
Wenn ein anderer zufrieden wirkt, während wir uns in innerer Aufruhr fühlen, kann das sehr schwer auszuhalten sein. Manchmal spüren wir dann den Drang, den Frieden des anderen zu stören und den anderen zu terrorisieren. Es kann jedoch auch sein, dass wir selbst manchmal zufrieden sind und ein Teil von uns selbst unsere eigene Zufriedenheit angreift: Wir schlafen nicht mehr, wir sind unruhig, haben Schmerzen. Das ist sehr schwer zu verstehen. Es ist manchmal, als ob unser strenges Über-Ich unser Ich lahmlegt, sodass wir uns leblos und verzweifelt fühlen, obwohl doch sich doch gerade Nähe zu anderen und Erfolge im Beruf aufbauten. Der Psychoanalytiker Wilfred Bion prägte den Begriff „Angriff auf Verbindungen“ (Attacks on Liniking). Dieser Mechanismus kann sich als Folge von frühen Problemen mit der Mutter einstellen.
Die Mutter nährt uns psychisch und körperlich
Das Baby, das die Brust der Mutter sucht, verbindet sich mit ihr. Es verbindet sich nicht nur körperlich, indem es die „gute Milch“ erhält, sondern auch psychisch. Ein wichtiger psychischer Vorgang, der zwischen Mutter und Kind stattfindet, ist die „projektive Identifikation“. Das Kind spürt z.B. „böse Anteile“ in sich wie Neid, Angst oder Wut und zeigt der Mutter diese Gefühle. Eine ausgeglichene, selbst gehaltene Mutter, kann diese Regungen aufnehmen, darüber nachdenken und sie verdauen. Dadurch mildert sie den furchtbaren Tumult, den das Baby in sich spürt. Die Mutter beruhigt das Baby, indem sie den psychischen Austausch zulässt.
Eine gestresste, verlassene, sich allein fühlende Mutter kann diese Art der Kommunikation oft nur schlecht zulassen. Vielleicht lässt sie das Baby schreien, lässt es allein mit seinem quälenden, „beißenden“ Hunger, vielleicht schreit sie es an oder übt Gewalt aus. Dann erhält das Baby symbolisch gesehen „verdorbene Milch“ von der Mutter. Möglicherweise legt die Mutter ihre eigenen Ängste und Aggressionen in das Baby hinein, sieht im Baby nur das böse Monster, verabscheut das Baby, fühlt sich gefangen, hasst das Baby etc. Wird das Baby erwachsen, kann daraus eine paranoide Psychose entstehen – der Betroffene befürchtet immer wieder, von nahen Bezugspersonen vergiftet zu werden.
Das Baby lernt: Anstatt dass es ihm besser geht, wenn es sich mit der Mutter verbindet, geht es ihm nur noch schlechter, weil die Mutter seine Bedürfnisse nicht erfüllen kann.
Manchmal wollen wir aktiv unser Verstehen verhindern, weil die Erkenntnis zu schmerzlich wäre.
Ein weiterer wichtiger Vorgang in der Kind-Mutter-Kommunikation eine Rolle: Das Baby beneidet die Mutter darum, dass sie eine Brust hat (siehe Literatur von Melanie Klein). Die Mutter scheint offensichtlich satt zu sein, hat in der Vorstellung des Babys ihre eigene Nahrungsquelle am Körper, während das Baby selbst Hunger leidet. Das Baby spürt seine Abhängigkeit: Es braucht die Mutter, um satt zu werden. Wenn es nun auf eine Mutter trifft, die selbst erschöpft, psychisch hungrig und aggressiv ist, dann findet ein früher psychischer Kampf zwischen Mutter und Kind statt.
Die Ruhe und Sattheit des anderen löst Neid in uns aus
Das Kind spürt ungeheuren Mangel, während die Mutter emotional ausgeglichen ist. Dieser Neid kann sehr groß und zerstörerisch werden. Wenn wir an unsere täglichen Beziehungen denken, kennen wir das vielleicht: Wir selbst liegen nachts wach, während andere schlafen können. Uns selbst geht es schlecht, während andere psychisch satt und sorglos erscheinen. Das ruft in uns teilweise schwer auszuhaltende Gefühle hervor. Es ist manchmal, als wollten wir dann den anderen terrorisieren, nur, damit er versteht, wie wir uns gerade fühlen. Wir wollen die Ruhe des anderen kaputtmachen.
Im besten Fall spüren wir unsere Angriffslust und meditieren darüber oder wir gehen dem anderen aus dem Weg, bis es uns wieder besser geht.
Wenn die Beziehung zur Mutter schon sehr früh sehr gestört war, dann versucht das Baby bzw. das heranwachsende Kind mit der Zeit, die Verbindung zu ihr zu vermeiden. Es vermeidet dann möglicherweise auch, an die Mutter zu denken. Schließlich vermeidet es, sich an Früheres zu erinnern, weil alles so schmerzlich ist. Dazu kann auch gehören, dass der Betroffene es vermeidet, enge Beziehungen einzugehen, weil sie ihn immer an die frühen schlechten Erfahrungen erinnern. Die Verbindung zu anderen kann verschiedenste Symptome hervorrufen wie unaushaltbare Ängste, Zwangsgrübeleien, Verzweiflung und Depression.
Verbindungen attackieren, Verbindungen suchen
Doch nicht nur die konkrete äußere Verbindung wird vermieden oder manchmal plötzlich gekappt – auch innere Verbindungen werden angegriffen. Um sich selbst besser verstehen zu können, ist es wichtig, innere Verbindungen herzustellen, z.B. Gefühle mit Gedanken, Erinnerungen mit jetzigen Situationen oder Wünsche und Vorstellungen mit Realitäten. In Psychoanalysen wird der „Widerstand“ der Patienten gegen Verbindungen, die Sinn ergeben könnten, manchmal deutlich spürbar. Auch vermeiden die Patienten die emotionale Verbindung zum Analytiker und entwickeln Symptome, sobald die Verbindung droht, näher zu werden.
Ein sehr komplizierter Vorgang kann in Gang kommen, wenn wir selbst eine „schlechte Mutter“ hatten und es uns selbst irgendwann gut geht. Wenn wir dann zur Ruhe kommen, wenn wir dann etwas haben, was wir uns immer ersehnten und was die eigene Mutter nicht hatte, dann kann es passieren, dass wir quasi „neidisch auf uns selbst“ werden.
Ein neidischer Teil in uns selbst oder auch die „neidische Mutter in uns selbst“ greift uns dann an. Sobald es uns gut geht, passiert etwas in unserer Seele und in unserem Körper, was zur Folge hat, dass es uns schlecht geht. Wir schlafen nicht mehr, sind verzweifelt, verstehen die Welt nicht mehr. Wir scheinen darauf so wenig Einfluss zu haben wie auf unsere Träume und doch sind wir es irgendwie selbst, die wir das „machen“. Es sind Erinnerungen und psychische Kräfte, die wir mal weniger mal mehr kontrollieren, lassen oder beobachten können.
Oft kommen die bedrohlichen Mechanismen in Gang, sobald uns ein anderer näher kommt.
Sobald Betroffene verstehen, was sie da machen und warum sie Verbindungen verhindern oder aktiv angreifen, haben sie ein wichtiges Handwerkszeug in der Hand. Den „Angriff auf die Verbindungen“ zu entdecken, ist zwar nicht immer leicht. Diese Theorie kann jedoch ein sehr wertvoller Helfer sein, um solche Mechanismen zu erkennen. Wenn es den Betroffenen gelingt, diese Mechanismen zu beobachten und ihre Angriffe sein zu lassen, können sich mit der Zeit sehr quälende Symptome verringern.
Verwandte Artikel in diesem Blog:
Literatur:
Bion WR:
Attacks on Linking
Originally published in the International Journal of Psycho-Analysis in 1959
Alicia Jean Mireles Christoff:
Linking with W. R. Bion
Published online by Cambridge University Press: 07 December 2018
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Betrachtungen zur Konzeption des Neids bei Melanie Klein.
Forum Psychoanal 25, 119–135 (2009)
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https://link.springer.com/article/10.1007%2Fs00451-009-0007-y
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www.jstor.org/stable/778742. Accessed 28 May 2021
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Perinatal Loss and Breakdown
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Copyright Year 2000
https://www.routledge.com/Spilt-Milk-Perinatal-Loss-and-Breakdown/Raphael-Leff/p/book/9780953710515