
Der Satz „Ich mache mir Sorgen um Sie“ ist sicher einer der sensibelsten in Psychotherapie und Psychoanalyse überhaupt. „Ich mache mir Sorgen um Sie“ kann so vieles heißen. Es kann anzeigen, dass eine bedeutsame Bindung zwischen Patient und Therapeut entstanden ist. Manche Patienten erleben es vielleicht zum ersten Mal, dass sich überhaupt jemand um sie sorgt. Hier kann der Satz eine sogenannte „korrigierende emotionale Erfahrung“ ermöglichen. Er kann jedoch auch zutiefst verunsichern und auf sehr fruchtlose Weise beunruhigen. Der Satz kann das Gefühl auslösen, dass etwas Schlimmes passieren wird, ohne dass irgendjemand hier noch die Zügel in der Hand hat.
Wenn Zutrauen fehlt
„Ich mache mir Sorgen um Sie“ kann auch heißen: „Ich traue Ihnen nicht zu, dass der Weg, den Sie gerade für sich suchen, zu etwas Sinnvollem führt.“ Oder existenzieller: „Ich traue Ihnen nicht zu, das hier zu überleben.“ Oder: „Mir reicht’s jetzt mit Ihren trüben Gedanken und Ihrem schrecklichen Erleben, es wird mir gerade zu viel und macht mir Angst. Ich kann das nicht mehr halten.“
Der Satz „Ich mache mir Sorgen um Sie“ kann den Patienten unter Druck setzen und ihn daran hindern, zukünftig zu sagen, was er wirklich denkt und fühlt. Er kann das Gefühl von Hilflosigkeit verstärken. Der Patient kann das Gefühl haben, etwas Negatives im Analytiker ausgelöst oder ihn gar mit seinen eigenen Nöten angesteckt zu haben. Es kann dann das Gefühl von „Potenzierung“ entstehen: „Wenn zwei sich Sorgen machen, muss es wirklich sehr schlimm sein“, könnte der Gedanke lauten.
Dieser Satz macht mir Sorgen
Viele Patienten empfinden den Satz „Ich mache mir Sorgen um Sie“ als höchst bedrohlich und irritierend. Manchmal ist er ein Ausdruck des Nicht-Verstehens. Dem Patienten ist jedoch das Gefühl sehr wichtig, vom Analytiker verstanden zu werden. Manche Psychotherapeuten sprechen diesen Satz zum Beispiel aus, wenn der Patient sich selbst verletzt. Doch Selbstverletzung mehr ist dem Patienten geholfen, wenn der Analytiker den inneren Druck versteht, unter dem der Patient steht. Selbstverletzung kann auch ein Versuch der Selbstfürsorge sein – wenn der Therapeut die Zusammenhänge genauer versteht, spricht er den Satz „Ich mache mir Sorgen um Sie“ eher nicht mehr aus.
„Und dann ging ich zu weit – wohin sonst hätte ich auch gehen sollen?“ Rüdiger Nehberg. Er sagt auf seiner Website auch: „Dem Mut ist keine Gefahr gewachsen.“
Es rutscht ab!
Auch wenn der Analytiker befürchtet, eine „maligne Regression“ zu erkennen, liegt dieser Satz vielleicht manchmal nahe. Hier würde der Satz aber auch heißen: „Ich mache mir große Sorgen um mich selbst – ich weiß nicht, ob mir diese Analyse hier nicht entgleitet.“ Dann hat die Sorge nicht nur mit dem Patienten zu tun, sondern auch mit der Angst vor der eigenen Unfähigkeit, vor dem eigenen Nicht-Verstehen und dem eigenen „Versagen“. Dieser Satz kann dann dazu dienen, die eigenen Schuldgefühle wegzuschieben. Die Schuldgefühle werden verursacht durch das Gefühl, den Überblick zu verlieren und nicht besser „helfen“ zu können.
„Ich mache mir Sorgen um Sie“ soll heißen: „Werd‘ doch mal wach!“ Doch wer im Alptraum gefangen ist, kann nicht einfach so wach werden.
Bleib bei mir!
Der Satz „Ich mache mir Sorgen um Sie“ kann auch ein Ausdruck von Aggression sein. Er kann heißen: „Hast Du es denn immer noch nicht kapiert? Konnte ich immer noch keinen guten Einfluss auf Dich nehmen? Hast Du immer noch nicht den Weg eingeschlagen, den ich mir für Dich vorstelle? Kann das Leben wirklich so eine Hilflosigkeit auslösen?“ Wenn sich jemand Sorgen um mich macht, heißt es, dass er mir wenig zutraut. Es kann sich auch so anfühlen, als wollte mich jemand an seiner Leine halten und als hätte er Angst vor meinen unbekannten Wegen.
Schon an diesem einen Satz zeigt sich, wie wichtig es ist, dass sich der Therapeut/Analytiker gut kennt und weiß, wann und warum er diesen Satz einsetzt. Es lohnt sich also zu fragen: Wie würde der Satz „Ich mache mir Sorgen um Sie!“ auf mich selbst wirken? .
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 1.12.2018
Aktualisiert am 5.10.2021
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