Belle Indifférence = schöne Gleichgültigkeit

Der Begriff „La belle indifférence“ wurde ursprünglich für die Hysterie verwendet. Auch heute taucht er bei der Konversionsstörung auf, wenn ein körperliches Symptom entsteht wie z.B. eine Lähmung oder eine (vorübergehende) Blindheit. Trotz offensichtlich schwerer körperlicher Beeinträchtigungen zeigen sich die Betroffenen kaum besorgt. Wir alle kennen vielleicht auch diese „schöne Gleichgültigkeit“, die uns befällt, wenn wir vom Tod eines nahen Angehörigen hören oder wenn wir in einer psychisch schwer aushaltbaren Situation stecken, z.B. wenn wir merken, dass wir gerade durch eine Prüfung fallen oder sehr kritisiert werden. Dieses Gefühl der Gefühllosigkeit ist angenehm und einlullend. Es ist wie ein Zuhause in einer unbarmherzigen Welt.

Die Belle indifférence kann einen regelrechten Suchtcharakter erlangen. Alkoholiker kennen dieses Gefühl ebenso wie depressive Menschen, wenn sie ihre Fenster verdunkeln und sich mitten am Tag schlafen legen.

Die schöne Gleichgültigkeit wirkt wie ein Schutz vor dem Zusammenbruch. Man wundert sich selbst über diesen Zustand und denkt: Das kann doch jetzt eigentlich nicht sein. Andere Menschen fragen einen vielleicht: „Sag mal, berührt Dich das überhaupt? Kommt das überhaupt bei Dir an?“ Menschen, die große Angst vor anderen Menschen haben und diese als übermächtig erleben, fühlen diese Gleichgültigkeit manchmal, wenn sie in Kontakt treten sollen mit den anderen, wenn sie für sich einstehen sollen, wenn sie „den Mund aufmachen“ und ihre Meinung sagen sollen. Dann kann es sein wie ein Abrutschen in diesen Zustand der „Belle indifférence“.

Böses Erwachen

Jeder, der diese Zustände der einlullenden Gleichgültigkeit gut kennt, weiß, dass später oft ein böses Erwachen kommt mit starker Wut und Verzweiflung. Schmerzende Resignation, Bedauern, Bereuen können hinzu kommen. Es ist, als bliebe einem nichts anderes, um auf eine neue Gelegenheit zu warten, in der man es endlich besser machen kann. Kommt diese neue Gelegenheit, ist es jedoch schnell wieder aus mit Mut, Kraft und Zuversicht. Eh man es sich versieht, legt sich die Gleichgültigkeit wie ein Schleier um einen.

In das Reich der „Tatlosen“ und Gleichgültigen tritt Dante mit Vergil ein in der „Göttlichen Komödie“. Die Menschen an diesem Ort werden gequält von Wespen und Bremsen (3. Gesang: Die Höllenpforte. Youtube: „Lasst, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren“). Dies erinnert vielleicht an das Hautjucken, das sich in angespannten Leerlaufsituationen ergeben kann.

Der Unterschied zum Gefühl der Geborgenheit liegt bei der Belle Indifférence darin, dass es eben zu diesem „bösen Erwachen“ kommt. Schon während der Gleichgültigkeit kommen Zweifel auf, ob das jetzt „normal“ oder angemessen ist. Ein Gefühl der guten Gleichgültigkeit kann auch unter der Geburt oder im Sterben auftauchen, wo es sinnvoll ist, weil man loslassen kann. Dann ist es eher „Hingabe“ oder ein gutes „Sich-dem-Geschehen-Überlassen“ – man kann dann loslassen.

Wer ist betroffen?

Betroffen sind oft Menschen, die oft das Gefühl hatten: „Es hat ja eh keinen Zweck.“ Auch frühe Körpererfahrungen können eine Rolle spieln, z.B. möglicherweise die Erfahrung, dass man als Baby lange schreiend alleine gelassen oder körperlich gequält wurde (siehe meine Beiträge zu den möglichen Folgen der Vojta-Therapie bei Babys). Auch die vorgeburtlichen Erfahrungen werden zunehmend erforscht – vielleicht spielt die frühe Erfahrung, durch einen Kaiserschnitt entbunden worden zu sein, eine Rolle, als das Baby „dachte“: „Wenn ich mit dieser Nabelschnur um den Hals aktiv werde, werde ich ersticken.“

Die Betroffenen haben oft nur ein geringes Gefühl von Selbstwirksamkeit. Starke Ohnmachtserfahrungen in der frühen Kindheit sowie eine übermächtige Mutter oder ein überwältigender Vater können dazu geführt haben, dass man schon bei kleinsten Aufgaben oder Konfrontationen resigniert, weil innerlich die Übermacht auftaucht, vor der man immer wieder erneut zugrunde geht.

Was hilft?

Körpererfahrungen aller Art helfen wie z.B. Yoga, TaiChi, Schwimmen, Reiten, Kampfsport, Tanzen etc. Aber auch die Wiederbelebung von Sinneserfahrungen können wieder herausführen aus der Gleichgültigkeit – dazu kann schöne Musik gehören, die besonders wirksam ist, wenn sie überraschend auftaucht, z.B. im Radio. Oft hilft es auch, sich aureichend auszuruhen.

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