„Ich muss Dir wehtun, damit Du ein Gefühl für meinen Schmerz bekommst.“

Wir alle kennen Menschen, die viel Leid erfahren haben. So mancher kennt noch die Kriegserzählungen von Oma und Opa. Das Leid war schrecklich. Doch wieso können wir kein Mitleid empfinden, während die Betroffenen erzählen? Das liegt manchmal daran, dass die Betroffenen ihr Leid so oft erzählen und zwar in einem sehr anklagenden, vorwurfsvollen Ton. Es ist, als wollten sie dem Zuhörer persönlich den Vorwurf für das Erlittene machen. Vielleicht kennen wir es von uns selbst: Wenn es uns selbst sehr schlecht geht und wir meinen, dem anderen geht es sehr gut, dann entwickeln wir innerlich Neid und Wut – Wut auf unser Schlechtgehen und Neid auf das Gutgehen des anderen. Doch dadurch verlieren wir das Mitgefühl für uns selbst. Dann glauben wir gleichzeitig, dass auch der andere allein durch unser Erzählen kein Mitgefühl mit uns bekommen kann.

Wir spüren noch die Wut auf damalige Täter und lassen diese Wut an unserem jetzigen Gegenüber aus. Die Affekte bahnen sich ihren weg. Und dabei glauben wir auch, das Böse, das wir selbst in uns fühlen, die rachsüchtigen Impulse und die Wut, seien außen. Dann halten wir unser Gegenüber für böse – und verscheuchen ihn damit.

Wir wehren unseren eigenen Schmerz ab und wir versuchen, dem anderen wehzutun und ihn unter Druck zu setzen in der Vorstellung, dass er dann endlich etwas von unserem Schmerz kapieren mag. Doch das Gegenteil ist oft der Fall: Wenn wir einmal erlebt haben, dass ein anderer unser Leid erkannt hat und wenn wir selbst unser Mitgefühl für uns selbst wecken konnten, dann erleben wir auch, wie der andere allein durch unsere Erzählung, unsere Gesten, unsere Mimik uns versteht.

Der andere kann sich in uns einfühlen. Sobald wir davon ausgehen können, müssen wir keinen Druck mehr ausüben.

Das Problem ist nur, dass wir vielleicht selbst uneinfühlsame Eltern hatten, die selbst nach dem Prinzip arbeiteten: „Wer nicht hören will muss fühlen“. Es ist ähnlich wie mit dem Agieren: Oft denken wir, wir müssten zur Tat schreiten, wir müssten den anderen tatsächlich schlagen, damit er merkt, wie wütend oder verletzt wir uns fühlen. Wir denken, wir müssten den anderen erst wütend machen, damit er unsere Wut versteht. Doch wenn wir einfühlsame Eltern hatten, dann sind wir uns selbst gegenüber auch einfühlsam. Wir gehen dann davon aus, dass wir auch ohne Agieren gehört, gesehen und verstanden werden. Und das spürt auch das Gegenüber. Der andere ist dann frei, uns wirklich zu verstehen.

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