr starkes Krankheitsgefühl, ähnlich wie bei einer Grippe. Nicht selten wird bei solchen Beschwerden mannigfaltige Diagnosen gestellt wie z.B. „Nasennebenhöhlenentzündung“ oder „Allergie“. Hört man mal auf den Rat der anderen und geht spazieren, fühlt man sich hinterher doppelt krank.
Das CFS zählt im Internationalen Klassifikationssystem für Krankheiten zu den Krankheiten des Nervensystems und nicht zu den psychischen Erkrankungen (ICD-10-Code: G93.3). Da es häufig nach viralen Infekten auftritt, wird es auch als postvirales Müdigkeitssyndrom bezeichnet. Die Mitochondrien spielen dabei anscheinend eine besondere Rolle. Zur Diagnostik werden verschiedene Diagnosekataloge verwendet, siehe Fatigatio.de. Auch spezielle Blutuntersuchungen sind heute schon möglich (Esfandyarpour R. et al., 2019, PNAS.org). Das CFS zeichnet sich besonders durch Muskelschmerzen (= Myalgien) aus, weshalb sie auch den Namen „Myalgische Enzephalomyelitis (ME)“ trägt (= Gehirn- und Rückenmarksentzündung mit Muskelschmerzen). Diese Bezeichnung erscheint nicht immer ganz passend, da oft keine Entzündungen im Gehirn oder Rückenmark nachweisbar sind.
Kein klar abgegrenztes Krankheitsbild: Es bestehen Ähnlichkeiten zur Fibromyalgie
Das chronische Erschöpfungssyndrom ist oft eng verbunden mit der Fibromyalgie. Bei der Fibromyalgie leiden die Betroffenen unter Schmerzen, die über den gesamten Körper verteilt sind. Allerdings ist bei der Fibromyalgie der Zusammenhang mit einem Infekt oft nicht ganz so deutlich. Manche Betroffenen haben beide Diagnosen, manche kennen aber auch die Diagnose-Unsicherheiten, die bei der Odyssee von Arzt zu Arzt entstehen. Manche leiden die meiste Zeit des Jahres an ihren unerklärlichen Beschwerden, andere nur zu bestimmten Jahreszeiten. Schon bei kleinsten Aktivitäten sind sie erschöpft. Beim CFS fühlen sich die Betroffenen schwer krank, doch die Ärzte finden nichts. Die Stimmung ist meistens gedrückt.
Ähnlich wie bei einer Infektion können die Beschwerden nach einigen Tagen oder Wochen wieder nachlassen. Bei manchen Betroffenen verändert sich jedoch auch über Monate oder Jahre kaum etwas an ihrem Zustand. Manche Menschen leiden prinzipiell nach Infekten an CFS-artigen Beschwerden, andere sind zu bestimmten Jahreszeiten oder bei bestimmten Wetterlagen betroffen. Manche sehen auch einen Zusammenhang mit dem Monatszyklus (Hals- und Muskelschmerzen vor der Regel) und den Wechseljahren.
Eine Last mit bisher wenigen Antworten
Ein ganzes Forschungsgebiet, die Psychoneuroimmunologie, befasst sich mit diesen komplizierten Zusammenhängen. Dass Viren die Muskulatur angreifen können, kennt wohl jeder von grippalen Infekten: Manchmal kann man sich kaum bewegen, weil eben jeder Muskel schmerzt. Die Neigung zur Erkältung wiederum ist abhängig vom psychischen Wohlbefinden. Bei Schlafmangel und in Stresssituationen können wir vielleicht förmlich spüren, wie unser Immunsystem herunterfährt (Open-Window-Phänomen).
Interessant wäre die Frage, ob Frühtraumatisierungen und CFS im Erwachsenenalter zusammenhängen können.
Die Mitochondrien scheinen eine große Rolle zu spielen und auch Blutuntersuchungen geben Hinweise auf CFS (Sweetman E. et al. 2022). Oft zeigt sich im Handkraft-Messgerät eine deutliche Reduktion der normalen Kraft.
Schon leichte und mäßig schwere Formen des Syndroms können sich durch ein schweres Krankheitsgefühl und einen hohen Leidensdruck äußern – dazu gehören Halsschmerzen, ein fiebriges Gefühl, extreme Abgeschlagenheit, Benommenheit, Muskel- und Gelenkschmerzen, Schwitzen, Verdauungsprobleme und eine Verschlimmerung der Beschwerden schon nach geringster körperlicher Aktivität (Post Exertional Malaise, PEM).
Auch Menschen, die nicht von extremen Formen der CFS betroffen sind, können extrem leiden. Der Gang zur Arbeit ist zwar vielleicht noch möglich, doch erscheint er wie eine fast unüberwindbare Hürde. Trotz Erschöpfung ist der Schlaf schlecht und kurze Auszeiten reichen nicht zur Erholung. Es macht Angst, wenn man trotz aller Bemühungen (viel Ruhe und Schlaf, gesunde Ernährung usw.) keine Besserung feststellt: „Früher hat mir ein Spaziergang geholfen. Doch heute bewirkt die körperliche Aktivität das Gegenteil: Ich fühle mich ganz elend danach. Bewegung macht alles nur schlimmer“, sagst Du vielleicht.
Ernährung und Co.
Wenn Du betroffen bist, bist Du vielleicht schon auf einer langen und anstrengenden Reise: Fastenkuren, die Suche nach Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Rohkostdiäten, Psycho- und Physiotherapie helfen oft nur wenig oder nur sehr langsam. Und manchmal verirrst Du Dich vielleicht. „Nach wochenlanger gluten-, milch- und zuckerfreier Kost fühlte ich mich schlechter denn je“, sagt eine Betroffene. Da kannst Du nur geduldig bleiben und weiter forschen. Wenn Du frühe Traumata erlitten hast, also z.B. schon medizinische Behandlungen, Trennungen oder Gewalt bevor Du sprechen konntest, ist Deine „Stressachse“ (HPA-Achse) vielleicht sehr empfindlich: Es kommt schneller als bei anderen Menschen zu Entzündungsreaktionen. Vielleicht spürst Du, dass da Entzündungsprozesse im Gange sind, doch die Ärzte finden keine passenden Befunde.
Wie sehr das CFS (= Myalgische Enzephalitis) möglicherweise mit Grippe-, Magen-Darm- oder Erkältungsviren zusammenhängen kann, zeigt sich, wenn man daran denkt, wie sehr die Muskeln und Gelenke bei einem Infekt schmerzen können. Viren setzen genau hier an. Auch Impfungen werden ja in den Muskel gesetzt. Wie stark der Körper mit der Entzündung kämpft, hängt von sehr vielen Faktoren ab – von körperlichen Erkrankungen, aber auch von der Ernährung, der Atmung, von Beziehungen, Geldsorgen und dem psychischem Befinden (insbesondere Duldungsstress ist auch körperlich sehr belastend).
Yoga
Doch es gibt auch Betroffene mit relativ schwerem CFS, die Hilfreiches für sich finden. Yoga im Einzelunterricht kann hilfreich sein, wenn die Übungen sich zunächst besonders auf den Atem konzentrieren und sehr leicht sind. In seinen Videos aus 2014 (Vimeo) zeigt der CFS-Patient Dan Moricoli („Pacing is everything“), wie sich sein Zustand durch sehr vorsichtiges und angepasstes Yoga deutlich verbesserte. Auch Studien weisen auf die Wirkung von Yoga bei CFS hin (z.B. Takakazu Oka et al., 2014). Yoga beeinflusst die Muskeln und damit das Immunsystem sowie das neuroendokrine System. CFS-Betroffene müssen hier sehr vorsichtig sein, denn unpassende Übungen können den Zustand verschlimmern.
Verwandte Artikel in diesem Blog:
Verwandte Artikel in diesem Blog:
- Zu müde zum Sport? Erst erholen, dann bewegen
- Warum tut mir Yoga nicht gut?
- Hitzewallungen in den Wechseljahren kommen oft mit System – Selbstbeobachtung kann helfen
- Mein Kopf fühlt sich so heiss und fiebrig an
- Nicht nur auf’s Ziel starren
- Meditation im Hamsterrad
- Natürliche Lust-Unlust-Rhythmen annehmen
- Kribbeln, heißer Kopf, Taubheit im Gesicht – was bedeutet das?
- Mein Kopf fühlt sich so heiss und fiebrig an
Links:
Takakazu Oka et al. (2014):
Isometric yoga improves the fatigue and pain of patients with chronic fatigue syndrome who are resistant to conventional therapy: a randomized, controlled trial
BioPsychoSocial Medicine – The official journal of the Japanese Society of Psychosomatic Medicine, 2014, 8:27 Open Access
doi.org/10.1186/s13030-014-0027-8
bpsmedicine.biomedcentral.com/…
Bentler SE, Hartz AJ, Kuhn EM (2005):
Prospective observational study of treatments for unexplained chronic fatigue.
(PMID:15889950)
The Journal of Clinical Psychiatry [01 May 2005, 66(5):625-632]
europepmc.org/abstract/med/15889950
Leonard A. Jason et al. (2009):
CFS: A Review of Epidemiology and Natural History Studies
Bull IACFS ME. 2009 ; 17(3): 88–106 (PDF)
Arbeitsgruppe Scheibenbogen
Forschungsarbeiten von Professor Carmen Scheibenbogen und Team
Charité, Berlin
White PD et al. (2011):
Comparison of adaptive pacing therapy (APT), cognitive behaviour therapy, graded exercise therapy, and specialist medical care for chronic fatigue syndrome (PACE): a randomised trial
The Lancet, Volume 377, No. 9768, p823–836, 5 March 2011
DOI: http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(11)60096-2
Open access funded by Chief Scientist Office
www.thelancet.com
Naviaux RK et al. (2016):
Metabolic features of chronic fatigue syndrome
PNAS, vol. 113 no. 37 > Robert K. Naviaux, E5472-E5480, doi:
Dan Moricoli on ME-CFS, aka Chronic Fatigue Syndrome, and Yoga
vimeo.com/114375067
Dieser Beitrag erschien erstmals am 3.10.2015
Aktualisiert am 22.10.2025
2 thoughts on “Chronic Fatigue Syndrom (ME/CFS) – auch leichte Formen können das Leben sehr schwer machen. Yoga kann manchmal helfen”
Schreibe einen Kommentar
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.
Aktuelle deutsche Artikel zum Thema:
Medikament bringt Erschöpfungssyndrom zum Verschwinden
http://www.spektrum.de/news/medikament-bringt-erschoepfungssyndrom-zum-verschwinden/1353694
Von wegen psychosomatisch: Auffällige Zytokine als Biomarker des Chronischen Erschöpfungssyndroms
http://www.medscapemedizin.de/artikelansicht/4903440
Chronisches Erschöpfungs-Syndrom: Komischer Name, ernste Krankheit
http://www.medscapemedizin.de/artikelansicht/4903355
Sehr geehrte Frau Dr. Voos,
Ihr Artikel zum CFS schein mir eher nicht viel mit der tasächlichen Erkrankung CFS nach G 93.3 zu tun zu haben.
Es besteht eine große Diskrepanz zwischen der öffentlichen Wahrnehmung und der Lebensrealität der Patienten sowie entsprechender Fachliteratur. Die Erkrankung ME/CFS wird wahrgenommen als unspezifische Befindlichkeitsstörung mit Müdigkeit, als psychische Erkrankung mit Nähe zu Burnout oder Depressionen, und als leichte Erkrankung von meist beschränkter Dauer. Dies ist ein weitverbreitetes Bild in der Öffentlichkeit, aber auch bei vielen Ärzten und politischen Verantwortlichen.
Tatsächlich ist ME/CFS eine schwere, behindernde Erkrankung, die auch zu Pflegebedürftigkeit führen kann. Die Lebensqualität ist oft niedriger als bei Multipler Sklerose und anderer schwerwiegenden Erkrankungen. In schweren Fällen ist die Erkrankung vergleichbar mit Krebs oder AIDS im Endstadium. 1/4 aller Patienten kann das Haus nicht mehr verlassen oder sind bettlägerig.Über die Hälfte der Patienten sind vermutlich arbeitsunfähig.
Eine vor wenigen Monaten veröffentlichte Studie der Aalborg Universität Dänemark bestätigt ebenfalls, dass ME/CFS die niedrigste Lebensqualität aller 21 gemessenen Erkrankungen hat.
Epidemiologische Studien gehen aktuell von 90.000 bis 330.000 betroffene Menschen in Deutschland aus. Dies entspricht 7,5 bis 30 Millionen Patienten weltweit. Durch sehr unterschiedliche Diagnosekriterien kommt es zu dieser noch sehr ungenauen Zahl. Je nach Anwendung wurden ganz unterschiedliche Patientenkohorten in Studien herangezogen. Die untere Zahl basiert auf die neuen ICC-Kriterien, bei der eine sehr restriktive Patientenauswahl verfolgt wurde um bisherige Vermengungen mit anderen Erkrankungen zu vermeiden.
Kinder, Jugendliche & Erwachsene können gleichermaßen erkranken.
Aktuell geht man davon aus, dass Frauen bis zu dreimal häufiger betroffen sind. ME/CFS tritt vor allem im Teenageralter und zwischen 30 und 40 Jahren auf. Diese Daten kommen aus den USA, Großbritannien und Norwegen, da es bisher keine einzige epidemiologische Studie aus Deutschland gibt.
Die DEGAM und andere Fachgesellschaften legen ein biopsychisches Krankheitsmodell zugrunde. Dabei ist ME bereits seit 1969 als Erkrankung des Nervensystems von der Weltgesundheitsorganisation klassifiziert wurden. Der vor wenigen Wochen veröffentlichte Bericht des Robert Koch Institutes folgt ebenfalls diesem psychosomatischen Modell. Man erklärt zwar die Psychiatrisierung als kontraproduktiv, dann wird aber von einer Abwärtsspirale aus Krankheitsstress und veränderter Wahrnehmung gesprochen, bei der die Selbstwirksamkeit gestärkt werden müsste und Ängste gegenüber Aktivität abgebaut werden müssten.
Im Kontrast dazu steht der Bericht des Institutes of Medicine IOM aus den USA, der ME/CFS als schwere, organische Erkrankung einstuft und dazu über 9000 Studien der letzten 60 Jahre ausgewertet hat. Hier finden Sie den Bericht: http://iom.nationalacademies.org/Reports/2015/ME-CFS.aspx
Hier noch ein Link zu einem Bericht von Emily, die 2012 an den Folgen von ME/CFS verstorben ist http://www.lost-voices-stiftung.org/was-ist-me/betroffenberichte/bericht-emily/
Auf unserer Homepage finden Sie neben den Bericht von Emiliy weitere umfangreiche Informationen und Studien zu ME/CFS.
Eine ganz aktuelle Studie der Berliner Charité finden Sie hier:
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26399744
Für Rückfragen stehen wir ebenfalls gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Nicole Krüger
Vorsitzende Lost Voices Stiftung
Groß-Buchholzer Str. 36B
30655 Hannover
Tel. +49(0)511|2706751
E-Mail nicole.krueger@lost-voices-stiftung.org
http://www.lost-voices-stiftung.org