
„Wag‘ es Dich ja nicht!“, zischte uns die strenge Mutter zu. „Du wirst schon sehen, was Du davon hast“, sagte uns vielleicht der Vater. Wir hörten es oft. Wenn wir als Erwachsene vor einer Entscheidung stehen, kommt die Erinnerung: „Wag‘ es Dich nicht!“, hören wir eine Stimme in uns. Und wir verbieten uns das Gute. „Es ist, als sei das ein ganz anderer Mensch in mir“, sagt der Patient über seine innere kritische Stimme. „Diese Stimme ergab früher vielleicht einen Sinn, aber heute tut sie es nicht mehr“, sagt der Therapeut in der Schematherapie. Aber warum fühlt es sich dann immer noch sinnvoll an?
Die guten Stimmen in uns zählen wir gerne zu unseren eigenen. „Das sind wir“, sagen wir. Doch das Schlechte und Böse in uns, das wollen wir nicht haben. „Das ist das Täterintrojekt“, sagen wir dann oft. Doch der, der da wütet in mir, bin vielleicht doch auch ich. Ich kann vielleicht mehr steuern, als ich dachte.
Vor- und Nachteile des inneren Kritikers
Wenn wir unseren inneren Kritiker hören, dann ist es, als gäbe es da jemanden, dem wir uns immer noch unterwerfen müssten. Der Nachteil ist, dass wir so nicht vorwärts kommen und dass wir das Gute nicht oder nur schwer erreichen. Der Vorteil aber ist: Wir fühlen uns auf der sicheren Seite. Wir konnten noch nie viel wagen. Und: Wenn ich erst gar nicht versuche, mein Gewünschtes zu erreichen, kann ich auf gewisse Art nichts falsch machen. Ich lebe weiter im „Das war schon immer so.“
Wenn ich mir etwas erlaube, dann besteht immer die Gefahr, dass ich mich später schuldig fühle. Wenn ich Neues ausprobiere und es geht schief, dann werde ich es vielleicht bereuen. Ich kann nicht kontrollieren, was da kommt, wenn ich das Neue ausprobiere. Insofern schützt mich der Innere Kritiker vor anderen schlechten Gefühlen wie Verantwortung, Schuld und schlechtem Gewissen. Wenn ich dem inneren Kritiker ausgeliefert bin, dann bin ich das Opfer. Und das Opfer hat Zuwendung und Mitleid verdient. Es ist unschuldig.
Der Innere Kritiker entspricht auch dem „Über-Ich“ in der Psychoanalyse nach Sigmund Freud.
Aus der Misere kann ich nur herauskommen, wenn ich mir überlege, ob der innere Kritiker nicht doch mehr ein Teil von mir selbst ist als gedacht. Es ist ein bisschen wie im Alptraum – auch da besteht die Frage: Habe ich den Alptraum irgendwie selbst gemacht oder ist er mir widerfahren? Diese Frage ist in der Psychoanalyse immer wieder umstritten. Ich denke, bei dem Inneren Kritiker geht es um sehr ähnliche Fragen wie bei der Frage nach dem „Malignen Introjekt“. Es kommt immer wieder zur inneren Auseinandersetzung mit unterschiedlichem Ausgang.
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