Wie wir mit Kriegsangst leben können
viele leiden in diesen tagen an der angst, persönlich von einem schrecklichen krieg betroffen zu werden. wie groß diese angst ist, hängt auch davon ab, wie alt wir sind, ob wir selbst schon krieg und flucht erlebt haben oder was wir von unseren eltern und großeltern transgenerational über den krieg erfahren haben. in unserer phantasie können wir vieles aushalten, doch wenn wir die realität eines krieges erlebt haben, sind wir uns meistens sicher, dass wir das nie mehr wollen. manche kriegseindrücke von eltern/großeltern waren so stark, dass die kinder und enkel das gefühl haben, es hautnah und real miterlebt zu haben. hinzu kommt die vorstellung von einem unberechenbaren diktator, der uns angst macht, weil er nicht mehr „mensch“ zu sein scheint und nicht mehr mit sich reden lässt. wir denken an auswegslose Streits, in denen es niemandem mehr möglich war, zu reden.
wut und angst sind oft zwei seiten einer medaille, die „hilflosigkeit“ heißt. je nachdem, wie wir aufwuchsen, wissen wir, wie sich wahnsinnige, narzisstische wut anfühlt. in unserer grenzenlosen wut können wir auch ein „ozeanisches gefühl“ haben, wie sigmund freud es nannte. wir fühlen uns grenzenlos. oder aber wir kennen vielleicht situationen, in denen es uns so schlecht ging, dass wir unsere eigene existenz oder auch die existenz der anderen für unerträglich hielten. wir hätten am liebsten alles zerstört. und wir befürchten dann, dass machthaber vielleicht ebenso fühlen und in ihrer blinden wut, in der sie nichts mehr zu verlieren haben, alles zerstören. doch auch wut hat grenzen.
kriegsangst ist oft auch ein ausdruck davon, wie wir die anderen um uns herum wahrnehmen und was wir mit ihnen erleben. hören wir politiker oder freunde, die von aufrüstung, waffenlieferungen oder kriegsbeteiligung sprechen, verstärkt sich unsere angst vielleicht. finden wir vorbilder wie z.B, weise politiker, die mögliche wege zum frieden beschreiben, geht es uns wahrscheinlich wieder besser – auch, wenn die situation zunächst dieselbe geblieben ist.
„komm doch, komm doch!“, rufen wir im traum dem ungeheuer zu. doch wenn es uns dann plötzlich verfolgt, wünschten wir, wie hätten es nie gerufen. psychische prozesse wie diese kennen vielleicht die meisten menschen, die sich mit sich selbst bewusst beschäftigen. als kinder haben wir vielleicht so gespielt. wenn wir so etwas bei uns wieder spüren, können wir es lenken und bewusst auf die provokation verzichten.
Wie heil ist unsere innere Welt?
oft geht es uns schlecht, weil wir kriegsangst haben. nicht selten geht es aber auch umgekehrt: unsere kriegsangst wird größer in zeiten, in denen es uns sowieso schon schlecht geht. Du kannst einmal darauf achten, wie sich die kriegsangst verändert, wenn du dich einsam fühlst, wenn du ein gutes gespräch hattest, wenn Du Dich bewegt hast oder wenn du gerade an fieber, halsweh oder heuschnupfen leidest. angst ist ein komplexes gebilde und veränderbar. wenn du also gerade sehr starke kriegsangst hast, kannst du dich vielleicht damit beruhigen, dass sie in den nächsten tagen vielleicht wieder etwas abnimmt, in dem maße, in dem du dich durch wetterveränderungen, gutes essen oder neue erlebnisse selbst veränderst.
wichtig ist es auch, uns selbst zu verstehen: wir kennen nicht nur den lebenstrieb, sondern auch einen todestrieb – eine lust an der zerstörung. vielleicht nehmen wir diese lust am krieg bei anderen verstärkt wahr. Wenn wir auf uns selbst achten und unsere eigene lust bemerken, erscheint uns die der anderen manchmal nicht mehr so stark. wir wissen: es gibt auch gefährliche lust, aber wenn wir sie bemerken, können wir sie steuern und davon abstand nehmen.
„bete zu ihren engeln“, sagte mir einst eine freundin, als ich mich um einen lieben menschen sorgte und nichts tun konnte. wer ganz hilflos ist, fängt mitunter an zu beten und zu meditieren in der hoffnung, doch irgendwie etwas bewirken zu können. diese formulierung half mit damals sehr.
Verbindungsgefühle beruhigen
verbindungen können ängste vermindern. wir machen uns über das unbekannte viele phantasien, doch wenn wir etwas näher kennenlernen, verlieren wir unsere angst. ich habe kürzlich just for fun das arabische alphabet gelernt. allein dadurch, dass ich manche worte auf nachrichtenbildern entziffern kann, fühle ich mich beruhigt. dasselbe erlebe ich mit russischen Buchstaben (kyrillische schrift) oder wenn ich dem kabarettisten wladimir kaminer zuhöre.
auch hilft es mir, wenn die buddhistische nonne pema chödrön sagt, dass exorzismus im Buddhismus nicht praktiziert wird, sondern dass es die Idee von mitgefühl gibt, egal, wie „böse“ das böse objekt, subjekt oder formlose ist. ich denke zudem: egal, von welcher seite die menschen argumentieren – in der mitte steht oftmals die angst. der ausgangspunkt der diskussion kann also derselbe sein: ob man nun für oder gegen waffenlieferungen ist. wenn wir uns mehr mit unseren ängsten auseinandersetzen, können wir uns uns gegenseitig verständlich machen. dann sehen wir, dass die anderen mit den anderen argumenten vielleicht gar nicht dümmer oder weiter weg sind, sondern dass es selbst in großen gegensätzen grundgefühle gibt, die wir teilen. wir können immer noch zusammen musik machen.
verwandte artikel in diesem blog:
- Wenn die Verbindung zur Welt fehlt
- Suizidalität – über das Gefühl, dass einem nicht mehr zu helfen ist
- Todestrieb: „Ich will’s vernichten!“
- Zerstörungswut: Wenn’s schon fast kaputt ist, will ich’s ganz kaputt machen
mastodon verifizierung troet.cafe/@dunjavoos