Transgender: „Ich fühle mich im falschen Körper.“ Wie Phantasien der Eltern unsere Geschlechtsidentität mitbestimmen.

Sich in seinem Körper nicht zu Hause zu fühlen, ist ein uraltes Problem der Menschheit. Wir fühlen uns mitunter gefangen in unserem Körper. Wie wir uns in unserem Körper fühlen, hängt unter anderem davon ab, mit welchen Augen uns unsere Eltern anblickten. Die Blicke gerade in der frühen Kindheit sind etwas ganz Subtiles. Mutter und Vater haben oft schon bei der Zeugung Phantasien darüber, wie ihr Kind vielleicht einmal sein wird. Auch wünschen sich Mutter und Vater oft – zumindest in der unbewussten Phantasie – ein bestimmtes Geschlecht ihres Kindes.

Ist das Kind geboren, werden auch in den Eltern wieder kindliche Gefühle geweckt. Die Eltern können sich mehr oder weniger bewusst daran „erinnern“, wie sie sich selbst als Kind fühlten. Die Mutter, die stillt oder sich für das Fläschchen entscheidet (oder entscheiden muss), hat bestimmte Phantasien über ihr Muttersein und ihre Weiblichkeit. Zwischen Mutter und Kind spielt sich in der frühen Zeit unglaublich viel ab, was sich oft nur schwer in Worte fassen lässt.

Der Vater, der in seiner Funktion das Kind oft „aktiviert“ und dem Kind die Möglichkeit gibt, aus der engen Zweierschaft mit der Mutter zu treten, hat ebenfalls seine Phantasien, die sich in Blicken ausdrücken. Wie wir uns in unserer Haut als Junge oder Mädchen und später als Mann oder Frau fühlen, hängt auch damit zusammen, was die Eltern uns – auch ganz ohne Worte – vermittelt haben.

Ständiger Wandel

Dabei entwickelt sich unsere Geschlechtsidentität fortwährend: Während wir als Kinder manchmal nicht gleich als Mädchen oder Junge erkannt werden, ändert sich dies in der Pubertät. Wie fühle ich mich als Mädchen oder junge Frau mit meinen Brüsten? Diese Frage ist unbewusst mit vielen Gefühlen verknüpft. Daran gebunden ist auch die Frage: Wie empfand ich die Brüste meiner Mutter? Kam mir die Mutter zu nah? Fand ich ihre Brüste vielleicht ekelhaft? Wie war mein Verhältnis zum Vater? Hat er mich oft überfordert oder ist er mir ebenfalls zu nah gekommen?

Die rein körperlichen Gefühle sind das Eine. Dann kommen gesellschaftliche Fragen hinzu: Wie werde ich als Mädchen oder Junge, als Mann oder Frau, von der Gesellschaft behandelt? Welche sozialen Vorstellungen gibt es bei mir selbst und anderen? Kann ich mich frei fühlen? Die Entwicklung ist ein Abenteuer.

Während viele junge Frauen mit Mitte 20 die Vorstellung absurd finden, jemals ein Kind zu bekommen, kann ihr Wunsch nach einem Baby im Bauch im Alter von Mitte 30 sehr stark werden.

Sich mit der eigenen Geschlechtsidentität auseinanderzusetzen, bedeutet auch, sich mit Beziehungen auseinanderzusetzen. Welche Beziehung habe ich zu mir selbst und wie sah die Beziehung zwischen Vater und Mutter und deren Beziehung zu mir aus? Unbewusste Familiengeschichten können dauerhaft einen Einfluss auf mein Befinden in einem weiblichen oder männlichen Körper haben. Beispiel: Hat die Mutter kurz vor Ende ihrer Schwangerschaft einen im Leib verstorbenen Sohn zur Welt gebracht und bekommt bald darauf ein Mädchen, kann dies enormen Einfluss auf das psychische und körperliche Geschlechtsleben dieses Mädchen haben, ohne dass man gleich in Worte fassen könnte, was da alles geschieht. Solchen Zusammenhängen nachzugehen, kann sehr bereichern.

Verwandte Artikel in diesem Blog:

Literatur:

Patricia Daniel:
Child analysis and the concept of unconscious phantasy.
In: Clinical Lectures on Klein and Bion.
Herausgegeben von Robin Anderson

Ronald Britton:
The missing link: parental sexuality in the Oedipus complex
Routledge 1989
https://tcf-website-media-library.s3.eu-west-2.amazonaws.com/wp-content/uploads/2014/10/20131943/264.compressed.pdf

Helen Leland Witmer (1937):
The Influence of Parental Attitudes on the Social Adjustment of the Individual
American Sociological Review. Vol. 2, No. 5 (Oct., 1937), pp. 756-763
https://doi.org/10.2307/2083828
https://www.jstor.org/stable/2083828

Schreibe einen Kommentar