In der Körpermedizin würde niemand bestreiten, dass ein schwer Verletzter, ein sehr schwer kranker Mensch auf einer Intensivstation behandelt werden muss, um zu überleben. Bei der Psyche ist es genauso. Doch viele argumentieren, dass es quasi egal ist, welches Psychotherapieverfahren jemand wählt, weil das wirksame Agens die Beziehung zwischen Therapeut und Patient sei.
Natürlich ist es die Beziehung, worauf es ankommt und es ist die Beziehung, die therapeutisch wirkt. Doch gibt es verschiedene Intensitäten von Beziehung. Sehr schwer erkrankte Patienten wie z.B. Patienten mit einer schweren Persönlichkeitsstörung, die ihr Leben als immens quälend empfinden, brauchen eine Psychotherapie, die ihnen eine intensive Beziehung anbieten kann.
Das heißt, dass die Patient*innen enorm viel Zeit brauchen, dass sie den Therapeuten/die Therapeutin sehr oft sehen müssen (möglichst mindestens viermal pro Woche) und dass sie einen Therapeuten/eine Therapeutin brauchen, der/die sich selbst sehr gut kennt und schwerste Affektstürme zu bewältigen gelernt hat. Der/die Patient*in wird den/die Therapeuten/Therapeutin behandeln, wie er/sie (der/die Patient*in) als Kind einst selbst behandelt wurde.
Dem höchst Aversiven begegnen
Diesen enormen Druck kann der Psychoanalytiker/die Psychoanalytikerin oft deshalb tolerieren, weil er/sie selbst in der Ausbildung eine intensive Psychoanalyse gemacht hat. Durch die intensive Ausbildung wird der eigene Schmerz, der eigene Hass, die Aggression, die innere Gewalt offensichtlich. Diese Affekte werden in der eigenen Psychoanalyse gehalten, sodass der Psychoanalytiker/die Psychoanalytikerin auch der (affektiven) Gewalt der Patienten begegnen kann.
Therapeut*innen ohne psychoanalytische Ausbildung tendieren vielleicht stärker als Psychoanalytiker*innen dazu, sich am Konkreten, am Wissen, an der Realtiät, an den Ressourcen und an der äußeren Struktur festzuhalten. Sobald der notwendige Hass ins Spiel kommt, kann es beim Therapeuten/bei der Therapeutin leicht zu einer Abwehr kommen.
Emotionale Kunst
Doch für die Patient*innen ist es wichtig, dass der Spielraum und der Phantasieraum in der Beziehung erhalten bleibt. Eine Psychotherapie kann das eben oft nicht in dem Maße leisten, wie es der Patient/die Patientin bräuchte. Die Erhaltung des Spielraums ist eine Kunst, die erlernt werden kann und für die intensive Psychoanalyse sogar erlernt werden „muss“, wenn sie nicht schon natürlicherweise vom Therapeuten/von der Therapeutin beherrscht wird.
Sowohl auf der Intensivstation als auch auf regulären Stationen stehen Krankenhausbetten. Auf beiden Stationen gibt es Ärzte und Ärztinnen sowie Pflegekräfte. Und doch bedarf der/die schwer Kranke eines extrem gut ausgebildeten Personals. Anästhesisten, Schmerztherapeut*innen, Intensivmediziner, Notfallärzt*innen, Intensivpflegekräfte, Palliativärzt*innen haben eine andere Ausbildung als Allgemeinärzte. Niemand bestreitet das.
Und in der Psychotherapie ist es nicht anders: Ja, es zählt die Beziehung, es zählt der psychotherapeutische Raum. Doch die Art der Ausbildung von Psychotherapeuten/Psychotherapeutinnen und Psychoanalytikern/Psychoanalytikerinnen unterscheidet sich grundlegend. Daher unterscheiden sich eben auch Psychoanalysen grundlegend von regulären Psychotherapien. Klare Worte findet hier auch der Psychoanalytiker Otto Kernberg in seinem Video „Introduction to Psychoanalysis“ (https://youtu.be/UOkG8J9OxKs).