Wenn Paare streiten: „Der andere schweigt mich nur noch an.“

Es fühlt sich unerträglich an, wenn der Partner/die Partnerin nach einem Streit in Schweigen verfällt. Es ist ähnlich wie wenn jemand im Telefonat den Hörer auflegt: Die Leitung ist tot. Beide leiden unter dem Nicht-Sprechen – der eine unter der Ohnmacht, der andere unter seinem schlechten Gewissen. Nicht-Sprechen nach einem Streit ist kraftaufwendig. Es fühlt sich unnatürlich an. Der natürliche Drang, mit dem anderen wieder zu sprechen, kann nach einer Weile wieder da sein, aber der andere soll nicht das Gefühl haben, alles sei wieder gut. Derjenige, der unter dem Nicht-Sprechen des anderen leidet, weiß nicht, was er tun soll.
Das Nicht-Sprechen kann ein Gefühl von Abgeschlossensein hervorrufen. Es ähnelt vielleicht dem Gefühl einer körperlichen Starre – wenn es einem nicht gut geht, möchte man vielleicht keinen Sport machen, weil die körperliche Bewegung auch alles Psychische durchschüttelt. Das Erstarren gibt ein Gefühl von „Sicherer Burg“. Derjenige, der aber an den nichtsprechenden Partner nicht herankommt, vergeht vor unguten Gefühlen. Da mag angstvolle Hilflosigkeit, später aber auch Wut sein.
Welche frühen Erfahrungen sind mit dem jetzigen Problem verbunden?
Beim Problem des Nichtsprechens ist es immer wichtig, in die Vergangenheit zu schauen. Wenn ein kleines Kind vor einer depressiven Mutter steht, die zur Strafe oder aus krankhafter Starre heraus nicht mehr antwortet, fühlt sich diese Situation für das kleine Kind lebensbedrohlich an, weil es eben noch abhängig von der Mutter ist. Wird dieses Kind erwachsen, ist das Schweigen des anderen für den Betroffenen eine der schlimmsten Situationen, die es geben kann. Die ursprünglichen Gefühle der Angst und Wut sind wieder da.
Während des Streits entsteht oft ein Schweigen auf beiden Seiten. Die Luft ist dann zum Schneiden. Hier fühlen sich beide wie gelähmt, wie im Bann eingebunden. Beide denken jedoch innerlich nach.
Um aus dem unfreiwilligen Schweigen während des Streits wieder herauszufinden, kann es hilfreich sein, auf seine Atmung zu achten – allerdings kann das auch schwierig sein, wenn man die Atembeobachtung noch nie geübt hat. Dann kann man andere Körperteile in den Blick nehmen: „Wo bin ich angespannt?“ Es kann hilfreich sein, in die Umgebung zu schauen und zu gucken, ob irgendetwas die Sinne berührt – ein schöner Lichtstrahl oder ein gutes Buch. Es kann auch helfen, das aktuelle Gefühl genau zu beobachten und zu versuchen, das Gefühl der Verzweiflung für sich zu beschreiben.
Oft gehen beiden Gedanken durch den Kopf wie: „Ist es nicht besser, sich zu trennen?“ Das kann sich ebenfalls bedrohlich anfühlen. Hilfreicher kann es sein, zu versuchen, über das jetzige Gefühl zu sprechen. Beide sind in einer Situation, die sie eigentlich nicht wollen. Sich das bewusst zu machen, kann auch aus der Starre führen.
Andererseits kann ein Streit auch eine Sogwirkung haben. Ist man erstmal drin, dann wird auch die Versuchung spürbar, sich da richtig hineinzubegeben.
Der Meditationslehrer Eckhard Tolle fragt in einem seiner Youtube-Videos so schön: „Hast Du jemals versucht, mit einem Menschen zu sprechen, dessen ‚Pain Body‘ (Schmerzkörper) gerade aktiv ist?“ Er erklärt es so, dass wir im Streit in einem Zustand sind, in dem bereits frühe Verletzungen wieder aktiv in uns wüten. Unser Pain Body ist dann aktiv am Werk.
Werde ich noch geliebt?
Bei einem „Schweigestreit“ kommt auch die Frage auf, ob der Partner mich überhaupt noch liebt. Es erwachsen zudem Gefühle von Scham, Schuld, Ohnmacht und Kontrolle. Derjenige, der nicht spricht, scheint die Macht zu haben. Derjenige, der angeschwiegen wird, fühlt sich wie ein Opfer, das nichts kontrollieren kann. Besonders schlimm ist es, wenn der Nicht-Sprechende weiterhin freundlich mit anderen redet. Das wirkt dann, als ob er einen „Straf-Modus“ angeschaltet hat. Der Nicht-Sprechende möchte sich Respekt verschaffen, gibt zu verstehen: „Mit mir nicht!“
Es kann sehr schwierig sein, der Versuchung zu widerstehen, nicht zu sprechen oder auch den Anderen um ein Wieder-Sprechen anzuflehen. „Ich brauche erstmal Zeit“, sagt einer der beiden und auch das fühlt sich wieder schrecklich an. Wie lange soll das denn sein und was bedeutet das?
Es ist extrem schwierig, den anderen zu lassen und sich mit seinen eigenen Gefühlen auseinanderzusetzen. Schreiende Wut, Trauer, aber auch Angst, Verzweiflung und Druck können dazu gehören. Sich selbst zu spüren, kann auch dabei helfen, dem anderen von sich selbst und seinen Gefühlen zu erzählen. Das kann das gemeinsame Leben wieder erwecken. Vielleicht kannst Du spüren, dass es in Dir einen inneren Beobachter gibt, der das Geschehen ansieht. Dieser innere Beobachter ist ein Teil von Dir, der mitunter als erstaunlich ruhig empfunden wird.
Bleibt zu guter Letzt auch noch die Selbstwertfrage: „Das lasse ich nicht mit mir machen!“, sagen beide. Dahinter steckt oft der Wunsch, weiterhin respektiert zu werden. Wenn ich immerzu schlecht behandelt werde, dann sinkt mein Selbstwertgefühl. Manchmal hilft es nur, sich vom anderen abzuwenden. Dennoch habe ich einen Wert in mir, der unabhängig ist vom anderen. Vielleicht hast Du schon einmal erlebt, wie sich bei der Begrüßung jemand respektvoll leicht vor Dir verneigt. Manche Menschen begrüßen das „Göttliche“ in uns. Das ist immer da. Wir bleiben beseelt, auch wenn der andere uns mit Verachtung straft.
Das Problem des Nichtsprechens ist oft sehr groß. Hier hilft oft die eigene Entwicklung, z.B. eine eigene Psychotherapie oder Yoga. Auch das Einander-Lassen und das Aufsuchen guter Beziehungen kann entlasten. Die Einsamkeit innerhalb der Beziehung zählt mit zu den schwierigsten Gefühlen. Meistens ist beiden Partnern diese tiefe Einsamkeit gemeinsam. Auch, wenn sich so etwas wie Mitgefühl für den anderen nicht wecken lässt, so kann das Wissen hilfreich sein, dass beide traurig in einem Boot sitzen und nach einem wohlwollenden Dritten und nach Entwicklung Ausschau halten.