Orpha – Helferin des verlassenen Kindes

Wenn ein Kind früh traumatisiert wird, wenn es verlassen wird, dann erscheint in ihm oft eine Kraft, die es überleben lässt. Psychoanalytiker wie Sandor Ferenczi oder Donald Winnicott personifizierten diese Kraft, indem sie von „Orpha“ sprachen. Der Begriff „Orpha“ hängt zusammen mit dem griechischen Begriff für Waisenkind = Orphanos. Orpha ist in der Mythologie eine Nymphe (nachzulesen bei Jacob Bryant: A New System or Analysis of Ancient Mythology, 1774-1776, Projekt Gutenberg). Sie spiegelt den weiblichen Part von Orpheus wider.

Aus psychoanalytischer Sicht ist Orpha wie eine mütterliche Figur in der Psyche, die tröstet, die Kraft schickt und Leben möglich macht, obwohl die Mutter (bzw. die primäre Bezugsperson) abwesend oder quälend ist.

Früh verlassene oder traumatisierte Menschen beschreiben manchmal ein innerliches „Hochgefühl“, das den Eindruck entstehen lässt: „Ich überlebe, ich schaffe alles.“ Das Problem: Es ist schwierig, eine „reale“ Beziehung zu den eigenen Bedürfnissen und den anderen Menschen herzustellen. Orpha kann jedoch erkennen, was ein Angreifer will, was von ihm zu befürchten und wie er zu beruhigen ist. Sie lindert psychischen Schmerz und schützt dissoziierte Teile der Seele vor weiteren Verletzungen.

In der psychoanalytischen Theorie muss sich der Psychoanalytiker mit Orpha verbinden, um den Patienten aus seiner Isolation zu holen oder besser gesagt: Der Analytiker verbindet sich mit Orpha, um das verlorene oder versteckte Kind aus der Unterwelt zurückzuholen. Dies erinnert an die Sage von Orpheus und Eurydike, in der Orpheus hinabsteigt in das Reich der Toten, um seine Geliebte Eurydike zurückzuholen. Er scheitert jedoch, weil er sich ihr umsieht, was er nicht durfte.

Hervorragend beschrieben wird „Orpha“ in dem Text von Hayuta Gurevich, fort da 2015, 21 (1), 45-65 (PDF).

Dupont, J. (Ed). (1988). The clinical diary of Sandor Ferenczi. Massachusetts & London:
Harvard University Press.

One thought on “Orpha – Helferin des verlassenen Kindes

  1. Julia L. sagt:

    Sehr berührend. Danke!

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