Der Patient hat Familie, hat Kinder, obwohl man selbst keine hat. Er spricht mehrere Sprachen, hat schönere Beine, eine bessere Gesundheit, mehr Geld, weniger Frühtraumatisierungen und ist jünger als man selbst. Vor dem Psychoanalytiker macht der Neid nicht Halt. Und es ist oft sehr schwierig, in den neidischen Momenten bei sich zu bleiben und die Situation genau zu analysieren: Was ist eigener, verständlicher Neid? Wo spüre ich als Analytiker den Schmerz des eigenen Mangels? Wo verstärkt der Patient meinen Neid? „Macht“ der Patient mich zusätzlich neidisch? Reagiere ich sadistisch aufgrund meines Neides?
Gefangen
Manchmal ist man als Analytiker in der neidischen Situation wie gefangen und findet erst später wieder heraus. Dann ist es besonders wichtig, nochmal im Nachhinein über die Stunde nachzudenken. Neid schmerzt und es ist schwierig, darüber nachzudenken. Doch wer schon öfter bewusst erfahren hat, wie zerstörerisch Neid sein kann, der findet vielleicht eher Wege, ihn nicht überhand nehmen zu lassen. Neid ist eine Reaktion auf den eigenen Schmerz – und eigener Schmerz will gehalten werden. Ein verständnisvoller Blick auf sich selbst kann da manchmal sehr helfen.
Chronischer Neid
In der Analyse kann man vor den Problemen nicht weglaufen. Der Patient, auf den man neidisch ist, kommt jeden Tag wieder. Er macht das, worauf wir neidisch sind, vielleicht in fast jeder Stunde zum Thema. Das kann sich wie eine Strapaze anfühlen, wie eine wiederkehrende Qual. Doch man ist vielleicht schon geübt: In der eigenen Lehranalyse gibt es viele Gründe, um auf den Lehranalytiker neidisch zu sein. Auch ihn sieht man fast täglich und auch hier beginnt bei jedem Wiedersehen der Schmerz auf’s Neue. Und dazu sind Lehranalysen ja da: um sich selbst mit seinem Neid und seinem Mangel kennenzulernen.
Neid kann man manchmal überwinden, indem man sich klarmacht, wie zerstörerisch er sein kann. „Das will ich nicht, ich will’s mir nicht kaputtmachen“, kann man sich sagen. Manchmal jedenfalls.
Geübt
In der Lehranalyse und in der Analyse mit Patienten erfährt man aber auch: Diese neidische Situation kann zwar lange anhalten oder chronisch mitschwingen, aber der Neid kann auch wieder anderen Gefühlen weichen. Wie so oft kann man die Erfahrung machen, dass sich Gefühle und das Innenleben entwickeln. Es ist viel wert, wenn man sich als Analytiker intensiv mit dem eigenen Neid auseinandergesetzt hat. Wer seinen Neid verdrängt oder nicht wahrhaben will, gerät mitunter in Kämpfe, die Unzufriedenheit hervorrufen. Gut wahrgenommener und vielleicht verarbeiteter Neid hingegen kann zu einem besseren Umgang mit sich selbst und dem Patienten führen.
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