
Sich auf den Weg zu machen, um Psychoanalytiker zu werden, bedeutet, sich unzähligen Ängsten auszusetzen. Handfeste Sorgen drehen sich um die Finanzierung, um Abhängigkeiten und das Organisieren der Ausbildung. Doch das ganze Berufsleben über beschäftigen den Analytiker die ursprünglichen Ängste, aus denen heraus überhaupt den Berufswunsch entwickelte. Die Psychoanalytikerin Edna O’Shaughnessy zitiert in dem Youtube-Video „Encounters Through Generations“ Wilfred Bion, der gesagt haben soll: „If you don’t have a stomach for anxiety, you’re in the wrong profession“ („Wenn Du keinen Magen für die Angst hast, bist Du im falschen Beruf“).
Das Anstrengende und Schöne an der Psychoanalyse-Ausbildung ist: Es ist immer persönlich. Ludger Hermanns sagte, Psychoanalytiker zu werden sei „die lebendige Transformation eines Schicksals in analytisches Können“ (Psychoanalyse aktuell: Buchessay: 70 Varianten, Psychoanalytiker zu werden und zu sein). Die persönlichen Gründe und vor allem die persönlichen Ängste, die einen zum Psychoanalytiker werden lassen, stehen immer wieder im Mittelpunkt. Es geht auch um die Verrücktheit und um die Angst vor der intimen Beziehung.
Wer Analytiker werden will, hat sich das schon meistens viele Jahre vorher überlegt. Es geht vielleicht um einen Herzenswunsch, um das Erforschen-Wollen der Seele, um das Helfen-Wollen, um Beziehung und um die Hoffnung, noch eigene Träume erfüllen zu können und an eigenen kranken Stellen zu gesunden.
Wenn Patienten kommen
Sobald die Patientenbehandlungen losgehen, sieht man sich ganz neuen inneren und äußeren Gefahren ausgesetzt – oftmals sind sie tief verbunden mit dem Zweifel daran, ob man überhaupt Analytiker werden kann. In dem schönen Beitrag „Die tägliche Unerschrockenheit des Analytikers“ (International Journal of Psychoanalysis 2007 (2): 15-41) beschreiben Psychoanalytiker, wie verzweifelt man in Ängsten verfangen sein kann. Nicht selten geht es um die Angst, in der Beziehung zum Patienten gefangen zu sein oder verrückt zu werden.
Die Psychoanalytikerin Geneviève Déjussel schreibt über ihre Angst, einen bestimmten Patienten aufzunehmen: „Ich zog den Schluss, dass dies alles mit mir zu tun hatte, dass ich unwissentlich ein Bündel persönlicher Konflikte berührt hatte, dessen Mächtigkeit ich mir nie hatte vorstellen können. Diese Hypothese verstärkte das in mir aufsteigende Gefühl mangelnden Selbstvertrauens in meine beruflichen Fähigkeiten.“
Doch Geneviève Déjussel lief nicht weg. Sie schreibt, wie sie eine Hypothese über den Patienten aufstellen konnte. Der Patient hatte mit einer Mutter zu tun, die ihn schwer verständlich fand und überfordert war. Déjussel schreibt: „Das half mir, gegenüber der zeitweise überwältigenden Art von Renés projektiver Identifizierung offener zu sein und zur selben Zeit verschwand allmählich meine Angst, nicht zwischen dem unterscheiden zu können, was von ihm kam, und dem, was Teil meiner eigenen Persönlichkeit war. Das Gleiche passierte auch mit meiner Angst, nicht mehr auf meinen inneren Raum und meine inneren Erfahrungen zurückgreifen zu können.“
Wie sehr die therapeutischen Beziehungen zu Patienten ängstigen können, wird auch manchmal in telepathischen Erlebnissen spürbar. Hierzu forscht unter anderem der Psychoanalytiker Wolfgang Leuschner. Auch die Beschäftigung mit dem „Bösen“ (z.B. Eugenio Spedicato: Das Böse; Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur) und insgesamt mit dem „Unbewussten“ kann zu ungemütlichen Zuständen führen. Doch belohnend sind immer wieder die Erkenntnisse und neuen Erfahrungen, die man in der Psychoanalyse gewinnen und machen kann. Sie stammen aus einer Kombination von Wissen, Theorien, Denken, Fühlen, Beziehungs- und Körpererleben sowie Phantasien und Träumen.
Macht mich die Ausbildung verrückt?
Der Schweizer Psychoanalytiker Bernard Reith schreibt erleichternd ehrlich:
„Während ich mich als Analytiker entwickelte, hatte ich mit der Erfahrung Bekanntschaft gemacht, dass ich zu gewissen Zeiten die Tatsache akzeptieren musste, mich verrückt zu fühlen, wenn ich wirklich analytisch mit meinen Patienten arbeiten wollte. Viel schwieriger war es allerdings für mich, dies mit meinen Kollegen zu diskutieren. Wenn ich jedoch diese psychotischen Aspekte, die sie auch schon mal erlebt hatten, mit ihnen teilte, fühlte ich mich weniger „seltsam“. Ihre tiefe Zugewandtheit half mir, gegenüber meinen paranoiden Reaktionen in den Sitzungen mit Frau A. aufmerksamer zu sein. Ich wurde viel mutiger, diese Reaktionen in einer konstruktiven Weise zu nutzen.“
(Bernard Reith in: Die tägliche Unerschrockenheit des Psychoanalytikers. Von Danielle Quinodoz et al. Ausgewählte Beiträge aus dem International Journal of Psychoanalysis 2007 (2): 15-41)
Immer Schritt für Schritt
Die Psychoanalyse-Ausbildung ist wie eine Bergbesteigung im Schnee oder wie eine lange Reise auf See, auf der man lange kein Ufer sieht. Kleine Schrittchen führen weiter. Und Demut. Es gibt so Vieles, was einem in der Ausbildung, sprich im Leben, widerfährt, was man vorher nicht erahnen kann. Ich lerne in dieser Ausbildung auch, die Hände in den Schoß zu legen, durchzuatmen und neugierig darauf zu sein, was der nächste Tag bringt.
Verwandte Artikel in diesem Blog:
Dieser Beitrag wurde erstmals verfasst am 5.3.2015
Aktualisiert am 10.8.2022
VG-Wort Zählpixel
Fips meint
Ohne das Ihre schmälern zu wollen, das ist bei jeder Selbstständigkeit so. Verkauft man genung, bekommt man genug Aufträge, Dinge sind finanziert und Darlehen muß bedient werden, etc.. Hohe Krankenversicherungsbeiträge, Einzahlungen in Rentenkasse usw..
Was etwas hilft ist, die Arbeit nicht im gleichen Haus zu haben, wo man wohnt. Der räumliche Abstand gibt etwas Abstand, sonst ist man mit dem Kopf nur bei der Arbeit (selbst und ständig).