Wie aufgebrochener Asphalt auf der mit dem Schlaghammer aufgebohrten Straße. So liegen die Steine in Fetzen an der Oberfläche neben dem ausgetrockneten Loch. Außen Beschädigung, innen tiefe Erschütterung. Wie in seine Einzelteile zerlegt. Alle Bauklötze umhergeworfen. So fühlt es sich an. Darüber fegt ein Gedankensturm, der fast alle Fensterläden abreißt. Auch innen ist nichts mehr geschlossen. Es herrscht eine Überfüllung aus Abwesenheit. Die Wirkung, die die Mutter hatte, ist verheerend. Die Stimme wird brüchig, der Boden scheint zu beben, die Welt sieht bedrohlich aus. Niemand da. Zu viele da. Schmerz lässt sich halten. Trauriges betrauern. Druck und Spannung tolerieren. Aber das Gefühl des Bröckeligseins erscheint unaushaltbar und kann mit einer namenlosen Angst verbunden sein, die bis tief ins Mark geht und gleichzeitig aus ihm kommt. Weiterlesen
Ich will das nicht alles mittragen müssen: diese Zahnklammer- und Weisheitszahnindustrie, die oft viel zu frühen operativen Geschlechtsangleichungen, die vielen unnötigen Rücken- und Nasenscheidewand-OPs, die vielen Sprachtherapien von Kindern, die einfach nur etwas mehr Zeit brauchen, die vielen Intensivbehandlungen von hochbetagten Menschen, die gerne schon längst gestorben wären. Gar nicht zu reden von der Vojtatherapie bei Babys – einer Misshandlung auf Rezept, wie ich finde. Ich schimpfe. Und breche mir den Arm. Ich wähle die 112, komme wie selbstverständlich in die Notaufnahme, werde bestens behandelt. Und bin dankbar. Für unser Krankenkassensystem.
Er steht da, im Paradies: Der Baum der Erkenntnis. Um mich herum ist die Welt in Ordnung. Innen drin bin ich unwissend. Ich stelle mich dumm, ich halte mich dumm. Ich weiß: Wenn ich diesen Apfel esse, wird die Welt um mich herum zusammenbrechen. Aber ich bin lieber gebildet in einer kaputten Welt als ungebildet in einer heilen Welt. Und als ich den Apfel esse, sehe ich, dass die Welt schon vorher nicht heil war. Aber jetzt können wir einander verstehen, die Welt und ich.Weiterlesen
Unerfüllte Bedürfnisse begleiten uns unser Leben lang. In manchen Phasen denken wir nur darüber nach, wie wir unseren Schmerz am besten bewältigen können. Doch wir merken: Es sind Hintergrundschmerzen, die immer bei uns bleiben werden – mal mehr, mal weniger. Das Abwesende, das Nicht-Erlangte tut uns weh. Dabei ist Neid ein unglaublicher Schmerzverstärker. Wir glauben in unserem Schmerz, dass es nur uns so geht, dass die Hintergrundschmerzen der anderen erträglicher seien. Das Vergebliche schmerzt uns zutiefst. Können wir uns jemals damit anfreunden? Oder versöhnen?Weiterlesen
Das Kind, es durfte nie die Tür zumachen. Es wurde älter und entdeckte sich selbst. Der Vater, er kam immer hinein. Wut stieg auf in dem Kind. Es durfte nie allein sein. Eines Tages schloss es die Tür ab. Aber es schämte sich sehr. Denn wenn die Tür zu ist, so dachte es, weiß der Vater, was ich tue. Das Kind schämte sich, den Vater auszuschließen. Die Gedanken des Vaters waberten durch die verschlossene Tür. Das Kind war unter Verdacht. Noch mehr, als entdeckt zu werden, schämte es sich, die Tür zu verschließen. Die Scham wuchs und wuchs. Entdeckt werden wollte das Kind nicht. Verdächtigt werden auch nicht. Die Türe abzuschließen hätte Entdecktwerden bedeutet. Das Kind sah keine Lösung. Also vergrub es seine Sexualität. Bis heute.Weiterlesen
Es war, als sei ich eines Tages, mitten im Leben, aufgewacht inmitten einer großen Leere. Wie konnte ich nur hierhin gekommen sein? Wo waren die anderen? Die anderen waren im Kreise ihrer Familie. Dort waren sie geboren, feierten ihre Feste, heirateten und starben dort. Mir wurde kalt. Im Alltag, im Beruf, da war ich im Kreise meiner Freunde und Arbeitskollegen. Aber Mengenleere ist grausam: Sobald die Feiertage kommen, ziehen sich alle in ihre Kreise zurück. Unruhe machte sich breit. „Neidisch ist man besonders auf die, deren Ziele man theoretisch auch selbst hätte erreichen können“, hörte ich. „So weit wie Du kommen die meisten mit Deinen Startbedingungen gar nicht“, tröstete mich eine Freundin. Weiterlesen
Dieser Zwang zu zerstören entsteht nur aus Angst. „Nie wieder“ lautet das Ziel. Immer. Das Kind, es kann nur erahnen, wann der nächste Angriff kommt. Sein Schreien klingt wie eine Melodie. Erst zaghaft, fragend, klagend. Können die das wirklich wieder tun? Diesmal wird’s doch nicht so schlimm – oder? Doch, auch diesmal wird’s schlimm. Und erbarmungslos. Die Sprache, es gibt sie noch nicht. Kein Wort. Das Schreien steht auf. Das Kind, es schreit in Not. Alle hören es. Doch keiner hört hin. Keiner geht hin. Die Täter und Täterinnen machen weiter. Verzweiflung. Spitze, verzweifelte Schreie. Das hört niemals auf. Es geht um Leben und Tod. Um alles oder nichts. Es gibt kein Zeit-Erleben, kein Weiterleben. Sterben geht nicht, nur vielleicht. Totstellen geht nicht, weil der Druck zu Reflexen zwingt. Das Kind hat es schon oft probiert, das Totsein. Es ist alles unendlich. Es hört nie mehr auf. Weiterlesen
Die Mutter war außer sich. Schon wieder. Das Kind hatte alles falsch gemacht. Und doch hatte es etwas richtig gemacht: Weil es die Mutter nicht einschätzen konnte, machte es die Mutter wütend, damit es wusste, wo es dran war. Damit es Eindeutigkeit hatte. Doch ein kleines Kind kann die Welt nicht entdecken, wenn die Mutter wütend mit ihm ist. Also versucht es, die Mutter wieder zu besänftigen. „Hab mich wieder lieb, Mama!“, sagt das Kind mit all seiner Kraft. Die erschöpfte, versteinerte Mutter kann nicht sagen: „Ist schon gut, mein Schätzchen.“ Aber die Mutter hat ein Minimum an Fähigkeit, gnädig zu sein. Als sie ausreichend gnädig ist, lässt das Kind los. Weiterlesen
Es rumort. Tief drinnen im Bauch. Auch aus dem Herzen heraus. Außen nur ein löchriges Gefühl. Überall bröckelt es. Nichts kann mich ruhig machen. Ich zittere. Ein Kampf tobt in mir. Ein Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Leben und Tod. Das Böse ist vollkommen zerstörerisch. Aber nicht grob zerstörerisch. Es schwebt – innen und außen. Und ich frage mich, woher es kommt. Ich habe Angst, dass ein anderer mir Böses schickt. Dass ein anderer mich in seinen Händen hat. Mich steuert. Beängstigend. Die anderen sagen: „Das kann nicht sein. Ein anderer kann nicht Macht über dich übernehmen.“ Aber woher wollen sie das wissen? Meine Gefühle sind wie eine absolute Gewissheit. Eine innere Überzeugung, dass da ein anderer etwas mit mir macht. Ich spüre es genau. Werde ich so lebensfähig sein? Sterbefähig? Ein Zustand des unaufhörlichen Aufruhrs. Und auf dem Diagnose-Zettel steht einfach nur „Angststörung“.Weiterlesen