Medikamente sind Beziehungsmittel

Die Compliance (= die „Mitarbeit“, man könnte auch der „Gehorsam“ sagen) der Patienten sei nicht gut, klagen viele Ärzte. Es würden zu viele Medikamente verschrieben und weggeworfen, schreiben die Zeitungen. „Der hat mir noch nicht mal was verschrieben!“, beschwert sich ein Patient. Der Umgang mit den Medikamenten zeigt eines direkt und deutlich: Die Beziehung zwischen Arzt und Patient steht im Zentrum. So „gestört“ wie die Beziehung zwischen Arzt und Patient im hektischen Alltag heute oft ist, so gestört ist auch die Medikamenteneinnahme, könnte man sagen. Es wird stark unterschätzt, wie sehr ein Medikament auch ein „Beziehungsmittel“ zwischen Arzt und Patient ist.

Besteht ein Vertraunsverhältnis zwischen Arzt und Patient, so wird das Medikament oft gerne genommen und es wirkt dann auch gut. In einer ehrlichen Beziehung traut sich der Patient jedoch häufig auch, offen „Nein“ zum Medikament zu sagen, anstatt es heimlich einfach nicht zu nehmen.

Ich glaube nicht an Homöopathie. Doch vor einigen Jahren ergab die Vorsorgeuntersuchung bei der Frauenärztin eine Dysplasie am Muntermund. „Die nächste Stufe ist Krebs“, erklärte mir die Ärztin telefonisch und kurz angebunden an einem Freitag-Nachmittag. Das müsse flott operiert werden. Nach einem unruhigen Wochenende staunte ich dann über mich selbst, denn ich suchte am Montag einen Gynäkologen auf, der sich auf Homöopathie spezialisiert hatte. Die einstündige Fahrt machte mir nichts aus. In der Praxis im Grünen genoss ich die Ruhe und die wohltuende Atmosphäre.

Nach einer Stunde Gespräch entschied sich der Frauenarzt für ein homöopathisches Mittel. Wie ein kleines Heiligtum schleppte ich die Kügelchen mit mir nach Hause. Ich nahm sie alle paar Stunden sehr gewissenhaft ein und ging im Abstand von wenigen Wochen zu Kontrolluntersuchungen zum Frauenarzt.

Zwei Jahre dauerte es, bis die Dysplasie auf einmal völlig verschwunden war. Jetzt, da ich wieder ganz gesund bin, frage ich mich, ob die Pillen nun eine Wirkung hatten, ob die Natur sich selbst half oder ob die heilsame und vertrauensvolle Beziehung zu diesem Arzt an der Genesung beteiligt war.

Wohltuende innere Bilder

Jedes Mal, wenn ich die Kügelchen einnahm, kamen mir die Bilder der ruhigen Praxis, der fürsorglichen Anteilnahme dieses Arztes und seiner aufmunternden Sprechstundenhilfe. Jedes Mal, wenn ich diese Kügelchen einnahm, fühlte ich mich gut umsorgt. Ich hatte quasi „ein Stück Arzt“ mit nach Hause genommen. Das Gute, das Wohlwollende, war in diesem Medikament enthalten, so mein Gefühl.

Ich glaube, so ein Medikament ist einem „Übergangsobjekt“ sehr ähnlich: So, wie das Schnüffeltuch das kleine Kind an die Mutter erinnert und ihm Geborgenheit schenkt, so bekommt das Medikament vom guten Arzt für den Patienten eine große Bedeutung. Je kränker der Patient ist, je mehr Sorgen er sich macht, desto größer ist die Bedeutsamkeit der Kügelchen, Tabletten oder Tropfen. Dieses Zusammenspiel von Vertrauen, Glauben an das Medikament und „echter Wirkung“ kann zur Genesung beitragen. Und manchmal ist es eben auch besonders hilfreich, ganz auf Medikamente zu verzichten und zusammen mit dem gewissenhaften Arzt zu beobachten und zu warten. Ich wusste übrigens immer, dass dieser Arzt sofort zu einer Operation geraten hätte, wenn er ein weiteres Abwarten wirklich nicht mehr hätte vertreten können.

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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 15.2.2013
Aktualisiert am 25.7.2021

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