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39 Wie wird man PsychoanalytikerIn? Wie viele Patienten kann man behandeln?

Für die Ausbildung zum Psychoanalytiker bei der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV) braucht man zwei Patienten, die jeweils mit vier Sitzungen pro Woche behandelt werden. Erst, wenn man zwei Patienten je 300 Sitzungen lang behandelt hat (und die weiteren Voraussetzungen erfüllt), kann man sich zum Kolloquium anmelden. Es kann immer sein, dass ein Patient die Analyse vorzeitig beendet. Daher behandeln manche Ausbildungskandidaten gleich zwei oder drei Patienten parallel, die sich als sogenannte „Ausbildungsfälle“ eignen.

Doch nicht jeder angehende Analytiker kann gleich so viel containen. Zudem ergibt sich ein zeitliches Problem, da nach jeder 4. Analyse-Stunde eine Supervision ansteht – das ist mit zwei oder drei Ausbildungsfällen nicht für jeden Ausbildungskandidaten zu bewerkstelligen.

Ein Analyse-Patient – mehr geht vielleicht nicht

Manche Ausbildungskandidaten können aufgrund ihrer persönlichen inneren und/oder äußeren Situation nur einen oder maximal zwei Patienten vier Mal pro Woche behandeln. Das trifft z.B. auf alleinerziehende Mütter oder auf angehende Psychoanalytiker zu, die keine Kassenpatienten behandeln können, also zum Beispiel Ärzte ohne Facharzt oder Ausbildungskandidaten mit anderen akademischen Abschlüssen als Medizin oder Psychologie („Laienanalytiker“). Ihre Ausbildung zieht sich häufig in die Länge, weil sie ihre beiden Fälle nacheinander behandeln. Aber auch das geht.

Kombination aus Psychoanalyse und Psychotherapie

Viele angehende Analytiker erwerben zunächst den Zusatztitel „Psychotherapie“ und bieten auch Psychotherapien ein- bis zweimal pro Woche an. Gerade in der Ausbildung, wenn man viel Geld verdienen muss und noch keine Patienten für die vierstündige Analyse gefunden hat, kann es verlockend sein, das für die Ausbildung nötige Geld mit Psychotherapien zu verdienen.

Doch sollte man sich den Stundenplan nicht zu voll packen. Wie das Schicksal es will, stehen auf einmal ein oder zwei Patienten mit hohem Leidensdruck vor der Tür und dann ärgert man sich, wenn man für diese Patienten keinen Psychoanalyse-Platz offen gelassen hat.

Am eigenen Stundenplan zu basteln ist eine große Herausforderung mit vielen Unsicherheiten – insbesondere dann, wenn man noch in einer Klinik oder anderweitig tätig ist.

Frage einer Leserin:
„Aber wenn ihr doch 300 Stunden behandeln müsst – wollt ihr dann nicht verhindern, dass der Patient gesund wird?“
Es fühlt sich sehr schlecht an, wenn man nur daran denkt, Patienten für die Ausbildung zu „benutzen“. Die Beziehung würde unerträglich kompliziert werden, die gemeinsame Arbeit keine Freude machen. Man kann sich als Ausbildungskandidat einfach nur dem Fluss hingeben – so wie es ist, so ist es dann.

„Allein dafür hat es sich gelohnt“

In vielen Stunden merken Analytiker und Analysand, dass wichtige Entwicklungen stattfinden. „Allein dafür hat es sich gelohnt“, denkt man sich. Selbst, wenn der Patient nun nicht mehr käme, könnte man doch zufrieden sagen: Dieser Entwicklungsschritt war so wichtig für den Patienten, dass sowohl Analytiker als auch Patient zufrieden mit dem Ergebnis sein können, auch, wenn der „Ausbildungsfall“ nach 100 oder 200 Stunden geht.

Mit manchen Aussagen hält man sich in der Analyse vielleicht zurück, weil man den Patienten behalten will und befürchtet, er würde gehen, wenn man ihn z.B. mit seiner Aggression konfrontiert. Dabei passiert aber dasselbe wie in einer Partnerschaft, in der man z.B. Wut nicht anspricht und Konflikten aus dem Weg gehen will: Das ist für die Partnerschaft viel gefährlicher, als sich den unangenehmen Themen zu stellen.

Die Patienten bleiben gerade dann, wenn man sich traut, unangenehme Rollen anzunehmen und sehr schwierige Themen anzusprechen.

Vier oder fünf Patienten sind nicht zu wenig

„Ich komme mir immer vor, als täte ich zu wenig“, sagen manche Ausbildungskandidaten. Sie sind mit insgesamt vier oder fünf Patienten voll ausgelastet: Ein Patient kommt vielleicht zur vierstündigen Analyse und vier kommen zur Psychotherapie. Doch die Psychoanalyse ist ein anstrengender Beruf, in den man erst hineinwachsen muss. Es ist nicht zu wenig, „nur“ vier oder fünf Patienten zu haben. Manche behandeln lange erst nur einen Patienten, bevor sie langsam ihr Arbeitspensum erweitern.

Von der Kassenärztlichen Vereinigung gibt es an den Instituten Kontingente für Ausbildungskandidaten, das heißt, die Ausbildungskandidaten können über eine gewisse Anzahl von Stunden gesetzlich versicherte Patienten behandeln. Das Kontingent reicht für etwa drei Psychoanalysen (ca. 900 Sitzungen sind pro Arzt in Weiterbildung und 1200 Sitzungen pro Psychologe in Ausbildung nach dem Psychotherapeutengesetz, PTG, vorgesehen). Die Kandidaten kommen in der Regel mit ihrem Kontingent aus.

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Dieser Beitrag erschien erstmals am 5.9.2015
Aktualisiert am 28.7.2022

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Einst litt sie selbst an starken Ängsten und war innerlich nur damit beschäftigt. Durch ihre erste Fallvorstellung in der Psychoanalytischen Ausbildung fiel sie durch – weil sie keinen resonanten Kontakt zu ihrem Patienten aufgebaut hatte. Sie lernte dann, mit ihren Patienten in Resonanz zu gehen, sich in ihre Lage zu versetzen und mit dem Patienten gemeinsam seine Innenwelt zu erkunden.

Nicht mehr allein

Claudia Luiz sieht den Sinn in der Psychoanalyse unter anderem darin, dass der Patient nicht länger mit sich allein in seiner Innenwelt ist. Indem der Analytiker den Patienten sozusagen nach innen begleitet, entstehen höchst bedeutsame „Aha-Momente“, die für Außenstehende nichts Besonderes zu sein scheinen, die jedoch das Leben der Betroffenen tiefgreifend verändern können. Der englischsprachige Podcast mit Claudia Luiz ist hier zu finden: https://newbooksnetwork.com/claudia-luiz-the-making-of-a-psychoanalyst-studies-in-emotional-education-routledge-2018/

Claudia Luiz gewann 2006 den Phyllis W. Meadow Award for Excellence in Psychoanalytic Writing.

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