„Diese psychotische Welt ist so echt!“

Wer schon als Baby oder (Klein-)Kind schwer traumatisiert wurde, hat meistens extrem außergewöhnliche Dinge erlebt. Die Erfahrungen brennen sich fest in die Psyche ein und führen auf eine Art zu einem hochsubjektiven Gefühl. Die Gefühle, die gefühlt werden, die Bilder die entstehen, die gedanklichen Schlüsse, die aus all dem gezogen werden, sind sehr fest. „Ich bin mir ganz sicher“, sagen viele Menschen, die schwer traumatisiert sind. Menschen mit Psychosen verneinen häufig ihren Körper in dem Sinne, dass sie ihn ausblenden und oft das Gefühl haben, sie bestünden nur noch aus „Psyche“. Viele sind extrem allein und isoliert, sodass ihnen die relativierende Erfahrung mit anderen fehlt.

So bläht sich das Innere sehr auf. Kleine Kinder, die früh Gewalt erfahren, schreien sich manchmal „die Seele aus dem Leib“. Sie haben mitunter ein sehr starkes „Ich-Gefühl“, das manchmal auch zu quälenden „Ich-Attacken“ führen kann. Die Betroffenen haben ja tatsächlich „immer Recht“, weil sie „immer in sich selbst sind“ und immer ihre subjektive Wahrheit haben. Solange sie niemanden treffen, der ihnen ihre innere Wahrheit glaubt, haben sie das Gefühl, dass alles, was die anderen sagen, Nonsense ist.

Goethes Gedicht vom „Erlkönig“ spiegelt sehr schön wider, wie groß die Not ist, wenn man selbst die Gefahr sieht, die selbst die nahestendsten Personen nicht wahrnehmen können.

Der Psychoanalytiker Bertram Karon (siehe: „Take these broken wings“), der sich auf Psychosen spezialisiert hat, betont immer wieder, dass das, was die Patienten erzählen, und sei es noch so abwegig, sie in irgendeiner Form tatsächlich erlebt haben.

Man hält das für wahr, was man im Augenblick erlebt.

Zwischen Welten switchen

Oft erst nach jahrelanger Psychoanalyse kann es den Patienten gelingen, in einen neuen psychischen Zustand zu kommen – einen „gesünderen“, einen „normaleren“. Ein Zustand, der lange genug anhält, um eine neue Ebene Wirklichkeit werden zu lassen. Es gelingt den Betroffenen dann mehr und mehr, die verschienen Zustände zu beobachten. Und irgendwann kommt der Punkt, an dem sie in dem gesunden Zustand merken, dass die „alte Welt“ quasi weg ist. Sie ist erinnerbar, aber oft nicht mehr einfühlbar. Doch manchmal kommt sie wieder bedrohlich nah. Und doch merken die Betroffenen, dass sie die Welt, die sie erleben, teilweise immer wieder selbst neu erschaffen oder erleiden müssen, nachdem sie früh in ihrer Kindheit geschaffen wurde.

Wenn es den Betroffenen gelingt, irgendwann ein ganz neues Lebensgefühl zu gewinnen, ist die Erleichterung oft riesig groß. Die Kommunikation mit anderen gelingt besser, Verbindungen entstehen und das eigene „Ich“, die eigene „Psyche“ schrumpft sozusagen auf eine normale Grüße zurück. So können mehr und mehr auch die anderen Recht haben. Auch die Wissenschaft und der Körper erhalten ihre Berechtigung. Gefühle von „telepathischer Bedrohung“, einem „allumfassenden bösen Geist“ oder ähnliches können im Laufe der Jahre teilweise ganz zurückgehen.

Wenn alte Zustände dann wiederkommen, besteht die Erinnerung an die „neue Welt“. Alte Zustände können mit der Zeit besser verortet und eingeordnet werden. Es gelingt den Betroffenen dann immer besser, abzuwarten. In der „neuen Welt“ gibt es die Erinnerung an die alte, bedrohliche Welt. Sie kann manchmal noch nachempfunden werden, doch manchmal ist sie auch so weit weg, dass sie kaum noch verständlich erscheint. Dieser Weg heraus aus schrecklichen traumatischen oder psychotischen Zuständen und Welten dauert oft Jahrzehnte. Aber die Hoffnung auf „Erlösung“ durch hartnäckige Suche und harte Arbeit ist berechtigt.

Literaturtipp:

Skolek R. (1996):
Die wirklich ganz fremde Welt der Psychose?
In: Hutterer-Krisch R. (eds) Psychotherapie mit psychotischen Menschen. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-7091-9471-3_46
https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-7091-9471-3_46

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