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Alleinerziehende Akademikerinnen haben ganz eigene Probleme

Schichtspezifisches Alleinerziehen – gibt es das? Ärztinnen, Lehrerinnen, Anwältinnen und hochqualifizierte Frauen anderer Berufe teilen mit Alleinerziehenden, die einen niedrigeren Bildungsgrad haben, viele Probleme. Und doch haben Akademikerinnen – auch wenn sie privilegiert sind – mit ganz eigenen Schwierigkeiten zu kämpfen. Vor allem sind Akademikerinnen auf eine gewisse Weise oft besonders einsam. Im Jahr 2019 hatten etwa 1,2% der Menschen in Deutschland eine Promotion (Statistisches Bundesamt, Destatis.de) – da kommen alleinerziehende Akademikerinnen schon aus rein statistischen Gründen seltener ins Gespräch mit anderen, die einen ähnlichen Hintergrund haben.

Meiner Erfahrung nach bleiben alleinerziehende Akademikerinnen sehr viel länger allein als Alleinerziehende mit anderen Bildungsabschlüssen. Während gebildete Männer relativ häufig auch weniger gebildete Frauen zur Partnerin wählen, fühlen sich gebildete Frauen in sehr vielen Fällen nur mit einem Partner eines ähnlichen Bildungsstandes wohl und Studien geben ihnen recht: Beziehungen, in denen beide Partner gebildet sind, gehen seltener in die Brüche (Schwartz & Han, 2014).

Akademikerinnen, die einen gebildeten Partner suchen, werden gerade im gebärfähigen Alter nur schwer fündig. Die geringe Kinderzahl unter Akademikerinnen ist oft schlichtweg darauf zurückzuführen, dass sie keinen passenden Partner finden.

Über 15 Jahre lang Single

Ein Single-Leben von 15 Jahren – also während der Jahre, in denen die Kinder groß werden – ist meiner Erfahrung nach bei Akademikerinnen keine Seltenheit. Akademikerinnen, deren Kinder noch klein sind, kehren meistens enttäuscht von Alleinerziehenden-Treffs zurück. Die Probleme, die dort besprochen werden, sind eben nicht die Probleme der Akademikerinnen, auch wenn so manche Akademikerin mit großen Geldsorgen kämpft.

Häufig können berufliche Themen nicht besprochen werden, denn die Fragen, die Betroffene haben, sind speziell: Wie schafft man die ärztliche oder psychotherapeutische Weiterbildung mit Kind, wie die Promotion? In welcher Klinik kann man als Alleinerziehende gut arbeiten? Wie lassen sich Abendseminare, Kongresse und Vortragsreisen organisieren?

Auch in Alltagsfragen stehen viele Betroffene alleine da, denn auch diese Fragen sind speziell: Wie gestaltet sich die Suche nach einem Partner, mit dem man sich wirklich austauschen kann? „Ich habe kein Problem damit , mit einer Frau zusammen zu sein, die höher gebildet als ich“, sagen manche. Doch es ist schwer zu sagen, dass es die Frau selbst ist, die jemanden sucht, der in etwa den gleichen Bildungsstand hat. Musikerinnen sind häufig gerne mit Musikern zusammen, Ärztinnen mit Ärzten. „Weil es sonst schwierig ist für den Partner, die speziellen Belange des Partners/der Partnerin zu verstehen“, hörte ich von einer Freundin.

Und manchmal gibt es auch verletzende Fragen: Wie kommt man mit den Bildungsunterschieden bei Gesprächen mit Erzieherinnen klar, die selbst manchmal schlecht mentalisieren können und stark in Normschemata denken, weil sie selbst teilweise aus bildungsfernen Schichten kommen? Nicht selten wandern Akademikerinnen mit ihren Kindern in teure Privatkindergärten ab – aber kann das die Lösung sein? Erzieherinnen brauchen selbst mehr Wertschätzung, Entlastung, Anerkennung und eine bessere Ausbildung, die auch psychoanalytisch orientiert ist, um die psychische Entwicklung von Kindern besser verstehen zu können.

Oft werden diese Bildungsunterschiede verleugnet. Die Akademikerin gerät schnell in den Verdacht, arrogant zu sein. Doch Arroganz entsteht oft in einsamen Situationen und in Situationen, in denen man sich nicht verstanden fühlt. Finden alleinerziehende Akademikerinnen zusammen, ist es für sie meistens eine große Erleichterung, festzustellen, dass andere in einer sehr ähnlichen Situation sind. Das Internet bietet hier gute Möglichkeiten, um mit anderen alleinerziehenden Akademikerinnen in Kontakt zu kommen.

Auf X (ehemals Twitter) habe ich Dr. Christine Finke kennengelernt, die den wunderbaren Blog mama-arbeitet.de betreibt. Sehr interessant war für mich auch das Gespräch mit der Tumorforscherin Professor Dr. Dr. Heike Allgayer, die ich für die Thieme-Zeitschrift XX interviewt habe.

„Ich habe ein Kind, aber ich habe keine Familie“, sagte einmal eine Bekannte. Der Schmerz der Einsamkeit kann bei sehr vielen Alleinerziehenden phasenweise sehr groß sein. Dieser Schmerz verbindet viele. Doch viele Mütter erleben auch: Der größte „Feind“ sind die anderen Mütter. Mangelerfahrungen und daraus entstehender Neid sind für viele zu bewältigen. Bildungsunterschiede machen vielen Müttern nichts aus. Nur manchmal brauchen Mütter eben Gesprächspartnerinnen, mit denen sie spezielle Erfahrungen teilen können.

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Quellen:

Christine R. Schwartz & Hongyun Han (University of Wisconsin-Madison, 2014):
The Reversal of the Gender Gap in Education and Trends in Marital Dissolution
American Sociological Review August 2014 vol. 79 no. 4 605-629
doi: 10.1177/0003122414539682
http://asr.sagepub.com/content/79/4/605

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am: 19.9.2014
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