Jeder Mensch hat seine Neurosen. Damit sind die Stellen in der Psyche gemeint, die nicht so ganz im Gleichgewicht sind. Wenn Du z.B. immer überpünktlich zu Terminen kommst, dann hast Du eine Pünktlichkeitsneurose. Vielleicht hattest Du Eltern, die sehr auf Pünktlichkeit achteten oder Du hast einmal Schaden genommen, als Du zu spät kamst. Wenn Du schwer traumatisiert bist, kommst Du vielleicht oft zu früh, um zu überprüfen, ob die Luft rein ist. Neurosen äußern sich als Ängste, Depressionen oder Zwänge, doch der Bezug zur Realität bleibt vorhanden, oder besser gesagt: Die Fähigkeit, mit einem anderen sinnvoll zu kommunizieren, bleibt vorhanden. Weiterlesen
Wenn ich krank bin, habe ich Glück, wenn ich an einen weisen, wohlwollenden Arzt gerate. Durch die Krankheit bin ich geschwächt und hoffe nun, dass der Arzt mir hilft. In dieser Situation liegt es nahe, dass ich in dem helfenden Arzt einen „guten Vater“ sehe. Den Vorgang, dass ich mir dieses Bild von dem Arzt mache und dann mit dieser inneren Haltung auf den Arzt zugehe, nennt man „Übertragung“ (englisch: Transference). Der Arzt selbst spürt, dass ich Hilfe suche und in ihm einen guten Vater sehe. Er entwickelt mir gegenüber väterliche Gefühle und will mir helfen (= Gegenübertragung).Weiterlesen
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS, Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung, Typ Borderline, ICD10: F60.31) wird mitunter definiert als ein Zustand zwischen Neurose und Psychose. Solltest Du diese Diagnose haben, dann leidest Du vielleicht unter mangelnder Impulskontrolle – es fällt Dir vielleicht sehr schwer, Deine Wut und andere starke Gefühle zu kontrollieren. Auch leidest Du möglicherweise unter einem brüchigen Selbstbild – Du hältst Dich selbst manchmal (heimlich) für ganz toll und manchmal für den letzten Menschen dieser Welt. So geht es Dir möglicherweise auch mit dem Bild von anderen. Dieser Abwehrmechanismus wird „Spaltung“ genannt. Weiterlesen
Mal nüchtern ausgedrückt: Mit „Ich“ ist in der Psychoanalyse nach Freud eine „Struktur des seelischen Apparates“ gemeint. Wenn wir „Ich“ sagen, zeigen wir auf unsere Brust – dorthin, wo Herzschlag und Atem liegen. „Das Ich ist vor allem ein körperliches“ (Freud: Das Ich und das Es, 1923, Projekt Gutenberg). „Ich“ erlebe etwas, mir widerfährt etwas, ich denke, handele, entscheide. Dass mein Ich zwischen dem „Es“ und dem „Über-Ich“ (= dem Gewissen) steht, spüre ich im Alltag nur allzu häufig: Ich muss abwägen zwischen meinem Trieb (z.B. dem Drang, zur Toilette zu gehen oder den anderen zu schlagen) und dem Über-Ich, das mir sagt: „Du kannst jetzt nicht aus dieser Sitzung raus.“ Weiterlesen
Im zweiten und dritten Lebensjahr ist ein Kind in der „analen Phase“. In westlichen Ländern lernt es in dieser Zeit Stuhl und Urin bewusst zu halten oder abzugeben. Töpfchentraining ist dabei unnötig. Es reicht, ein Töpfchen bereitzustellen und dem Kind zu zeigen, wie man selbst auf die Toilette geht. Wenn es soweit ist, wird es ganz von selbst trocken. Stolz setzt es sich wie ein kleiner König auf sein „Thrönchen“. Der Schweizer Kinderarzt Remo Largo hat in der Zürcher Längsschnittstudie erforscht, wie lange ein Kind braucht, um trocken zu werden und warum die Angaben so unterschiedlich sind. Weiterlesen
Wenn wir wütend sind, dann haben wir manchmal das Gefühl, unser Gegenüber ist aggressiv. Insbesondere dann, wenn wir uns lieber als friedfertig wahrnehmen und sehr streng mit uns selbst sind. So beruhigen wir unser Gewissen (unser Über-Ich) und meinen, damit unser Selbstwertgefühl zu erhalten. Doch dann befürchten wir, dass die Wut irgendwie zu uns zurückkehrt, z.B. indem der andere uns anschreit oder indem wir unsere Wut doch plötzlich mit aller Macht spüren. So kann es auch mit allen anderen Gefühlen gehen, die wir nach außen „projizieren“.Weiterlesen
Für uns selbst können wir denken, machen, tun, was wir wollen. Zwar kann man sich auch vor sich selbst schämen, doch Scham tritt besonders dann auf, wenn andere Menschen hinzukommen. Wer sich schämt, befürchtet, verachtet zu werden und schuldig zu sein (Gerhart Piers und Milton Singer, 1953: Shame and Guilt: A Psychoanalytic and Cultural Study). Wir schämen uns, wenn wir merken, dass unser „Ich“ nicht dem „Ich-Ideal“ entspricht (Piers 1953). Scham entsteht, wenn wir angeschaut werden und erkannt werden in einer Situation, von der wir uns wünschten, der andere hätte uns nicht so gesehen oder wahrgenommen. Bei der Scham fühlen wir uns ertappt. (Text & Bild: © Dunja Voos) Weiterlesen