
„Ich bin rechtschaffen müde“, sagt mir eine Mutter, die gleich ins Bett gehen und gut schlafen wird. „Rechtschaffen“ ist ein schönes Wort. Es bedeutet: Die Frau hat guten Grund, müde zu sein. Sie hat viel geschafft und sich bemüht, die Dinge gut zu machen. Wenn wir das Gefühl haben, dasss wir „alles richtig“ gemacht haben, dann können wir gut schlafen, denn wir haben ein gutes Gewissen.
Doch es ist nicht immer leicht, ein gutes Gewissen zu haben. Oft spüren wir, dass wir etwas „falsch“ machen, aber wir wissen eigentlich nicht so genau, was wir falsch machen. „Ich mache mir immerzu ein schlechtes Gewissen“, sagt eine junge Frau. „Ich fühle mich immer schuldig“, erzählt ein Patient.
Selbstberuhigung schlägt fehl
Wenn wir ein schlechtes Gewissen haben, versuchen wir uns selbst zu beruhigen. „Sei nicht so streng mit Dir“, sagt die Freundin. Wir bekommen zu hören, dass unser schlechtes Gewissen nicht berechtigt sei und dass wir bestimmt nicht „schuld“ seien. Doch unser Gefühl sagt uns etwas anderes. Wir sind unruhig, wir grübeln ohne Ergebnis, wir wälzen uns im Bett hin und her und können nicht schlafen.
Wir sind bemüht, uns selbst und unsere Wahrnehmung ernstzunehmen. Doch bei einem der schwierigsten aller Gefühle, dem Schuldgefühl, weichen wir aus. Wir versuchen uns klarzumachen, dass wir einfach zu streng erzogen wurden und dass deswegen unser Gefühl an dieser Stelle nicht richtig sein kann.
Doch wenn wir streng erzogen wurden, dann haben wir auch heute noch vielleicht das Bild, dass andere Menschen „streng“ sind – dass sie uns nichts gönnen, dass sie uns nicht unterstützen wollen, dass sie uns nichts geben wollen oder dass sie uns beschränken wollen. Wenn wir dieses Bild haben von unseren Mitmenschen, dann neigen wir dazu, uns „durchmogeln“ zu wollen.
Können wir mit anderen Menschen sprechen?
Wir haben vielleicht nicht die Vorstellung, dass wir mit den anderen sprechen können, dass wir sagen können, wie es uns geht und was wir wollen. Wir stellen uns vielleicht vor, dass wir unsere Ziele nur erreichen können, wenn wir irgendwie „hintenherum“ gehen. Und diese Vorgänge können so subtil sein, dass wir heimlich Regeln brechen und dass wir andere fast unmerklich nicht respektieren.
Mit den Regeln ist es so eine Sache – wer noch innerlich nah an den Kriegen ist, der verbindet mit dem Regel-Einhalten rasch die Gefahren. Hätten im Nationalsozialismus mehr Menschen rebelliert und weniger Menschen die Regeln eingehalten, dann wäre es vielleicht nicht so weit gekommen. Es ist eine Gratwanderung mit den Regeln.
Schuldgefühle ernst nehmen
Unser Gefühl täuscht uns oft eben nicht – auch unser Schuldgefühl trügt uns in der Regel nicht. Das Schwierige ist eben oft „nur“, dass sich die Vorgänge häufig im Unbewussten abspielen. Wir bekommen oft selbst nicht bewusst mit, was wir da „machen“, wie wir mit anderen umgehen und wie wir versuchen, uns gegen das Gegebene aufzulehnen.
Oft steckt dahinter die Angst vor der Ohnmacht, vor dem Sich-Ergeben. Wir haben oft viel zu wenig Vertrauen in die anderen Menschen – vielleicht, weil wir unbewusst selbst so vieles „heimlich aushecken“. Vielleicht aber auch, weil wir eben tyrannische Eltern hatten, die uns ohne Sinn und Verstand begrenzten.
„Wahrheit lindert Leiden“, hörte ich kürzlich in einem Vortrag. Ja, das ist so – egal, wie schwer die Wahrheit ist. Die Anerkennung der Wahrheit ist der erste Schritt zu einem Leben in mehr Wohlbefinden.
Der Schlaf des Gerechten
Vielleicht können wir durch bewusstes Nachdenken kaum die Stellen erkennen, an denen wir zu Recht ein schlechtes Gewissen haben. Aber wir können uns ernstnehmen und uns auf Spurensuche begeben.
Was, wenn wir einmal bewusst versuchen, uns weniger aufzulehnen und weniger gegen die Dinge anzukämpfen? Vielleicht können wir erstmals die Grenzen akzeptieren, die sich uns in den Weg stellen und dies dann zum Anlass nehmen, mit dem Anderen direkt darüber zu sprechen, wo wir uns vielleicht über die Maßen eingeschränkt fühlen oder wo wir eben keinen Sinn in Regeln oder Grenzen erkennen können.
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