Es ist ein tiefes Bedürfnis des Menschen, Schaden wieder gut zu machen. Schon kleinste Kinder unternehmen Versuche des Wiedergutmachens, wenn sie merken, dass sie einem anderen Menschen, insbesondere der Mutter, wehgetan haben. Häufig bemerken wir diese Versuche der Wiedergutmachung nicht, weil wir immer noch in unserem Schrecken, unserer Empörung oder unserem Schmerz stecken. Wie konnte er/sie uns das antun? Gerade bei Kindern oder Jugendlichen muss man manchmal genau hinschauen, um zu bemerken, dass sie wiedergutmachen wollen. Viele haben gar nicht den Gedanken, dass Wiedergutmachung den meisten Menschen ein so wichtiges Bedürfnis ist.
Schuldgefühle wahrnehmen
Um Dinge wiedergutmachen zu wollen, muss man sich jedoch erst schuldig fühlen können. Man muss erst feststellen, dass man etwas getan oder gesagt hat, das den anderen verletzt hat. Nach der Psychoanalytikerin Melanie Klein (1882-1960) wird diese Phase als „depressive Position“ bezeichnet. Kinder sind ihrer Theorie nach zunächst in einer „paranoid-schizoiden Position“, in der sie sich mit dem anderen wie verschmolzen fühlen und nicht bemerken, wenn sie ihm Schmerz zufügen.
Erst die Weiterentwicklung macht es dem kleinen Kind möglich, einen Schritt nach außen zu gehen, sich nach seiner Tat selbst zu erschrecken und so etwas zu denken wie: „Ohje, da habe ich ja was gemacht – hoffentlich verliere ich den anderen nicht. Es tut mir leid.“ Schuldgefühle, Reue und Sorge um den anderen sind ein Zeichen der Reife. Im Alltag schwanken wir oft zwischen den beiden Positionen hin und her. Manche Menschen fühlen sich zu leicht für Dinge schuldig, andere wiederum kennen Schuldgefühle kaum.
„1936 entwickelte Joan Riviere als erste das Konzept der Wiedergutmachung.“ (Psychoanalytikerinnen.de)
Reue zeigen
Manchmal tut man etwas, was einem später unglaublich leid tut. Man schämt sich dafür zutiefst. Oft ist die Scham so groß, dass man den anderen gar nicht darauf ansprechen kann. Zu groß ist die Sorge, man könne alte Wunden aufreißen, wenn man auf den anderen zugeht und sagt: „Dafür möchte ich mich entschuldigen.“ Dann ist die Zeit noch nicht reif. Manchmal geht es auch nie. Doch oft spürt der andere genau, wenn wir etwas bereuen. Er sieht es vielleicht an unserem Verhalten und spürt unsere innere Haltung. Der andere erkennt die Wiedergutmachungswünsche oft auch dann, wenn man es selbst nicht offen ausspricht.
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Lesetipps:
Peter Dettmering:
„Schuld und Sühne“
Destruktivität und Wiedergutmachung bei Dostojewski
Jahrbuch der Psychoanalyse, Bd. 33 (1994), 177-192
Frommann-Holzboog
Peter Fonagy & Mary Target:
Psychoanalyse und die Psychopathologie der Entwicklung
Klett-Cotta, 2011
http://www.klett-cotta.de/buch/Psychoanalyse/Psychoanalyse_und_die_Psychopathologie_der_Entwicklung/5482
Dieser Beitrag erschien erstmals am 17.12.2014
Aktualisiert am 7.2.2021
hubi meint
danke für den artikel!
winnicott hat hat etwas geschrieben, was ich sehr interessant finde: „Nur wenn wir uns bewußt sind, daß das Kind den Turm aus Bauklötzen umwerfen will, kann es davon profitieren, daß wir sehen, wie es ihn aufbauen kann.“ (Winnicott, Aggression)
wiedergutmachung ist so wichtig finde ich. bzw das gefühl, dass man auf irgendeine weise „wiedergutmachungs-arbeit“ leisten kann.
Jay meint
Ich habe bei Wiedergutmachungen immer das Problem, dass ich denke, ich hätte sie nicht verdient bzw. ich wäre ja auch nicht ganz unschuldig an der auslösenden Situation.
Die Wiedergutmachung veranlasst mich dazu, selber auch etwas geben zu wollen bzw. sie versetzt mich in Zugzwang, ebenfalls meinen guten Willen zu zeigen.
Insgesamt eine eher unangenehme Situation.