108 Wie wird man Psychoanalytiker? Die eigene Abhängigkeit anerkennen

Wer Psychoanalytiker*in wird (und ist und bleibt), der wird (ist und bleibt) stets Mensch. Doch gerade in der Ausbildung gibt es viele Abhängigkeiten: vom Supervisor, von den Kostenzusagen, von der Treue der Patienten, von der eigenen Gesundheit und dem Funktionieren des Autos. Vielleicht kämpfen wir in der Ausbildung gegen diese Abhängigkeiten an. „Ich kann doch den Patienten nicht für meine Ausbildungszwecke festhalten“, denken wir und geben uns besonders „loslassend“.

„Ich darf dem Patienten nicht zeigen, wie abhängig ich auch finanziell von ihm bin“, denken wir und verzichten großzügig auf das Ausfallhonorar, weil der Patient in Not ist. Wir nicken auch noch hoffend, wenn Selbstzahler*innen mit ihren Zahlungen in Verzug sind. „Der Patient/die Patientin soll bloß nicht merken, wie abhängig wir von ihm/ihr sind!“, so der Gedanke.

Und je größer die Abhängigkeit, umso stärker unter Umständen die Reaktionsbildung.

Aus diesen Ängsten und Gedanken heraus können sich zahlreiche Verstrickungen ergeben. Der Patient wird derjenige, „der die Macht hat“. Doch eines Tages, vielleicht wenn es für uns zu schlimm wird, wachen wir auf. Wir merken: Ja, wir sind abhängig. Wir haben versucht, es vor dem Patienten zu vertuschen. Wir haben uns verboten, zu denken und unsere Verzweiflung zu fühlen.

Und dann können wir uns wieder erlauben, unsere Abhängigkeiten zu denken, zu fühlen und möglicherweise auch in geeigneter Form mit dem Patienten zu thematisieren („Also hier stellen Sie vielleicht fest, dass ich auch abhängig von Ihnen bin …“). Selbst, wenn wir das Thema nicht zur Sprache bringen, so merkt der Patient doch oft, wenn wir unsere innere Haltung verändert haben.

Wenn wir uns wieder erlauben, uns als abhängig zu erleben, tritt eine gemeinsame Entspannung ein. Es gibt dann nicht mehr „den da oben und den da unten“, sondern beide merken wieder, dass sie Menschen sind, die von anderen abhängig sind.

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