Chronic Fatigue Syndrom (ME/CFS) – zwischen Körper und Psyche

Das chronische Erschöpfungssyndrom (Chronic Fatigue Syndrom, CFS, Myalgische Enzephalitis, ME) zählt im Internationalen Klassifikationssystem für Krankheiten zu den Krankheiten des Nervensystems und nicht zu den psychischen Erkrankungen (ICD-10-Code: G93.3). Da es häufig nach viralen Infekten auftritt, wird es auch als postvirales Müdigkeitssyndrom bezeichnet. Zur Diagnostik werden verschiedene Diagnosekataloge verwendet, siehe Fatigatio.de. Auch spezielle Blutuntersuchungen sind heute schon möglich (Esfandyarpour R. et al., 2019, PNAS.org). Das CFS zeichnet sich besonders durch Muskelschmerzen (= Myalgien) aus, weshalb sie auch den Namen „Myalgische Enzephalomyelitis (ME)“ trägt (= Gehirn- und Rückenmarksentzündung mit Muskelschmerzen). Diese Bezeichnung erscheint nicht immer ganz passend, da oft keine Entzündungen im Gehirn oder Rückenmark nachweisbar sind.

Es gibt sehr schwere Formen, bei denen manche Patienten ans Bett gefesselt sind und sogar versterben. Die Betroffenen haben messbar weniger Kraft als Gesunde, was sich in relativ einfachen Tests mit einem Handkraftmessgerät feststellen lässt.

Doch es gibt verschiedene Schweregrade der Erkrankung. Manche schleppen sich möglicherweise mit relativ geringen Graden der CFS jahrelang herum. Der Kopf ist schwer und heiß, Hals und Muskeln schmerzen, jede kleinste körperliche, aber auch emotionale Anstrengung führt zu Schweißausbrüchen und schwerer Erschöpfung (Post-Exertional Malaise = Post-Belastungssyndrom). Es besteht häufig ein sehr starkes Krankheitsgefühl, ähnlich wie bei einer Grippe. Nicht selten wird bei solchen Beschwerden mannigfaltige Diagnosen gestellt wie z.B. „Nasennebenhöhlenentzündung“ oder „Allergie“. Hört man mal auf den Rat der anderen und geht spazieren, fühlt man sich hinterher doppelt krank.

Bei einer Neigung zu CFS lassen sich relativ leichte bis mäßige Symptome auch durch bestimmte Bewegungen provozieren wie z.B. Kopfstand, Purzelbäume, Kraftanstrengungen wie bei der Gartenarbeit, Wanderungen und längeres Stehen in Fehlhaltungen.

Das CFS gibt es in verschiedenen Ausprägungen. Sehr aktiv bei der Aufklärung sind Patienten-Initiativen, zu denen oft sehr schwer betroffene, bettlägerige Patienten gehören. Nicht übersehen werden dürfen jedoch auch die Menschen, die sich zwar schwer krank fühlen, aber dennoch arbeitsfähig sind, sich durch den Alltag kämpfen und sich fragen, woran sie eigentlich leiden.

Kein klar abgegrenztes Krankheitsbild

Das chronische Erschöpfungssyndrom ist oft eng verbunden mit der Fibromyalgie. Bei der Fibromyalgie leiden die Betroffenen unter Schmerzen, die über den gesamten Körper verteilt sind. Allerdings ist bei der Fibromyalgie der Zusammenhang mit einem Infekt oft nicht ganz so deutlich. Manche Betroffenen haben beide Diagnosen, manche kennen aber auch die Diagnose-Unsicherheiten, die bei der Odyssee von Arzt zu Arzt entstehen. Manche leiden die meiste Zeit des Jahres an ihren unerklärlichen Beschwerden, andere nur zu bestimmten Jahreszeiten. Schon bei kleinsten Aktivitäten sind sie erschöpft. Beim CFS fühlen sich die Betroffenen schwer krank, doch die Ärzte finden nichts. Die Stimmung ist meistens gedrückt.

Ähnlich wie bei einer Infektion können die Beschwerden nach einigen Tagen oder Wochen wieder nachlassen. Bei manchen Betroffenen verändert sich jedoch auch über Monate oder Jahre kaum etwas an ihrem Zustand. Manche Menschen leiden prinzipiell nach Infekten an CFS-artigen Beschwerden, andere sind zu bestimmten Jahreszeiten oder bei bestimmten Wetterlagen betroffen. Manche sehen auch einen Zusammenhang mit dem Monatszyklus (Hals- und Muskelschmerzen vor der Regel) und den Wechseljahren.

Manche Patienteninitiativen wehren sich gegen diese Sichtweise und wünschen sich eine klarere Abgrenzung. Ich denke jedoch, dass die Übergänge fließend sind und kenne aus der Praxis zahlreiche Menschen mit CFS-artigen Phasen, die äußerst belastend sind.

Eine Last mit bisher wenigen Antworten

Die Erkrankung ist weiterhin zu großen Teilen ein Rätsel. Sie zeigt sehr deutlich, wie eng Körper und Psyche miteinander verbunden sind. Patienteninitiativen beschreiben CFS als rein körperliche Erkrankung, da sich im Blutplasma eindeutige Hinweise zeigen. Doch auch das Blutplasma ist nicht unabhängig von den übrigen Vorgängen des Lebens. Die Hormone, das Immunsystem und die Muskulatur sind beteiligt.

Ein ganzes Forschungsgebiet, die Psychoneuroimmunologie, befasst sich mit diesen komplizierten Zusammenhängen. Dass Viren die Muskulatur angreifen können, kennt wohl jeder von grippalen Infekten: Manchmal kann man sich kaum bewegen, weil eben jeder Muskel schmerzt. Die Neigung zur Erkältung wiederum ist abhängig vom psychischen Wohlbefinden. Bei Schlafmangel und in Stresssituationen können manche Menschen förmlich spüren, wie ihr Immunsystem herunterfährt (Open-Window-Phänomen).

Interessant wäre die Frage, ob Frühtraumatisierungen und CFS im Erwachsenenalter zusammenhängen können.

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Dieser Beitrag erschien erstmals am 3.10.2015
Aktualisiert am 13.4.2023

2 thoughts on “Chronic Fatigue Syndrom (ME/CFS) – zwischen Körper und Psyche

  1. H. Laufs sagt:

    Aktuelle deutsche Artikel zum Thema:

    Medikament bringt Erschöpfungssyndrom zum Verschwinden
    http://www.spektrum.de/news/medikament-bringt-erschoepfungssyndrom-zum-verschwinden/1353694

    Von wegen psychosomatisch: Auffällige Zytokine als Biomarker des Chronischen Erschöpfungssyndroms
    http://www.medscapemedizin.de/artikelansicht/4903440

    Chronisches Erschöpfungs-Syndrom: Komischer Name, ernste Krankheit
    http://www.medscapemedizin.de/artikelansicht/4903355

  2. Sehr geehrte Frau Dr. Voos,

    Ihr Artikel zum CFS schein mir eher nicht viel mit der tasächlichen Erkrankung CFS nach G 93.3 zu tun zu haben.

    Es besteht eine große Diskrepanz zwischen der öffentlichen Wahrnehmung und der Lebensrealität der Patienten sowie entsprechender Fachliteratur. Die Erkrankung ME/CFS wird wahrgenommen als unspezifische Befindlichkeitsstörung mit Müdigkeit, als psychische Erkrankung mit Nähe zu Burnout oder Depressionen, und als leichte Erkrankung von meist beschränkter Dauer. Dies ist ein weitverbreitetes Bild in der Öffentlichkeit, aber auch bei vielen Ärzten und politischen Verantwortlichen.

    Tatsächlich ist ME/CFS eine schwere, behindernde Erkrankung, die auch zu Pflegebedürftigkeit führen kann. Die Lebensqualität ist oft niedriger als bei Multipler Sklerose und anderer schwerwiegenden Erkrankungen. In schweren Fällen ist die Erkrankung vergleichbar mit Krebs oder AIDS im Endstadium. 1/4 aller Patienten kann das Haus nicht mehr verlassen oder sind bettlägerig.Über die Hälfte der Patienten sind vermutlich arbeitsunfähig.

    Eine vor wenigen Monaten veröffentlichte Studie der Aalborg Universität Dänemark bestätigt ebenfalls, dass ME/CFS die niedrigste Lebensqualität aller 21 gemessenen Erkrankungen hat.

    Epidemiologische Studien gehen aktuell von 90.000 bis 330.000 betroffene Menschen in Deutschland aus. Dies entspricht 7,5 bis 30 Millionen Patienten weltweit. Durch sehr unterschiedliche Diagnosekriterien kommt es zu dieser noch sehr ungenauen Zahl. Je nach Anwendung wurden ganz unterschiedliche Patientenkohorten in Studien herangezogen. Die untere Zahl basiert auf die neuen ICC-Kriterien, bei der eine sehr restriktive Patientenauswahl verfolgt wurde um bisherige Vermengungen mit anderen Erkrankungen zu vermeiden.

    Kinder, Jugendliche & Erwachsene können gleichermaßen erkranken.

    Aktuell geht man davon aus, dass Frauen bis zu dreimal häufiger betroffen sind. ME/CFS tritt vor allem im Teenageralter und zwischen 30 und 40 Jahren auf. Diese Daten kommen aus den USA, Großbritannien und Norwegen, da es bisher keine einzige epidemiologische Studie aus Deutschland gibt.

    Die DEGAM und andere Fachgesellschaften legen ein biopsychisches Krankheitsmodell zugrunde. Dabei ist ME bereits seit 1969 als Erkrankung des Nervensystems von der Weltgesundheitsorganisation klassifiziert wurden. Der vor wenigen Wochen veröffentlichte Bericht des Robert Koch Institutes folgt ebenfalls diesem psychosomatischen Modell. Man erklärt zwar die Psychiatrisierung als kontraproduktiv, dann wird aber von einer Abwärtsspirale aus Krankheitsstress und veränderter Wahrnehmung gesprochen, bei der die Selbstwirksamkeit gestärkt werden müsste und Ängste gegenüber Aktivität abgebaut werden müssten.

    Im Kontrast dazu steht der Bericht des Institutes of Medicine IOM aus den USA, der ME/CFS als schwere, organische Erkrankung einstuft und dazu über 9000 Studien der letzten 60 Jahre ausgewertet hat. Hier finden Sie den Bericht: http://iom.nationalacademies.org/Reports/2015/ME-CFS.aspx

    Hier noch ein Link zu einem Bericht von Emily, die 2012 an den Folgen von ME/CFS verstorben ist http://www.lost-voices-stiftung.org/was-ist-me/betroffenberichte/bericht-emily/

    Auf unserer Homepage finden Sie neben den Bericht von Emiliy weitere umfangreiche Informationen und Studien zu ME/CFS.

    Eine ganz aktuelle Studie der Berliner Charité finden Sie hier:
    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26399744

    Für Rückfragen stehen wir ebenfalls gerne zur Verfügung.

    Mit freundlichen Grüßen

    Nicole Krüger
    Vorsitzende Lost Voices Stiftung
    Groß-Buchholzer Str. 36B
    30655 Hannover

    Tel. +49(0)511|2706751
    E-Mail nicole.krueger@lost-voices-stiftung.org
    http://www.lost-voices-stiftung.org

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