
Eine Psychoanalyse-Ausbildung kann sehr anstrengend sein – der angehende Analytiker wird mitunter sehr verletzlich. Alte Kindheitserinnerungen und psychische Schmerzen treten wieder auf und die Beziehung zum eigenen Lehranalytiker ist intensiv. Manchmal möchte man da gar nicht wissen, wer die Couchgeschwister sind, denn da könnte man rasch eifersüchtig werden.
Zudem sind die Strukturen in der Psychotherapielandschaft heute sehr kompliziert und es gibt unzählige Regeln, die zu dem Gefühl des Spießrutenlaufs führen: Woher bekomme ich meine Patienten? Welcher Patient, ist bereit, vier Stunden pro Woche zu kommen? Wird der Gutachter der Krankenkassen „Ja“ zur Analytischen Psychotherapie sagen? Reicht mein Kontingent noch? Ein Blick auf den Nebenmann in der Ausbildung tut weh, wenn der strahlt, weil er gerade seinen ersten, zweiten oder gar dritten Ausbildungsfall gefunden hat, während man selbst vor großen Problemen steht, überhaupt erst einmal den ersten Patienten aufzunehmen.
Geldmangel und Finanzierungsneid
Eine weitere entscheidende Schwierigkeit ist die Finanzierung der Ausbildung. Manche können sie sich leicht leisten, andere müsssen mit großem Kraftaufwand das Geld zusammenbekommen. Manche hatten vielleicht schon immer leichtere Startbedingungen, weil die Eltern Akademiker waren, andere mussten sich mühselig aus einem bildungsfernen Elternhaus herausarbeiten. Wer erlebt mehr „Versorgung“ und wer erlebt überwiegend „Mangel“? Kandidaten, die es möglicherweise schwerer haben, schauen mit großem Neid auf die, denen die Ausbildungsfinanzierung vielleicht leichter von der Hand geht.
Manche fürchten „Konkurrenz“. Das Vertrauen darin, dass man schon bekommen wird, was man braucht, muss oft erst wachsen.
Der Familiengründungsvergleich
Viele Ausbildungskandidaten sind in einem Alter, in dem die Familiengründung anstreht: Wer ist (schon) verheiratet, wer hat (schon) Kinder, wer nicht? Beschäftigt mit den eigenen schwierigen Fragen des Lebens schaut man auch hier auf die (noch fehlenden) Eheringe der Mit-Kandidaten/-Kandidatinnen. Wer hat schon eine eigene Praxis, wer nicht, wer ist promoviert, wer hat schon einen Facharzttitel und warum haben es die Psychologen in der Psychoanalyse-Ausbildung heute vielleicht überhaupt leichter als die an den Rand gedrängten Ärzte? Oder ist es gar umgekehrt?
Es gibt hunderte Möglichkeiten, sich mit dem anderen zu vergleichen. Manchmal führt auch der Kampf um den Platz bei beliebten Supervisoren zu Neid: „Ich bin bei Frau …“, sagt Kandidatin X, während man selbst schon länger auf der Suche nach dem passenden Supervisor ist.
Oft hilft es, mit den anderen etwas zu unternehmen, sich gegenseitig zu unterstützen und kennenzulernen, denn dann merkt man auch: Niemand hat es leicht.
Sprachlos
Über viele entscheidende Dinge wird (verständlicherweise) manchmal zu wenig gesprochen, weil es sehr persönliche Themen sind, die noch nicht verdaut sind. Häufig tauchen „Geschwisterkonflikte“ auf. Nicht immer ist klar, welcher Kandidat bei welchem Lehranalytiker ist, was Raum für Phantasien lässt. Die Psychoanalyse-Ausbildung geht an den Kern der eigenen Persönlichkeit. Hat der andere etwas geschafft, woran man selbst gescheitert ist, schmerzt das bis auf’s Mark. Die Psychoanalyse-Ausbildung fühlt sich manchmal wie ein „Hochleistungssport“ an, obwohl man ja gerade das „Loslassen“ und „Nicht-Kontrollieren“ erlernen möchte. Es fühlt sich vielleicht nochmal an wie das Studium oder die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule: Die Anforderungen sind hoch und man weiß in der Ausbildung noch nicht, wer es schaffen wird und wer nicht.
Der Neid ist oft da besonders groß, wo die Umstände sehr schwierig sind. Ähnlich wie beim Thema „Kinderwunsch“ kann sich der Neid im Laufe der Jahre auflösen: Ist man selbst schwanger geworden, dann ist der Neid auf die anderen Schwangeren vorbei. Auch kann man lernen, mit den Lücken des Lebens zu leben, sodass der Neid im Laufe des Älterwerdens nachlassen kann. (Auf die Jüngeren mit all ihren Chancen, ihrer Gesundheit und ihrer Zeit wollen wir jetzt mal nicht schauen …)
Milde kommt
Hat man selbst schon ein paar Schäfchen im Trockenen, wird man milder gestimmt. Neid ist etwas, was sich schwer thematisieren lässt – vor allem gibt es nur selten Gespräche zwischen dem Neider und dem Beneideten über den Neid. Manche ziehen sich zurück, andere nehmen kontraphobisch alle möglichen Ämter an, um das Gefühl zu haben, mehr beeinflussen zu können und die anderen besser kennenzulernen. Wieder andere verspüren kaum Neid und sind in gutem, befriedigenden Kontakt mit den anderen Ausbildungskandidaten. Die Geschichten sind so unterschiedlich wie die Ausbildungskandidaten selbst.
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Literaturtipp:
Gabriele Junkers (Hg.):
Psychoanalyse leben und bewahren
Für ein kollegiales Miteinander in psychoanalytischen Institutionen
Psychosozial-Verlag, 1. Auflage 2022
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 13.4.2018
Aktualisiert am 19.4.2022
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