Nicht wenige Menschen haben das Gefühl, ekelig zu sein. Oft fing dieses Gefühl in der Pubertät an. Da bekam man Akne, fing an, nach Schweiß zu riechen, Speckröllchen anzusetzen, „ekelige Haare“ und Mundgeruch zu bekommen. Lieblose Eltern haben durch ihre kritischen Blicke dafür gesorgt, dass sich das Gefühl von Ekel verstärkte. Frauen, die darunter leiden, sich ekelig zu finden, hatten oft Mütter, die sich selbst als Frau nicht schätzten und sich nicht gut pflegten. Oft kamen die Mütter oder Väter den Kindern mit ihrem Körper viel zu nah.
Der Bauch
Schaut die reife Frau auf ihren Bauch, erkennt sie denselben „ekeligen Bauch“ ihrer Mutter wieder. Sie kam damals aus dem Bauch der Mutter – dieses Gefühl der Nähe ist heute ekelig. Der dicke Mann fühlt sich nicht als Mann und schämt sich für sein Dicksein. Die Speckrollen verdecken sein Geschlechtsteil. Wenn er sich im Spiegel anschaut, bekommt er leicht das Gefühl oder die (unbewusste) Phantasie, im Körper der Mutter oder des dicken Vaters zu stecken.
„Ich habe einen dicken Bauch“ heißt auch: „Ich bin ein dicker Bauch“ oder „Ich selbst stecke in meinem Bauch.“
Besonders magersüchtige Mädchen wollen verhindern, so weich und schwabbelig zu werden wie die Mutter. Sie wollen nicht so dick und schwanger werden wie die Mutter. Jedes Gramm Fett wird als ekelig empfunden.
Ekeliges wird eher mit Weichem, Flüssigem und flüchtigem Geruch in Verbindung gebracht als mit Hartem wie z.B. Stein, Sand oder Knochen.
Die Rolle der Eltern
Menschen, die darunter leiden, sich ekelig zu fühlen, hatten oft Eltern, die ihre Grenzen nicht beachteten. Es ist auch möglich, dass sich die Eltern in frühester Kindheit vor ihrem Kind ekelten, z.B. beim Wickeln. Dann bekam das Kind die abweisenden Blicke und Gesichtsausdrücke sowie die lieblosen Berührungen und hektischen Bewegungen mit. Vielleicht waren die Eltern alkoholkrank, sodass sie nicht Herr über sich selbst waren. Auch das ruft Ekelgefühle hervor. Ebenso ist die Wortwahl der Eltern in der Kindheit wichtig, denn auch „dreckige Witze“ und eine sexualisierte Sprache können Ekelgefühle auslösen.
Ob wir uns als ekelig empfinden, hängt auch von den Blicken ab, mit welchen uns die Eltern anschauten.
Sexueller Missbrauch und Traumatisierungen als Baby
Mädchen und Jungen, die sexuellen Missbrauch oder Traumatisierungen im präverbalen Berich erlebten, leiden besonders unter dem Gefühl, ekelig zu sein.
Manche Wissenschaftler davon aus, dass das Problem in den Hautempfindungen liegt. In einem verhaltenstherapeutischen Programm (Jung et al. 2011) wird den Betroffenen verdeutlicht, wie oft ihre Haut sich schon seit dem Missbrauch erneuert hat. Mir scheint jedoch, dass das Problem nicht nur auf der Haut liegt, sondern besonders auch in den Muskeln. Die schmierigen Berührungen, Bedrängungen und „Quetschungen“, die der übergriffige Vater/die übergriffige Mutter dem Kind angetan haben, sind in den Propriozeptoren der Muskeln abgespeichert. Meiner Meinung nach kann hier besonders Yoga helfen, denn hier lassen sich die Muskeln bewusst neu entdecken und spüren.
Waschzwänge
Manche Menschen, die sich selbst ekelig finden, können einen beeindruckenden Putz- und Waschzwang entwickeln. Doch alles Wischen und Putzen scheint nicht zu helfen. Der Ekel lässt sich nicht wegwischen – auch nicht durch Deos, Zahnbürsten und Hautreinigungs-Mittel. Was die Betroffenen wirklich wegwischen wollen, sind Gedanken, Erinnerungen und unangenehme Körpergefühle. Sie sind schier verzweifelt.
Interessant dabei ist auch, dass Menschen mit einer hohen Neigung zu Ekel neue Ereignisse als traumatischer und invasiver als andere Menschen erleben (siehe Studie „Disgust Propensity as a Predictor of Intrusive Cognitions Following a Distressing Film“ von Jessica Bomyea und Nader Amir, 2006).
Was hilft?
Manchmal wird den Betroffenen vorgemacht, es ließe sich schnell ein Weg aus der Misere finden. Doch gutes Zureden und neue Kleidung reichen nicht. Was den Betroffenen oft fehlt, ist ein inneres Bild von einem nicht-ekeligen Vater/einer nicht-ekeligen Mutter. Es fehlt ihnen das Gefühl, dass ihr Körper ihr eigener ist. Es fehlt ihnen das Bild eines integeren Vaters, einer integeren Mutter, die das Kind respektieren und sich nicht vor ihm ekeln. Was die Betroffenen brauchen, sind neue Repräsentanzen, also enge Beziehungen zu Menschen, mit denen sie neue Erfahrungen machen können.
Unbewusst ungepflegt. Manche Menschen, die sich vor sich selbst ekeln, tun bewusst alles, um das zu ändern. Doch manchmal sind sie auf eine merkwürdige Weise doch „ungepflegt“. Unbewusst verhindern sie die Veränderung. Sie vernachlässigen ihr Äußeres. Sie essen doch zu viel, um vielleicht so zu bleiben, wie sie sind. Sie kleiden sich vielleicht gut, pflegen aber ihren Körper schlecht. Sie vernachlässigen die Zahnpflege oder laufen immer wieder, besonders zu Hause, in „ollen Klamotten“ herum. Wichtig ist es, sich auch im stillen Kämmerlein zu Hause zu würdigen, löchrige Kleidung wegzuwerfen und sich auch zu Hause so zu kleiden, dass man das Gefühl hat, in einen „guten Stoff“ gehüllt zu sein.
Der Körpergeruch spielt eine besondere Rolle
Wer gestresst ist, riecht schneller. Aber auch die Ernährung spielt eine große Rolle beim Körpergeruch. Gesunde Ernährung dient nicht nur dem Körper, sondern auch dem psychischen Wohlbefinden und der Entwicklung eines besseren Körpergeruchs. Yoga-Atemübungen (Pranayama) können die Nase sensibilisieren und gleichzeitig zu einem besseren Körpergeruch führen.
„Inter faeces et urinam nascimur“ – zwischen Fäkalien und Urin werden wir geboren. Bernardo di Chiaravalle (1090-1153)
Neue Vorbilder
Bei sehr hartnäckigem Ekel vor sich selbst kann eine Psychoanalyse, besonders auch in Kombination mit einem Sport helfen. Hier baut man über lange Zeit eine enge Beziehung zum Analytiker/zur Analytikerin auf, sodass man die Chance hat, ein neues inneres Bild von Beziehungen und vom eigenen Körper zu entwickeln.
Neue Vorbilder können zeigen, wie man die Grenzen in Beziehungen einhält. Wer von der Mutter viel Härte und Grenzüberschreitung erfahren hat, weiß kaum, wie schön und heilend es sich anfühlt, wenn eine liebevolle Mutter einmal aufmunternd sagt: „Du Süße!“ Die Vorstellung, die eigene Mutter würde so etwas sagen, ruft oft Ekel hervor.
Schuld, Scham und schlechtes Gewissen
Wer „von unten“ kommt, „aus dem Dreck“, dem fällt es oft schwer, selbst neue Wege einzuschlagen. Zu sehr ist man mit dem Alten identifiziert. Schraubt man seine Ansprüche hoch und versucht, bessere Welten zu erreichen, kommt es oft zu Schuldgefühlen und schlechtem Gewissen. Werden die (inneren) Eltern da nicht neidisch? Darf man das? Darf man integer sein? Oder ist man gleich arrogant? Ist es nicht gemein, die Familie dort zurückzulassen, wo sie ist? Solche Fragen können auftauchen. Die Trennung von Altbekanntem ist sehr schwer zu vollziehen und oft nur in winzig kleinen Schritten möglich.
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Link:
Jung, Kerstin et al. (2011):
Das Gefühl des Beschmutztseins bei erwachsenen Opfern sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend.
Verhaltenshterapie 2011; 21: 247-253
DOI: 10.1159/000333389
www.karger.com/Article/Pdf/333389
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 13.5.2015
Aktualisiert am 23.2.2021
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