Mithilfe der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) können wir psychische Störungen beschreiben. Die „Achse III“ bietet eine Orientierung, um die Konflikte eines Patienten (oder auch unsere eigenen) einzuordnen:
OPD-Achse III: Konflikt
Wir können verschiedene Konflikte haben – in uns selbst und mit anderen.
1. Individuation versus Abhängigkeit: Fühlen wir uns eher frei oder abhängig?
2. Unterwerfung versus Kontrolle: Neigen wir dazu, uns zu unterwerfen, oder wollen wir über dem anderen stehen, um die Kontrolle zu behalten?
3. Versorgung versus Autarkie: Möchten wir uns eher versorgen lassen oder pochen wir auf unsere Eigenständigkeit?
4. Selbstwertkonflikt: Selbstwert versus Objektwert: Fühlen wir uns minderwertig und schämen wir uns oft? Versuchen wir unsere Minderwertigkeit zu kompensieren, indem wir uns als besonders selbstbewusst darstellen? Vielleicht sind wir auch manchmal „größenwahnsinnig“?
5. Schuldkonflikt: Suchen wir die Schuld eher bei uns selbst oder schieben wir gerne anderen die Schuld zu? (Selbst- versus Fremdbeschuldigung)
6. Ödipal-sexueller Konflikt: Unsere sexuellen Konflikte führen vielleicht dazu, dass wir unsere Sexualität einfach nicht mehr wahrnehmen. Sie ist uns nicht mehr wichtig. Dann sind wir im passiven Modus. Es kann auch sein, dass wir andere ständig „anmachen“, aber dann nicht ernsthaft eine sexuelle Beziehung eingehen („Locken und Bocken“ – gefunden auf der hervorragenden Website von Maren Hofmann: Psychotherapie-Neumünster). Dann sind wir im aktiven Modus.
7. Identitätskonflikt: Identitätsmangel versus Identitätssicherheit, Identität vs. Dissonanz: Beispielfragen: Wer bin ich eigentlich? Was möchte ich vom Leben? Wie fühle ich mich als Frau oder Mann? Wie erwachsen bin ich? Habe ich überhaupt ein Recht, zu leben? Welcher Kultur, Religion möchte ich angehören? Welcher Beruf schwebt mir vor?
8. Fehlende Konflikt- und Gefühlswahrnehmung: Intellektualisierung, emotionale Verflachung, asoziales Verhalten und vieles mehr kann die Folge sein
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 7.3.2016
Aktualisiert am 9.4.2023
Zweimal 16 Stunden Hypnose stehen auf dem Pflichtplan für den Zusatztitel „Psychotherapie“. Anmeldung zum Kurs. Samstag, Sonntag – ein Platz ist noch frei. Zwei Familien müssen organisiert werden zur Betreuung des Kindes – eine für Samstag, eine für Sonntag. Mitte der Woche ist es geschafft. Das Kind bemerkt mütterliches schlechtes Vernachlässigungsgewissen. Blinzelt sich Kinder-Zeitschrift herbei. Familie Eins sagt kurzfristig ab. Hektisch wird der neue Babysitter gefunden. Freundin X ruft verärgert an – das Kind habe wohl versehentlich einen Doppeltermin vereinbart – Freundin X stehe für Weiteres leider nicht mehr zur Verfügung. Freitag-morgens kündigt das Kind Ohrenschmerzen an. Schnell noch Musikunterricht und Tanzauftritt am Abend absagen. Gesundbleiben ist das höchste Ziel. Verspüre Übelkeit. Schnell eine Cola und etwas hinlegen.Weiterlesen
Seit 1999 ist der Begriff „Psychotherapeut“ gesetzlich geschützt. Damals trat das Psychotherapeutengesetz (PsychThG) in Kraft. Nur noch Ärzte und Psychologen mit einer Psychotherapie-Ausbildung dürfen sich „Psychotherapeut“ nennen. Heilpraktiker mit einer Ausbildung zum „Heilpraktiker für Psychotherapie“ müssen den Zusatz „Nach dem Heilpraktikergesetz (HPG)“ tragen. Das Psychotherapeutengesetz findest Du auf der Website gesetze-im-internet.de.
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 17.8.2009
Aktualisiert am 16.9.2015
„Wie würde Ihr Leben aussehen, wenn Sie Ihr Problem XY nicht hätten? Was wäre, wenn Sie morgen aufwachten, und es wäre ein Wunder geschehen?“ Eine solche oder ähnliche Frage stellen Psychotherapeuten manchmal ihren Patienten. Bei der Wunder-Frage kann es hilfreich sein, von einer gewohnten Situation auszugehen, also z.B. zu sagen: „Stellen Sie sich vor, Sie gehen abends ins Bett, so wie Sie es immer machen. Morgens um 7 klingelt der Wecker, so wie immer bei Ihnen. Was würde passieren, wenn Sie dann aufwachten und sich vorstellten, Ihr Problem wäre verschwunden?“ Diese Fragetechnik (die es wahrscheinlich schon immer gab) wurde offiziell von dem amerikanischen Psychotherapeuten Steve de Shazer (1940-2005) geprägt und in die Psychotherapiewelt eingeführt. Die Frage wird häufig von Psychotherapeuten in einer lösungsorientierten Kurzzeitpsychotherapie gestellt.
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 22.8.2015
Mit Dank an M.L. für die Inspiration …
Evidenzbasierte (= beweisgestützte) Medizin ist eine Orientierungshilfe für Ärzte und Patienten. Der Begriff wurde Anfang der 1990er Jahre von dem Epidemiologen Gordon Guyatt und dem Mediziner David Sackett, beide Kanadier, geprägt. „Evidence“ heißt unter anderem „Anhaltspunkt, Beweis“ – es lässt sich aber auch mit „Offensichtlichkeit“ übersetzen. Evidenzbasierte Medizin steht für die „erwiesenermaßen wirksame Medizin“. Der Evidenzgrad soll anzeigen, wie wirksam eine medizinische Therapie ist. Doch der Versuch, den Evidenzgrad auf die Psychoanalyse zu übertragen, ist umstritten.
So wird die Wirksamkeit einer Therapie nach Kriterien der Evidence-based-medicine (EBM) beispielsweise eingeteilt:
Grad I: Die Wirksamkeit ist gut belegt.
Grad II: Die Behandlung ist wahrscheinlich wirksam.
Grad III: Die Behandlung ist nach Expertenmeinung wirksam.
Daraus ergeben sich sogenannte Empfehlungsklassen:
A: Die Wirksamkeit der Behandlung ist gut belegt und daher zu empfehlen.
B: Die Wirksamkeit ist ausreichend belegt und daher zu empfehlen.
C: Die Wirksamkeit ist nur ungenügend belegt und daher nur wenig zu empfehlen.
(siehe auch: Das Leitlinien-Manual, Urban & Fischer, 2001, PDF)
Gerade im Bereich der Psychoanalyse geht es immer wieder um die Frage: Ist eine Behandlung wirksam? Ist die Wirksamkeit der Therapie belegt? Dazu muss man wissen, dass hohe Evidenzgrade nur verteilt werden, wenn eine Therapieform mithilfe einer klinischen Studie (Wikipedia) untersucht wurde. Das sieht vereinfacht so aus, dass Patienten nur unter bestimmten Voraussetzungen an der Studie teilnehmen dürfen. Manchmal werden die Patienten zufällig einer bestimmten Therapiegruppe zugeordnet (randomisiert-kontrollierte Studie, RCT). Sie bekommen dann eine bestimmte Therapie und werden mit einer Kontrollgruppe verglichen, also mit Menschen, welche die untersuchte Therapie nicht erhalten haben. Am Schluss der Studie schaut man sich das Outcome, zu deutsch „Ergebnis“, an: Es wird geprüft, ob es den behandelten Patienten entschieden besser geht als den unbehandelten und ob es ihnen nach der Therapie besser geht als vorher.
Auch psychotherapeutische Behandlungen werden gelegentlich nach folgenden Evidenzgraden „benotet“. Das sieht dann in etwa so aus:
Ia: Es gibt mehrere randomisierte, kontrollierte Studien, die die Wirksamkeit der Therapie belegen. Dies wurde in Metaanalysen festgehalten.
Ib: Es gibt mindestens eine randomisierte, kontrollierte Studie.
IIa: Es gibt mindestens eine kontrollierte Studie (ohne Randomisierung).
IIb: Es gibt mindestens eine quasi-experimentelle Studie.
III: Es gibt nicht-experimentelle, beschreibende (= deskriptive) Studien, z. B. Vergleichsstudien.
IV: Es gibt anerkannte Autoriäten auf dem Gebiet der Psychotherapie, welche die Therapie aufgrund von klinischer Erfahrung als wirksam erachten.
(Siehe auch: EBM-Netzwerk.de)
Wer eine körperliche Erkrankung hat und für sich die beste Therapie sucht, für den kann der Evidenzgrad eine wertvolle Orientierung sein. Bei der Psychoanalyse ist das nicht so leicht, denn die Wirkung ist vielfältig. Ein Blutdruckmedikament kann leicht daraufhin überprüft werden, ob es den Blutdruck senkt oder nicht. Bei der Psyche ist das anders. Es lässt sich zwar mit Fragebögen erfassen, ob beispielsweise „Angst“ im Laufe einer Therapie zurückgeht. Doch was noch passiert, kann nicht so leicht erfasst werden. Ist stattdessen „Zwang“ entstanden? Oder ist die Angst zunächst geblieben, dafür aber an anderer Stelle mehr „Glück“ hinzugekommen?
Zur Verhaltenstherapie gibt es viele klinische Studien, in denen diese Therapieform gut abschneidet – zum Beispiel Studien zur Verhaltenstherapie bei Angststörungen.
Zur Psychoanalyse hingegen gibt es nicht so viele Studien, die eine Notenvergabe nach Evidenzkriterien erlauben. Hier gibt es sogenannte „empirische Studien“, bei denen die Daten von Patienten gesammelt und ausgewertet werden. Es lässt sich also der Zustand der Patienten vor einer Therapie mit demjenigen nach der Therapie vergleichen. Doch weil es oft keine Kontrollgruppe gibt, lassen sich die Ergebnisse nicht mit Studienteilnehmern vergleichen, die zwar an psychischen Störungen litten, aber keine Psychoanalyse erhalten haben.
Schon bei der Diagnosestellung gehen analytische Therapeuten anders vor als Verhaltenstherapeuten. Statt der „Angststörung“ sehen die Analytiker die Angst im Zusammenhang mit vielen anderen möglichen Problemen, z.B. mit nicht genügend ausgereiften Persönlichkeitsanteilen. Zudem sind Psychoanalysen oft lang und ohne vorformuliertes Ziel. Es zeigt sich eher im Laufe der Behandlung, wohin die Reise geht. Einer „Kontrollgruppe“, also einer Gruppe von psychisch leidenden Menschen, bewusst diese intensive Therapieform vorzuenthalten, nur um zu schauen, was aus diesen Patienten wird, wäre ethisch nur schwer vertretbar.
Was wird gemessen?
Die Verhaltenstherapie hat bei bei manchen Störungen einen höheren Evidenzgrad als die psychoanalytische Therapie. Doch soll man mit seinen Beschwerden deshalb die Verhaltenstherapie vorziehen? Nein – man sollte sich klar machen, was da eigentlich gemessen wird und gemessen werden kann.
Ein Beispiel:
Eine Patientin soll vor einer Verhaltenstherapie in einem Studien-Fragebogen ausfüllen, ob sie ihre Wut kontrollieren kann. Sie antwortet mit „Nein“. Dann macht sie eine Verhaltenstherapie und antwortet am Ende der Therapie auf dieselbe Frage mit „Ja“. Die Therapie hatte also Erfolg, wenn man Fragen wie diese als Messpunkte nimmt.
Wer eine analytische Therapie macht, der wird vielleicht die gestellten Fragen ebenso beantworten. Doch darauf kommt es nicht unbedingt an. Wenn man mit dem Patienten spricht und fragt, was ihm in der psychoanalytischen Therapie am meisten gebracht hat, wird er vielleicht antworten: „Ich kann nun endlich mit mir selbst und mit anderen mitfühlen.“
Solche Punkte im Leben, an denen größere Zufriedenheit entstanden ist, können nicht unbedingt in Worte gefasst oder leicht abgefragt werden, aber der neue Lebensweg hat oft eine größere Bedeutung für die Patienten als die pure Symptomreduktion. Manche Symptome bleiben auch bestehen, doch der Patient kann sie verstehen und als Kompass nutzen, sodass nicht mehr krampfhaft versucht werden muss, die Beschwerden und das Leiden einfach „loszuwerden“.
Eine Therapie kann auf verschiedene Weise auf ihre Wirksamkeit untersucht werden. Der Evidenzgrad sollte nicht das alleinige Kriterium sein, nach dem man eine Psychotherapie auswählt. Die Evidence-based Medicine ist häufig wertvoll, doch manchmal wird sie zu sehr hochgejubelt – statt „based“ könnte man da auch „spaced“ verstehen …
„Bei differenzierter Betrachtung bedeutet EBM den bewussten, ausdrücklichen und wohlüberlegten Gebrauch der jeweils besten verfügbaren Informationen für Entscheidungen in der Versorgung eines individuellen Patienten.“
Quelle: Bernd Herrmann et al. Medizinische Diagnostik bei sexuellem Kindesmissbrauch. Konzepte, aktuelle Datenlage und Evidenz.
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 111 | Heft 41 | 10. Oktober 2014
http://www.aerzteblatt.de/pdf/111/41/m692.pdf
Links:
Gunver Sophia Kienle (2008):
Evidenzbasierte Medizin und ärztliche Therapiefreiheit. Vom Durchschnitt zum Individuum.
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 105, Heft 25, 20. Juni 2008
Jonathan Shedler:
Where is the Evidence for Evidence Based Therapies? (2013/2014)
integral-options.blogspot.de
Jürgen Windeler et al. (2008):
Randomisierte kontrollierte Studien
Kritische Evaluation ist ein Wesensmerkmal ärztlichen Handelns
Deutsches Ärzteblatt, 14. März 2008
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 7.3.2008
Aktualisiert am 18.6.2015