
Schichtspezifisches Alleinerziehen – gibt es das? Ärztinnen, Lehrerinnen, Anwältinnen und hochqualifizierte Frauen anderer Berufe teilen mit Alleinerziehenden, die einen niedrigeren Bildungsgrad haben, viele Probleme. Und doch haben Akademikerinnen – auch wenn sie privilegiert sind – mit ganz eigenen Schwierigkeiten zu kämpfen. Vor allem sind Akademikerinnen auf eine gewisse Weise oft besonders einsam. Im Jahr 2012 hatten knapp 8% der Deutschen einen Hochschulabschluss und 1% eine Promotion (Statistisches Bundesamt: Bildungsstand) – da kommen alleinerziehende Akademikerinnen schon aus rein statistischen Gründen seltener ins Gespräch mit anderen Frauen, die einen ähnlichen Hintergrund haben.
Gleichgesinnte sind schwer zu finden
Meiner Erfahrung nach bleiben alleinerziehende Akademikerinnen sehr viel länger allein als Alleinerziehende mit anderen Bildungsabschlüssen. Während gebildete Männer relativ häufig auch weniger gebildete Frauen zur Partnerin wählen, fühlen sich gebildete Frauen in sehr vielen Fällen nur mit einem Partner eines ähnlichen Bildungsstandes wohl und Studien geben ihnen recht: Beziehungen, in denen beide Partner gebildet sind, gehen seltener in die Brüche (Schwartz & Han, 2014). Akademikerinnen, die einen gebildeten Partner suchen, werden gerade im gebärfähigen Alter nur schwer fündig. Die geringe Kinderzahl unter Akademikerinnen ist oft schlichtweg darauf zurückzuführen, dass sie keinen passenden Partner finden.
Über 20 Jahre lang Single
Ein Single-Leben von knapp 20 Jahren – also während der Jahre, in denen die Kinder groß werden – ist meiner Erfahrung nach bei Akademikerinnen keine Seltenheit. Akademikerinnen, deren Kinder noch klein sind, kehren meistens enttäuscht von Alleinerziehenden-Treffs zurück. Die Probleme, die dort besprochen werden, sind eben nicht die Probleme der Akademikerinnen, auch wenn so manche Akademikerin einen Hartz-IV-Antrag stellen muss.
Berufliche Themen können nicht besprochen werden
Wie schafft man die ärztliche Weiterbildung mit Kind, wie die Promotion? In welcher Klinik kann man als Alleinerziehende gut arbeiten? Wie gestaltet sich die Partnersuche? Wie kommt man mit den Bildungsunterschieden bei den Gesprächen mit Erzieherinnen klar? Oft werden diese Bildungsunterschiede verleugnet. Die Akademikerin gerät schnell in den Verdacht, arrogant zu sein. Doch Arroganz entsteht oft in einsamen Situationen und in Situationen, in denen man sich nicht verstanden fühlt.
Gute Gespräche
Finden alleinerziehende Akademikerinnen zusammen, ist es für sie meistens eine große Erleichterung, festzustellen, dass andere in einer sehr ähnlichen Situation sind. Das Internet bietet hier gute Möglichkeiten, um mit anderen alleinerziehenden Akademikerinnen in Kontakt zu kommen.
Auf Twitter habe ich Dr. Christine Finke kennengelernt, die den wunderbaren Blog mama-arbeitet.de betreibt. Sehr interessant war für mich auch das Gespräch mit der Tumorforscherin Professor Dr. Dr. Heike Allgayer, die ich für die Thieme-Zeitschrift XX interviewt habe. Auf Facebook lernte ich die Ärztin Dr. Alexandra Widmer kennen, die nun in ihrer Praxis Alleinerziehende berät und den Blog www.starkundalleinerziehend.de führt.
Verwandte Artikel in diesem Blog:
- Leben ohne Berührung – wie soll das gehen?
- Vom Schmerz des unerfüllten Kinderwunsches, weil der Partner fehlt
- Mit den Lücken des Lebens leben
- Single-Sein – jahrelang, jahrzehntelang, eschöpfend
- „Er/sie kommt genau dann, wenn Du nicht daran denkst“
Quellen:
Christine R. Schwartz & Hongyun Han (University of Wisconsin-Madison, 2014):
The Reversal of the Gender Gap in Education and Trends in Marital Dissolution
American Sociological Review August 2014 vol. 79 no. 4 605-629
doi: 10.1177/0003122414539682
http://asr.sagepub.com/content/79/4/605
Alleinerziehende in Deutschland
Statistisches Bundesamt
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am: 19.9.2014
Aktualisiert am 14.10.2021
Schreibe einen Kommentar